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Performance über eine alternde Hollywooddiva

Die einstige Hollywood-Diva Colleen West zieht sich am Ende ihrer Karriere in die Berge zurück und sinniert in einer verschneiten Hütte über ihr letztes "shit year" - ein grandioser Auftritt von Ellen Barkin und ein herausforderndes Kinoerlebnis von Cam Archer.

Von Rüdiger Suchsland | 07.08.2011
    "Coleen West - I think I could look at your face for 1000 years."

    Colleen West war eine große Hollywood-Diva. Doch jetzt steht die Schauspielerin am Ende ihrer Karriere. Noch einmal hat sie am Theater triumphiert, ausgerechnet in einem Stück, das "Star Witness" heißt. Noch einmal hatte sie eine Affäre mit einem jugendlichen Schauspielkollegen. Noch einmal ein großes Fernsehinterview in einer Late-Night-Plaudershow.

    Jetzt hat sich die in die Tage gekommene Filmdiva in die winterlichen Berge zurückgezogen und sinniert in einer verschneiten Hütte über ihr letztes "shit year". Sie hat Angst vor der Einsamkeit und davor, nichts mehr zu verlieren zu haben. Und sie spricht über ihr Leben, ihre Karriere, ihre Angst und ihre Hoffnungen. Alle diese kleinen Fragmente fügen sich zum Panorama des Lebens eines Hollywoodstars, Innenansichten der Leere und zugleich ein Bild der Selbstdemontage und Selbstdemütigung.

    Cam Archer, eines der großen Talente des amerikanischen Independent-Kinos, erzählt in "Shit Year" eine ergreifende Geschichte. Mit seinem von Gus van Sant produzierten Spielfilmdebüt "Wild Tigers I Have Known" gelang ihm 2006 eine kleine Sensation. Sein zweiter Film "Shit Year" ist geradezu das Gegenteil: statt knallbuntem Jugendpop ein Film-Noir in klassischem Schwarzweiß. Das zeigt schier unglaubliche, überaus ungewöhnliche Bilder: ein Panorama der Skyline von Los Angeles. Ein Haus in einer Schneelandschaft, das, da alles eben in Schwarzweiß gefilmt und kontrastreich aufgenommen ist, faszinierend unwirklich erscheint. Traumbilder, die mal völlig entleert, dann wieder rätselhaft voll sind. Ab und an wird dies unterbrochen durch das grobkörnige Grau von Fernsehbildern.

    "Shit Year" ist ein experimenteller Film und definitiv ein überaus ungewöhnliches Kinoerlebnis. West montiert Material zusammen und tut nicht so, als müsste das immer eine Einheit ergeben. Oder einen Sinn über die reine Schönheit der Bilder hinaus - die allerdings schon eine ganze Menge ist.

    Was dieser Film aber vor allem ist: ein grandioser Auftritt von Ellen Barkin. Sie ist fast immer im Bild. Und wenn nicht, dann hört man ihre Stimme:

    "1, 2, 3 ... 8"

    Auch Barkin, in den 80er-Jahren mit Filmen wie "Down by Law" und "The Big Easy" für ein paar Sommer ein großer Star ist mittlerweile im Herbst ihrer Karriere angelangt.

    Durch sie, ihre Stimme, ihr glänzendes Aussehen, das nicht künstlich jünger tun will, das manchmal verlebt und harsch wirkt, und zu diesen Spuren des Lebens steht, erinnert der Film immer wieder an Billy Wilders "Sunset Boulevard" und auch an den existentialistisch gehärteten Weltschmerz eines Tennessee Williams. Eine monomanische Divendämmerung. Und das Portrait einer Frau, der gar nichts anderes übrig bleibt, als stark zu sein.

    Mit rationalen Deutungen erfasst man diesen Film allerdings überhaupt nicht. Dies ist keine typische Midlife-Crisis-Geschichte und auch kein Porträt Hollywoods im eigentlichen Sinn. Denn Hollywood ist hier ein imaginärer Ort, eher Traum, als Traumfabrik.

    Die Geschichte der Colleen West hat aber auch noch eine andere Seite: "Shit Year" weist darauf hin, dass Wahrheit und Lüge, Schein und Wirklichkeit, Star-Persona und "Mensch" im Bereich der Öffentlichkeit nicht sinnvoll zu unterscheiden sind. Darauf, dass die Homestory eines Politikers oft unwahrer ist, als eine Parteitagsrede, dass die angeblich "private" Aussage eines Showstars mehr Lüge enthält als zwei, drei Sekunden Großaufnahme auf der Leinwand. Und dass es am Ende auf wohlfeile Sentimentalität hinausläuft, wenn man sehr human, aber auch sehr brav Mensch und öffentlichen Star eindeutig unterscheiden will.

    Vor allem geht es hier eher darum, zu fühlen, und darum, sich auf die Innenwelt der Hauptfigur einzulassen. Mitunter wirkt der Film wie ein halluzinatorischer Drogentrip. Für den Regisseur Cam Archer selbst ist dieser Film, wie er sagt, "eher eine Performance, als ein dem Leben abgeschautes, naturalistisches Drama."

    In jedem Fall ist "Shit Year" ein immer wieder mal großartiger, manchmal auch großartig nervtötender Film, ist pathetisch und phantastisch, bisweilen surreal und ein herausforderndes Kinoerlebnis.