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Perspektiven für die Energiewende

Die Energiewende wird in ihrer Dimension häufig unterschätzt, sie umfasst, wie Energie erzeugt und vor allem verbraucht wird. Experten vergleichen den Umfang der Wende mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Anstatt eines Masterplans für dieses Mammutprojekt werden derzeit meistens nur Teilaspekte diskutiert.

Von Manuel Waltz | 26.08.2013
    Ein morgendlicher Frühstückstisch – im Juni 2013. Jemand schlägt eine der großen überregionalen Zeitungen auf und stößt auf eine recht ungewöhnliche Aktion der IG Metall: eine große, einseitige Anzeige mit der Überschrift:

    "200.000 Arbeitsplätze sind in Gefahr, Deutschland braucht die Energiewende, jetzt!"

    Ungewöhnlich ist einerseits, dass die Gewerkschaft so explizit zu einem Thema Stellung nimmt, das nicht direkt ihre Interessen betrifft und über das – zumindest auf den ersten Blick – Konsens unter den Parteien herrscht. Die Unterzeichner, darunter die IG-Metall-Vorsitzenden und die Gesamtbetriebsräte einiger der größten deutschen Industrieunternehmen, fordern, die aktuell herrschende Blockade bei der Energiewende aufzulösen, um wieder Planungssicherheit für die Industrie, für neue Investitionen und somit Arbeitsplätze zu schaffen. Jürgen Kerner sitzt im Vorstand der IG Metall und war maßgeblich an der Anzeige beteiligt.

    "Das ist eine Kritik an der aktuellen Bundesregierung, uns fehlt ein klares Gesamtkonzept. Deswegen auch diese Anzeigenkampagne, dieser Aufruf nach dem Motto: Politik, ihr müsst jetzt handeln, ansonsten steht nicht nur die Energiewende zur Disposition, sondern es geht auch um industrielle Arbeitsplätze in Deutschland."

    Die IG Metall steht mit dieser Ansicht nicht allein da. "Agora Energiewende" etwa ist eine Initiative zweier gemeinnütziger Stiftungen, die versucht, die Energiewende überparteilich und unabhängig voranzubringen und ihr zum Erfolg zu verhelfen. Dabei setzt sie vor allem auf wissenschaftliche Expertise. Rainer Baake ist der Direktor.

    "Also auf der einen Seite vermisse ich eine klare Problemanalyse und darauf aufbauend einen konsistenten Plan, wie die Energiewende jetzt in der nächsten Phase umzusetzen ist. Es gibt in Teilbereichen durchaus Fortschritte, zum Beispiel bei der Planung unserer Stromnetze, da sind wir einige Schritte vorangekommen. Aber diese Gesamtkonzeption, die fehlt mir."

    Die Energiewende wird in ihrer Dimension häufig unterschätzt, denn sie umfasst die gesamte Art und Weise, wie Energie erzeugt und vor allem verbraucht wird – dazu zählt der normale Stromverbrauch aber auch die gesamte Mobilität genauso wie die Wärmeerzeugung, sprich Heizungen. Experten vergleichen den Umfang mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Anstatt eines Masterplans für dieses Mammutprojekt, einer Roadmap, wie die kommenden Schritte zur Umsetzung der Energiewende aussehen sollen, werden derzeit meistens nur Teilaspekte diskutiert. Dabei rücken gerade jetzt im Wahlkampf vor allem die Kosten in den Vordergrund, die hohen Strompreise und die steigende EEG-Umlage.

    Weil die Produzenten von Wind-, Solar- und anderem Ökostrom feste Sätze garantiert bekommen, steigt die EEG-Umlage an, je niedriger der Börsenpreis für Strom sinkt. In den vergangenen Monaten und Jahren ist der Börsenpreis drastisch gefallen, vor allem wegen der erneuerbaren Energien. Dadurch ist die EEG-Umlage kontinuierlich angestiegen. Hinzu kommt, dass Teile der Industrie, die besonders viel Energie verbrauchen, sich von der EEG-Umlage und den Netzentgelten befreien lassen können. Das hat die Umlage für die Privatverbraucher und den Rest der Wirtschaft weiter steigen lassen. Die Regierung sieht die Lösung dieses Problems vor allem darin, den Ausbau zu bremsen, oder wie Thomas Bareiß, der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, es ausdrückt:

    "Ich sage immer, wir haben enorm viel getan. Im Bereich des Ausbaus haben wir Vollgas gegeben und sind aber noch in vielen Bereichen, im Bereich des Speicherausbaus, des Netzausbaus noch mit der Handbremse unterwegs und das kann nicht zusammenpassen. Deshalb müssen wir hier beides in Gleichklang bringen. Wir müssen vielleicht sogar den Ausbau von erneuerbaren Energien etwas reduzieren, drosseln und den Ausbau von Speichertechnologien und Netzausbau beschleunigen, dann wird das synchronisiert, dann macht das einen Sinn und dann wird das auch bezahlbar für die Bürger."

    Die Logik dahinter ist, die Einspeisung von erneuerbarem Strom zu drosseln, wieder mehr Strom aus Kohle zu produzieren und so die EEG-Umlage zu senken. Das passiert allerdings in diesem Jahr bereits, die Umlage steigt aber trotzdem. Rainer Baake von der Agora Energiewende sieht das Problem daher an einer anderen Stelle.

    "Die EEG-Umlage fokussiert die Debatte auf einen bestimmten Bestandteil des Strompreises. Aber wissen Sie, wenn die Preise, die Großhandelspreise für Strom um zwei Cent sinken und die EEG-Umlage um zwei Cent steigt, wo ist dann das Problem? Es liegt jedenfalls nicht beim Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern das Problem ist, dass diese gesunkenen Einkaufspreise der Stromhändler an der Börse nicht bei den Kunden ankommen."

    Für Jürgen Kerner von der IG Metall ist ein Großteil dieser Debatte dem Wahlkampf geschuldet. Für das Projekt Energiewende aber, so der Gewerkschafter, ist sie äußerst gefährlich, denn sie schürt Ängste in der Bevölkerung.

    "Ja, die Energiewende ist, glaube ich, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und es darf nicht dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger im Land die Angst haben, dass es zu ihren Lasten läuft. Und vor allem darf es nicht dazu führen, dass die Menschen mit geringen Einkommen, die überwiegend ja in Mietwohnungen leben, das Gefühl haben: Ich kann mir keine Fotovoltaik-Anlage aufs Dach stellen, ich bin nur mit den Kosten letztendlich konfrontiert, dass die die Kosten zu schultern haben. Deshalb glauben wir auch, dass es einer Neuausrichtung des EEG bedarf, also sprich: Wie finanzieren wir diesen Umstieg?"

    Trotz des viel diskutierten Preisanstiegs ist die Zustimmung zur Energiewende in der Bevölkerung nach wie vor sehr groß. Laut einer kürzlich erfolgten Umfrage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen befürworteten 82 Prozent der Bundesbürger den Ausstieg aus der Atomenergie und einen verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien, 48 Prozent aber sind mit der konkreten Umsetzung unzufrieden. Für Jürgen Kerner ist das ein klares Signal an die Politik.

    "Auch hier muss man überlegen, wie stellt man das System so um, was wird über den Strompreis finanziert, was muss über Steuern finanziert werden? Auch die Atomindustrie wurde massiv mit Steuergeldern unterstützt und da, glaube ich, ist es notwendig auch, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das die Bürgerinnen und Bürger nicht überfordert, sondern die Menschen mitnimmt und ihnen auch das Signal gibt, wir laden die Kosten nicht auf den Schultern der kleinen Kolleginnen und Kollegen hauptsächlich ab."

    Neben der Atomindustrie werden auch fossile Energieformen massiv staatlich gefördert, ohne dass sich dies auf der Stromrechnung bemerkbar macht, allen voran die Steinkohle. Vor allem aber müssen die konventionellen Kraftwerke nur in sehr geringem Maße für Kosten aufkommen, die sie durch die Verschmutzung verursachen. Teilweise sollte der Emissionshandel das ausgleichen, denn Unternehmen müssen seit 2005 für ihr ausgeschiedenes CO2 Zertifikate kaufen.

    Seit geraumer Zeit verfällt allerdings der Preis für diese Zertifikate in Europa, da zu viele von ihnen auf dem Markt sind. Die Europäische Kommission wollte das Angebot deshalb verknappen, um so wieder Anreize zum CO2-Sparen zu geben, was insbesondere die deutsche Bundesregierung verhindert hat. Jürgen Trittin, der Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl, dessen Partei die Energiewende auf Platz Eins ihrer Wahlkampfthemen gesetzt hat, geht entsprechend hart mit der aktuellen Regierung ins Gericht und bemängelt vor allem …

    "… dass über die Zerstörung des Emissionshandels, des wichtigsten Instruments für die Energieeffizienz, Kohlestrom massiv ins Netz gedrückt wird, fast fünfzehn Prozent mehr im letzten Jahr, und gleichzeitig über politische Maßnahmen der Ausbau der erneuerbaren Energien künstlich verteuert wird. Brüderle, Rösler und Merkel haben es fertiggebracht, aus dem EEG, was mal ein Instrument zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energie sein sollte, eine Subventionsmaschine zu machen für Agrarfabriken, Schlachthöfe und Ähnliches."

    Der Wahlkämpfer Trittin ereifert sich über die Ausnahmen bei der EEG-Umlage für große Unternehmen, die die Regierung Merkel deutlich ausgeweitet hat. Dass hierunter teilweise Schlachthöfe oder Golfplätze fallen, hat zu einem Aufschrei in der Bevölkerung geführt, der auch in Brüssel gehört worden ist. Die EU-Kommission hat diese Ausnahmen als wettbewerbswidrige Subventionen bezeichnet und mit einem Verfahren gedroht. Das Bundeskabinett hat inzwischen beschlossen, die Ausnahmen einzuschränken.

    Während der Umbau der Stromerzeugung bereits ein gutes Stück vorangekommen ist, hat die Energiewende einen der größten Verursacher von klimaschädlichem CO2 noch kaum erreicht.

    Autos, Flugzeuge und Schiffe, sie alle werden mit fossilen Kraftstoffen bewegt. Praktisch der gesamte Verkehr – mit Ausnahme der Bahn – ist auf die Verbrennung von Erdölprodukten angewiesen. Biosprit ist hier die einzige nennenswerte erneuerbare Energieform. Seit der Teller-statt-Tank-Debatte wird heute aber eher darüber nachgedacht, wie man wieder weniger Biosprit nutzen kann. Bleiben Fahrzeuge mit Elektroantrieb. Weert Canzler und Andreas Knie sind zwei Mobilitätsforscher aus Berlin. Sie haben kürzlich ein Buch vorgelegt, in dem sie fordern, die Energiewende als Ganzes anzugehen, weil, so Weert Canzler, ...

    "... wir schon seit längerer Zeit glauben, dass es nicht reicht, sich nur auf den Verkehr oder nur auf die Stromproduktion zu konzentrieren, sondern dass enorme Innovationschancen darin liegen, diese Sektoren zu verknüpfen."

    Hierbei spielt die Elektromobilität eine zentrale Rolle. Allerdings sieht der Wissenschaftler die Gefahr, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb um die besten Technologien den Anschluss verliert - was daran liegt, so Weert Canzler:

    "Dass wir natürlich im Bereich Elektromobilität so etwas wie ein Tal durchlaufen gerade, nach dem Hype und der Euphorie 2009, 2010, ist da ja eine ziemlich Ernüchterung eingetreten. Und da drohen dann auch die Chancen zu verschütten, die dort in der Elektromobilität liegen."

    Nur sehr strenge CO2-Grenzwerte würden seiner Ansicht nach einen deutlichen Schub für Elektroautos geben. Nach derzeitiger Rechtslage werden Elektroantriebe generell mit einem CO2-Ausstoß von null gewertet. Real verursachen auch diese Autos Emissionen, allerdings an anderer Stelle, bei einem Kohlekraftwerk beispielsweise. Legt man den aktuellen deutschen Energiemix zugrunde, dann kommen die Fahrzeuge auf etwa 70 bis 100 Gramm CO2 auf 100 Kilometer – gute aber nicht herausragende Werte.

    Dabei gilt aber: Diese Emissionen verringern sich kontinuierlich, je größer der Anteil der erneuerbaren Energien am Strom-Mix wird. Bei 100 Prozent, wie von den Grünen gefordert, betragen sie dann tatsächlich null Gramm. Bärbel Höhn, bei der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für Energie zuständig, kritisiert vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel, da sie ambitionierte CO2-Grenzwerte auf EU-Ebene verhindert habe.

    "Bei den Spritschluckern ist sie diejenige, die auf EU-Ebene für einen hohen CO2-Ausstoß sorgt und da Lobby-Arbeit für die großen Limousinen aus Deutschland macht. Es geht noch weiter, sie fördert mit dem Dienstwagen-Privileg ja sogar diese Autos. Das heißt, viele dieser Spritschlucker würde es gar nicht auf der Straße geben, wenn sie nicht massiv gefördert würden."

    Die deutsche Automobilindustrie ist international vor allem mit Ober- und Luxusklassewagen erfolgreich, die viel CO2 ausstoßen. Zig Tausende Arbeitsplätze hängen von diesem Geschäftsmodell ab – und Steuereinnahmen. Indem die deutsche Bundesregierung niedrigere europäische CO2-Grenzen verhindert, unterstützt sie zwar kurzfristig die Automobilindustrie. Jedoch nimmt sie damit auch den Druck, in neue Technik zu investieren.

    Zwar hat die Bundesregierung die "Nationale Plattform Elektromobilität" ins Leben gerufen und fördert mit viel Geld vor allem die Forschung für Elektrofahrzeuge - Umweltverbände kritisieren allerdings, dass diese Förderung viel zu gering ist, um, wie von der Regierung angestrebt, Leitmarkt für Elektrofahrzeuge zu werden. Selbst in der Industrie gibt es große Zweifel daran, dass die Ziele unter den derzeitigen Bedingungen erreicht werden können. So hat auch bisher nur BMW mit der kürzlich vorgestellten I-Reihe eine komplett neu entwickelte Elektro-Fahrzeug-Serie herausgebracht. Rainer Baake von der Agora Energiewende geht davon aus, dass die größten Anstrengungen bei der Energiewende, technologisch wie gesellschaftlich, noch vor uns liegen.

    "Die letzten zehn, dreizehn Jahre waren technisch eigentlich keine große Herausforderung. Es war politisch oftmals eine sehr, sehr strittige Debatte, aber technisch haben wir das eigentlich viel schneller hingekriegt, als wir uns das alle haben träumen lassen. Aber jetzt in der nächsten Phase, wo wir Richtung 50 Prozent gehen, wo die erneuerbaren Energien zu der dominierenden Quelle werden und das werden vor allen Dingen Wind- und Fotovoltaik-Anlagen sein. Da geht es jetzt um einen Umbau der Stromversorgung. Und wenn wir da die Probleme nicht richtig analysieren, dann werden wir auch nicht die richtigen Antworten finden."

    Laut den Analysen der Agora Energiewende geht es in den kommenden Jahren vor allem darum, die schwankende Energieproduktion aus Wind und Sonne mit dem Energie-Konsum in Einklang zu bringen. Kohlekraftwerke – auch die neuste Generation – sind dazu zu unflexibel, anders als Gaskraftwerke. Ein großflächiger Bau von Strom-Speichern ist nach den Analysen derzeit noch nicht nötig und zu teuer.

    Viel wichtiger, so die Agora Energiewende, ist, dass der Energiekonsum der schwankenden Stromerzeugung angepasst wird. Beispielsweise Aluminiumschmelzen könnten ihren Verbrauch flexibel gestalten. Aber auch die Bürger müssten sich umstellen. Nach Ansicht von Weert Canzler steht uns bald der Abschied vom Verbrennungsmotor bevor. Künftig würden wir mit Elektroautos fahren, die dann geladen werden, wenn viel Strom zur Verfügung steht und in knappen Zeiten sogar Energie ins Netz einspeisen könnten. Um das zu organisieren, werden flexible und technisch verbesserte Stromnetze und Stromzähler – sogenannte schlaue Netze, notwendig sein, die immer wissen, wie viel Strom zur Verfügung steht und den Bedarf steuern können. Canzler fordert deshalb ein umfassendes Gesetz, das alle Facetten der Energiewende umfasst.

    "Es soll Anreize geben, diese bisher getrennt betrachteten Bereiche Strom, Transport, Wärme zusammenzudenken. Und es soll vor allen Dingen auch Anreize geben zu Geschäftsmodellen und, das ist der dritte Pfeiler, es soll vor allen Dingen die einzelnen Bürger und die zusammengeschlossenen Bürger in Genossenschaften beispielsweise dazu ermutigen und auch Anreize geben, in diesem Bereich aktiv zu werden und das nicht den großen Playern zu überlassen, die bisher das Spiel gespielt haben."

    Canzler sieht vor allem in der Gesellschaft, in den Bürgern die treibenden Kräfte für die Energiewende, die Bedeutung der großen Energieunternehmen wird in seinen Augen stetig abnehmen.

    Etwa 50 Kilometer südlich von Leipzig hat Ulrich Gumpert sein Ingenieur-Büro "Die Windstromer". Seine Räume sind in dem alten elterlichen Bauernhof untergekommen, hinter der Scheune schnattern Gänse und Hühner. Sein Bruder ist nach wie vor Landwirt. Die Windstromer planen, bauen und betreiben Wind- und Solaranlagen, gemeinsam mit Kommunen, mit Genossenschaften oder anderen Geschäftsformen, zu denen sich die umliegenden Bürger zusammenschließen. Gumperts Erfahrung ist, dass sich so Widerstände sehr leicht überwinden lassen.

    "Also, wenn sozusagen der Anliegerkreis, der damit zu tun hat, auch verdient an dieser ganzen Problematik und auch mitentscheiden kann, wie vorgegangen wird, dann ist auch das Problemfeld eigentlich keins mehr, sondern dann kann man das ganz in Ruhe gestalten."

    Um bei solchen Projekten mitzumachen, muss man nicht reich sein oder ein Grundstück besitzen. Je nach Projektform reichen auch kleinere Einlagen, um teilhaben zu können. Ulrich Gumperts Kraftwerke sind darauf angelegt, dass diejenigen, die die Windräder betreiben, den Strom auch selbst verbrauchen und so doppelt verdienen.

    "Letztendlich kann man da aber den Vorteil daraus ziehen, dass man eben so eine Windenergieanlage oder so einen Windenergiepark nicht nur als Renditeobjekt sehen muss, sondern wenn man es gemeinsam betreibt, also in der gemeinsamen Unternehmerschaft hat man also die Rendite, hat aber auch dann noch selber den Strom."

    Der Wissenschaftler Weert Canzler setzt auf diese Teilhabe der einzelnen Bürger, um einerseits Widerstände gegen einzelne Windräder oder Stromnetze aufzulösen, aber andererseits sieht er darin vielmehr die Möglichkeit, Widerstände gegen die Umstellung von Verhaltensweisen zu lösen. Denn diese Umstellungen von Gewohntem – sei es, das eigene Auto mit hoher Reichweite aufzugeben und auf Carsharing zu setzen oder dass die Waschmaschine nur dann läuft, wenn viel Strom zur Verfügung steht – diese Umstellungen wird es geben müssen, wenn die Energiewende tatsächlich Realität werden soll. Kleine Start-ups, die das managen, könnten die großen Gewinner dieser Umstellung werden, wie das Büro von Ulrich Gumpert.

    Auf dem Weg von Leipzig zu dem Büro der Windstromer führt der Weg vorbei an Braunkohle-Tagebau-Gebieten. Riesige Flächen werden von den Baggern zerwühlt, um die Kohle zu gewinnen, die man im angrenzenden Kraftwerk verbrennt. Der Energie, die dabei gewonnen wird, stehen Tausende Tonnen CO2 gegenüber, die in die Atmosphäre entlassen werden. Der Preis, den die Landschaft, die Umwelt und die Menschen in der Umgebung zahlen, ist extrem hoch.

    Weert Canzler hofft, dass nach der Bundestagswahl endlich wieder Bewegung in die Energiewende kommt. Dass die wie auch immer zusammengesetzte Regierung klare Ziele formuliert und damit Planungssicherheit für alle bisherigen Akteure schafft und auch neue Unternehmen, Gemeinden oder Genossenschaften mit ins Boot holt, um die Chancen der Energiewende zu nutzen.

    "Die sind immens. Und zwar, sowohl was neue Geschäftsmodelle angeht, aber vor allem auch, was Lebensqualität angeht - immens."