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Persönlicher Vorher-Nachher-Vergleich

"Neue deutsche Mädchen" von Jana Hensel und Elisabeth Raether zeichnet ein holzschnittartiges Bild. Die Autorinnen wollen das Leben heutiger junger Frauen "auf persönliche Weise", sprich am eigenen Beispiel, darstellen und verfangen sich dabei in einer Mischung aus Verschämtheit, Stolz und Altklugheit.

Von Sabine Peters | 09.05.2008
    Das Buch trägt den trompetischen Titel "Neue deutsche Mädchen": Jana Hensel, Jahrgang 76, und Elisabeth Raether, Jahrgang 79, die eine aus Ost-, die andere aus Westdeutschland, wollen das Leben heutiger junger Frauen "auf persönliche Weise", sprich am eigenen Beispiel, darstellen. Reichen ihre Erfahrungen aus, einen weiteren, identitätsstiftenden Trend hinsichtlich "neuer" Mädchen auszurufen? Und: Unterscheiden sich "deutsche Mädchen" in Zeiten der Globalisierung scharf von niederländischen oder englischen Meisjes und girls? Immerhin ist es nachvollziehbar, dass Hensel und Raether das Deutungsmonopol zur Frage, wer die heutigen jungen Frauen sind, nicht vollständig den Feministinnen der 68er-Bewegung überlassen wollen.

    Arbeit und Liebe sind die Themenkreise, um die es Hensel und Raether hauptsächlich geht. Die Berichte, Einschätzungen und Reflexionen der Autorinnen über ihre Erfahrungen aus den letzten zehn Jahren wirken allerdings nicht so, als hätte man es jetzt mit völlig veränderten, neuen Menschen, Befindlichkeiten und Strukturen zu tun. Im übrigen ergänzen sich die Texte, es gibt nahezu keine Diskussionen oder Widersprüche.

    Weitschweifig plaudernd und dabei frei von Humor oder Selbstironie vermitteln die Autorinnen folgende Neuigkeit: Männer dominieren. Sie bestimmen die Regeln, die Frauen dürfen mitspielen - allerdings in Grenzen, siehe den Anteil der Frauen in höheren beruflichen Positionen. Um mitspielen zu können, ob am Arbeitsplatz oder in der Liebe, legen sich die jungen Frauen ein "männliches" Verhalten zu. Sie treten bewusst tough, cool und abgebrüht auf. Mit den Jahren schält sich jedoch die Einsicht heraus, dass sie als Frauen weder Männer sind, noch es sein wollen. Ihre eigenen Mütter sind kein Rollenvorbild, auch wenn beide Autorinnen aus ihren frühen Kindheitserinnerungen einer weitgehend stabilen familiären Ordnung nachtrauern. Die Mütter verkörperten, selbst wenn sie einem Beruf nachgingen, doch so etwas wie den Fels in der Brandung. Hensel und Raether haben sich aber zunächst für das flüchtige Aufbruchsleben im Berlin der 90er Jahre entschieden: Leben sollte nicht als "chronologische Erzählung" stattfinden, die jungen Männer und Frauen suchten nach neuen Formen des Arbeitens, Wohnens und Liebens. Unverbindliche Affären, wechselnde Praktika in Redaktionen und Verlagen, vor allem die Ununterscheidbarkeit von Privat- und Arbeitsleben desillusionieren Hensel und Raether. Sie entdecken, dass es auch im Kulturbetrieb unsinnige Hierarchien, Konkurrenz, Günstlingswirtschaft und Machtspiele gibt. Zu Recht fragen sie, warum die schreibende Zunft in diversen Blättern lieber über Erwerbslosigkeit reflektiert, anstatt die eigenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu thematisieren, und zwar über individuelle Fallbeispiele hinaus.

    Leider überwiegen in diesem, zugegeben, eingängig geschriebenen Buch die einfachen Erkenntnisse. Elisabeth Raether begreift, dass Geld allein nicht glücklich macht. Außerdem hält sie fest, dass es schwieriger geworden sei, von Liebe zu träumen. Und Jana Hensel findet es richtig, eine unschuldige Zeit im Leben jeder Frau zu behaupten, Zitat, "gemeint sind die Jahre, in denen man sich über sein Leben und seine Chancen in der Gesellschaft Illusionen machen kann, weil man noch keine Kinder hat und nur für sich selbst auf der Welt ist". Setzt "Verantwortung" erst ein, wenn man sie für ein anderes Wesen als sich selbst übernimmt?

    Offenbar selbst etwas irritiert, zeichnen die Autorinnen das Bild von zwei jungen Frauen, die an der Oberfläche hart und schmerzfrei sind. Tatsächlich agieren sie allerdings oft defensiver als Teile der Frauenbewegung der 60er/70er Jahre. Was ist es anderes als vorauseilender Gehorsam, wenn Elisabeth Raether schreibt, sie beherrschte Männern gegenüber die Kunst des Wartens und Schweigens? Tiefsitzende Unterlegenheitsgefühle werden hier offenbar durch ein unverbindliches Auftreten kompensiert; die Abwesenheit von Vertrauen gibt Sicherheit, heißt es einmal. Aber mit diesem Leben war schließlich auch die vage Vorstellung verbunden, es sei "Vorgeschichte" - heute sei man ausgeglichener, vernünftiger, stehe mehr zu sich selbst, wobei man natürlich nie "fertig" sei. Ach ja.

    Was ist eigentlich neu daran, dass zumindest ein Teil auch der weiblichen jungen Bevölkerung, nämlich der gut ausgebildete, sich einige Jahre Zeit nimmt, um sich die Hörner abzulaufen? Woher nehmen die Autorinnen die Überzeugung, ihre Generation sei die erste, die einen dritten Weg zwischen dem Dasein als Karrierefrau und dem einer Hausfrau und Mutter zu finden habe? In diesem holzschnittartigen Bild taucht Folgendes nicht auf: Männer sind nicht allesamt Karrieremacher, die Stufe um Stufe des Erfolgs erklimmen. Im Übrigen gab es immer wieder zuhauf erwerbstätige Frauen, übrigens oft auch alleinerziehend, beispielsweise in Kriegs- und Nachkriegszeiten.

    Hensels und Raethers Buch entwickelt sich zu einem persönlichen Vorher-Nachher-Vergleich. Man möchte die wilde Vergangenheit zwar nicht einfach als Eskapade abtun, aber natürlich wirkt sie aus dem Abstand und mit abgeklärtem Blick etwas windig. In einer Mischung aus Verschämtheit, Stolz und Altklugheit berichten sie, dass sie heute gern kochen, den Wert einer schönen Wohnung zu schätzen wissen, - und an den Zimmerdecken baumeln keine nackten Glühbirnen mehr, sondern anständige Lampenschirme. Diese Entwicklung vom Provisorischen in Richtung eines allmählichen Sich-etablierens wird andere Altersgruppen, etwa "die" 68er, vom Hocker werfen. Die Kategorie der "Generation", die in immer schnelleren Abständen ausgerufen wird, mag griffig sein, aber ihr analytisches Potenzial hält sich in Grenzen.

    Man kann dem Buch zugute halten, dass die Autorinnen das Klischee der scheinbar so starken, unabhängigen, selbstsicheren jungen Frauen ankratzen und bei beiden Geschlechtern ein Rollenverhalten freilegen, das so neu nun leider nicht ist. Die beiden insgesamt recht sanft schreibenden "neuen deutschen Mädchen" sind, wie auch der Rest der Bevölkerung, zwar weit entfernt von einer Politisierung oder von Rebellion gegen versteinerte Verhältnisse, die früher einmal zum Tanzen gebracht werden sollten. Aber gelegentlich taucht die Wahrnehmung auf, dass Erfolg und Glück auch bei weiblichen Menschen nicht nur mit Optimismus, Einzelkämpfertum, harter Arbeit und Ehrgeiz erreicht werden, sondern dass es immer auch gesellschaftliche Bedingungen sind, die ein Leben mitbestimmen.

    Vielleicht ist es tatsächlich so: Jede Altersklasse muss das Rad ganz neu für sich erfinden.

    Jana Hensel, Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen
    Rowohlt, 224 Seiten
    16,90 Euro