Donnerstag, 28. März 2024

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Personalpolitik der Deutschen Post
"Eine Bestrafung der Leute, die das Pech haben, krank zu sein"

Der Arbeitsoziologe Gerhard Bosch hat das Vorhaben der Deutschen Post, die Entfristung von Arbeitsverträgen auch von den Krankheitstagen eines Mitarbeiters abhängig zu machen, kritisiert. Diese Art von Abstrafung gehöre eben zu den Faktoren, die den Stress von Mitarbeitern erhöhten - und mitunter Erkrankungen begünstigten.

Gerhard Bosch im Gespräch mit Sarah Zerback | 07.05.2018
    Ein Briefträger der Deutschen Post verteilt am 30.05.2013 mit Hilfe eines Fahrrads Postsendungen in Hannover (Niedersachsen).
    Die Personalstrategie der Deutschen Post hält Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch für eine "verheerende Entwicklung" (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Sarah Zerback: Überlastet, erschöpft, schlicht gestresst – deshalb lassen sich in Deutschland mehr und mehr Arbeitnehmer krankschreiben. Das zeigen jüngste Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums, die "Die Linke" angefragt hatte. Demnach haben die Fehltage wegen Stress am Arbeitsplatz innerhalb von vier Jahren um fast ein Drittel zugenommen, zwischen 2012 und 2016. Darüber können wir jetzt sprechen mit Gerhard Bosch, Arbeitssoziologe an der Uni Duisburg-Essen am Institut Arbeit und Qualifikation. Guten Morgen, Herr Bosch!
    Gerhard Bosch: Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Ist das auch Ihre Beobachtung, Herr Bosch? Gibt es wirklich mehr Stress im Beruf?
    Bosch: Ja, das ist meine Beobachtung. Erstens weiß ich es aus Befragungen der Krankenkasse. Der DGB macht jährlich eine Befragung. Und dann machen wir viele Betriebsstudien. Und wo wir auch hinkommen: Bestimmte Krankheiten nehmen ab, durch Unfälle beispielsweise oder durch starke körperliche Belastungen, die heute geringer geworden sind, weil vieles von Maschinen übernommen wird. Auf der anderen Seite ist aber der Arbeitsdruck gewachsen und die psychischen Belastungen steigen ganz deutlich an, wie das ja auch die Anfrage der Linken gezeigt hat.
    "Die Firmen sind unterbesetzt und das ist die Hochkonjunktur"
    Zerback: Woran liegt das denn, dass der Stress so zunimmt, der Druck, wie Sie sagen?
    Bosch: Da gibt es viele Gründe, kurzfristige und langfristige. Die eher kürzerfristigen würde ich darin sehen, dass wir jetzt eine Hochkonjunktur haben. Das war anders 2009, als Teile der Wirtschaft fast stillstanden. Die Firmen sind unterbesetzt und das ist die Hochkonjunktur, die natürlich immer mit Stress verbunden ist. Die langfristigen Phänomene sind natürlich viel wichtiger. Das ist die Zunahme des Arbeitsdrucks. Die Arbeit wird verdichtet und man wird auch permanent überwacht, indem einem Arbeitsvorgaben gemacht werden, die man kurzfristig erfüllen muss. Das hat es in der Vergangenheit in dieser Dicht nicht gegeben.
    Gerhard Bosch, Arbeitssoziologe an der Uni Duisburg-Essen am Institut Arbeit und Qualifikation
    Gerhard Bosch, Arbeitssoziologe an der Uni Duisburg-Essen am Institut Arbeit und Qualifikation (dpa / picture-alliance / Martin Gerten)
    Zerback: Stichwort auch ständige Erreichbarkeit durchs Smartphone, durch Mails checken auch am Feierabend?
    Bosch: Ja, das spielt auch eine Rolle. Aber ich würde sagen, das ist im Vergleich zu der Verdichtung der Arbeit überbewertet. Das spielt eine Rolle vor allem bei Führungskräften, aber viele schalten ja ihr Handy aus. Pflegekräfte oder Verkäuferinnen, die sind ja abends nicht mehr im Einsatz im Unterschied zu Führungskräften. Ich glaube aber, dass insgesamt durch die Digitalisierung, durch die Vertaktung der Arbeit die Leute viel dichter überwacht werden und auch kurzfristige Erfolgsvorgaben haben. Sie müssen bestimmte Leistungen in bestimmter Zeit vollbringen. Und ein ganz wichtiger Grund ist: Viele Leute sind befristet beschäftigt und bangen die ganze Zeit, ob ihr Arbeitsvertrag denn verlängert wird. Diese Unsicherheit, die ist ein Stressfaktor, der ganz enorm ist. Sie müssen wieder sich alle zwei Jahre fragen oder jedes Jahr fragen, habe ich genug Leistung vollbracht, um überhaupt in meinem Job bleiben zu können.
    "Eine Bestrafung der Leute, die das Pech haben, krank zu werden"
    Zerback: Viel stressiger als eine Festanstellung. Von der Deutschen Post haben wir gestern gehört, dort wird man nur entfristet, wenn man in den ersten zwei Jahren weniger als 20 Tage fehlt zum Beispiel. Wie bewerten Sie denn das?
    Bosch: Ja, das ist einer dieser Stressfaktoren. Das wird natürlich auch öffentlich kommuniziert, damit das auch Auswirkungen auf das Verhalten hat. Es gibt ja ähnliche Strategien von anderen Unternehmen. Da werden Prämien gezahlt, relativ hohe Prämien, wenn Sie keine Krankheitstage oder nur geringe Krankheitstage haben, und das ist natürlich eine Bestrafung der Leute, die das Pech haben, krank zu sein. Ich halte das für eine verheerende Entwicklung.
    Zerback: Die Grünen haben das ziemlich wortreich kritisiert als "menschenverachtend und sittenwidrig". Aber Politiker aller anderen Parteien haben da mitkritisiert. Die Post hat es ja verteidigt. Wie verbreitet ist das denn?
    Bosch: Na ja, das ist schon ziemlich verbreitet. Ob es jetzt so in dieser strategischen Form geschieht, das bestimmte Quoten gesetzt werden, das dürfte überwiegend nicht der Fall sein. Aber natürlich ist es so, dass heute zum Beispiel fast alle unsere Auszubildenden in Unternehmen erst mal in eine befristete Beschäftigung oder in eine Leiharbeitsfirma übernommen werden und dann noch mal getestet werden. Das heißt, wir befinden uns heute in einer langen Testphase, die Berufsausbildung und dann anschließend mehrere Befristungen. Und wer die Testphase dann überstanden hat, der kommt in einen festen Job, und da muss er sich natürlich wohl verhalten und er muss außerdem Leistung bringen und geringe Krankheitstage haben.
    "Personalpolitisches Umdenken im öffentlichen Dienst notwendig"
    Zerback: Der Bundesfinanzminister, Olaf Scholz, hat die Post ebenfalls kritisiert und er will den Einfluss im Aufsichtsrat des Bundes bei der Post nutzen, um die Arbeitsbedingungen dort zu verbessern. Müsste er da generell ran an die befristeten Verträge, um den Stress zu reduzieren, den Druck, wie Sie sagen?
    Bosch: Ja, natürlich! Das ist einer der Stressfaktoren insbesondere für junge Leute und dann natürlich für Leute, die mal eine Phase der Arbeitslosigkeit gehabt haben und diese Testphase wieder durchlaufen müssen, um in feste Beschäftigung zu kommen. Im Koalitionsvertrag steht ja eine Begrenzung der Befristung, aber wenn sich die Personalpolitik nicht ändert, dann wird sich durch diese Koalitionsvereinbarung auch nicht viel ändern. Da ist der öffentliche Dienst natürlich besonders in der Verantwortung und dort wird immer passgenau auf jeden Anlass ein befristeter Vertrag unterzeichnet.
    Und in einer großen Organisation wie Bundesbehörden, Landesbehörden oder kommunale Behörden gibt es natürlich immer eine Schwangerschaftsvertretung. Da ist immer jemand krank, den man ersetzen muss. Und wenn man da auf jeden Einzelvertrag immer eine Befristung ansetzt, dann sind das sehr hohe Quoten. Da muss man personalpolitisch ganz anders herangehen. Man weiß ja, dass bei tausend Leuten immer fünf krank sind und ein bestimmter Prozentsatz in Elternurlaub ist. Man kann da mit höheren Reservequoten von Unbefristeten arbeiten und muss nicht immer bei diesem Anlass befristen. Das erfordert natürlich ein Umdenken in der öffentlichen Hand, wovon wir noch weit entfernt sind.
    Zerback: Die Linke fordert jetzt von der Bundesregierung im Zusammenhang mit mehr Fehlzeiten durch Stress eine Anti-Stress-Verordnung, die zeigt, was gegen psychische Belastung im Job getan werden muss. Halten Sie das für sinnvoll und wie müsste eine solche Verordnung aussehen?
    Bosch: Das ist eine Forderung, die kommt von den Gewerkschaften schon seit einigen Jahren. Die IG Metall hat sogar eine Art Gesetzesentwurf vorgelegt. Die Gegenposition ist, wir haben im Grunde genommen schon eine Anti-Stress-Verordnung, nämlich aufgeteilt auf verschiedene Gesetze. Nach dem Arbeitssicherheitsgesetz muss man eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen. Oder das Arbeitszeitgesetz hat ja gewisse Schutzvorschriften. An beiden Argumenten ist etwas dran. Ich glaube, dass das entscheidende Problem nicht in einer Verordnung ja oder nein liegt, sondern in der wirklichen Umsetzung auf betrieblicher Ebene. Macht man eine Gefährdungsbeurteilung, was den Stress am Arbeitsplatz angeht, und welche Maßnahmen ergreift man. Daran hapert es eigentlich in Deutschland.
    "Wenn bestimmte Leute nicht mehr mithalten können, dann ersetzt man sie"
    Zerback: Das hat auch Die Linke angemahnt. Da ist es ganz schwierig, allein schon an Zahlen zu kommen. Das hat sich bei dieser Anfrage jetzt wieder einmal gezeigt. Da wurden dann unterschiedliche Faktoren abgefragt. Schlagen Sie da vor, dass auch die Unternehmen dort nacharbeiten, weil für die müsste es doch im Interesse sein, das zu ändern, allein schon, damit diese wahnsinnigen Kapazitäten nicht verloren gehen?
    Bosch: Manche Unternehmen haben natürlich überhaupt gar kein Interesse. Wenn ich denke, die Bedingungen bei Amazon, die vollkommen durchgetaktet sind, da arbeiten Sie mit einem Scanner. Man kann sofort feststellen, ob ein Stillstand bei Ihnen vorliegt, ob Sie sozusagen inaktiv sind. Die haben ein Interesse an einer Verdichtung der Arbeit und wenn bestimmte Leute nicht mehr mithalten können, dann ersetzt man sie. Andere Firmen gehen natürlich einen anderen Weg. Sie wissen, dass sie qualifizierte Mitarbeiter haben und dass die Fehlzeiten sie sehr viel Geld kosten können und tatsächlich kosten, und investieren sehr viel in Gesundheitsmanagement, in Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Aber häufig wird die ganze Strategie des Gesundheitsmanagements wieder konterkariert durch den Arbeitsdruck und die schlechte Arbeitsorganisation an anderer Stelle. Wir haben einen Widerspruch zwischen der Förderung der Gesundheit, dem Abbau von Stress durch einige Maßnahmen und die zunehmende Kurzfristigkeit in dem Arbeitsdruck auf der anderen Seite.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.