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Perthes: Für einen Waffenstillstand wird auch das Assad-Regime benötigt

Für Verhandlungen über eine syrische Übergangsregierung werde ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und der Oppostion benötigt, sagt Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Der Waffenstillstand muss von denen angeordnet werden, die heute die Waffen sprechen lassen." Und das sei auch das Assad-Regime.

Volker Perthes im Gespräch mit Rolf Clement | 08.09.2013
    Rolf Clement: Die Krise um Syrien hat uns in den letzten Wochen, seit dem 22. August, beschäftigt – nicht nur uns, sondern auch die Weltgemeinschaft. Am 22. August hat man festgestellt, dass in einem Vorort von Damaskus C-Waffen eingesetzt worden sind. Es gibt eine Diskussion darüber, von wem das geschehen ist. Es gibt starke Indizien dafür, dass es das syrische Regime war. Da aber gibt es auch andere Positionen. Die UNO hat versucht, dieses zu untersuchen. Meine Damen und Herren, das wissen Sie alles. Der G-20-Gipfel in dieser Woche, die Ministerräte der EU, haben sich mit diesen Fragen befasst. Es steht an eine Abstimmung im amerikanischen Parlament, in Frankreich und Großbritannien haben sich die Parlamente auch schon damit befasst. Die USA drohen mit militärischen Schlägen, andere Staaten, zum Beispiel Großbritannien, sind dagegen. Andere sagen: Jawohl, wir müssen reagieren, aber wir machen nicht mit. Und wiederum Dritte sagen: Wir wollen erst mal genau wissen, wer es denn war. Ich bin jetzt verbunden mit dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Professor Volker Perthes. Herr Perthes, rechnen Sie damit, dass es zu den militärischen Schlägen kommt?

    Volker Perthes: Ich nehme an, von heute aus gesehen, dass es wahrscheinlich ist, dass es einen militärischen Schlag gibt. Und da muss man immer sagen: wenn nicht noch etwas anderes geschieht. Und das andere, was geschehen könnte, wäre ein gemeinsames Vorgehen der – im Wesentlichen – der fünf Großmächte, der fünf im Sicherheitsrat. Damit das geschieht, müsste sich in Russland einiges bewegen, müsste sich ein bisschen auch etwas in Amerika bewegen. Und der wichtigste Beitrag dazu, dass es die Bewegung gibt, wäre sicherlich, dass, während der amerikanische Kongress noch diskutiert und debattiert, ein sehr klarer Bericht der UNO-Waffeninspekteure auftaucht, aus dem man sehr deutlich ablesen kann – direkt oder indirekt –, dass das Regime tatsächlich, wie wir alle vermuten, verantwortlich war für den Chemiewaffenangriff.

    Clement: Rechnen Sie also mit einer klaren Aussage des UN-Berichts?

    Perthes: Nein, die UN hat ja nicht das Mandat, Schuld zuzuweisen. Aber in einem solchen Bericht wird natürlich auftauchen, was man gefunden hat – ich sag mal – an Geschossteilen und an Resten von chemischer Munition. Und es ist schon bekannt und ist vor allem in Russland bekannt, mit was die syrische Armee ausgerüstet ist und welche Artilleriewaffen es dort gibt, die was verschießen könnten und welche Munition oder welche Munitionsbehälter möglicherweise auch von Russland nach Syrien geliefert worden sind.

    Clement: Aber im Ergebnis sind das doch alles – ich sag mal: nur - Indizien, wirkliche Beweise, dass vielleicht nicht irgendein anderer die Dinger geklaut hat, bei der syrischen Armee, die hat man ja nicht.

    Perthes: Ja, sie können nicht völlig ausschließen, dass irgendein Rebell oder irgendeine Rebellenorganisation tatsächlich an einem der syrischen Chemiewaffenlager einige Granaten klaut. Aber dass sie dann gleichzeitig auch noch in einem Gebiet, wo die syrische Armee in Kontrolle ist, Geschütze aufstellt, Artilleriegeschütze aufstellt, die die Granaten verschießen, gleichzeitig in vier, fünf verschiedene Orte – da muss man schon furchtbar viel Fantasie haben, um sich so etwas vorzustellen.

    Clement: Wie könnte denn eine Lösung aussehen, die die Amerikaner, die die Russen tragen, die unterhalb eines militärischen Schlags ist?

    Perthes: Ich denke, wir müssen uns klarmachen: Was sind die strategischen und nicht nur die taktischen Ziele in dieser Auseinandersetzung zwischen Putin und Obama, und wer führt wen vor, oder wer ist ein guter Gastgeber auf diesem G-20-Gipfel? Die großen Ziele für beide Staaten sind, dass diese internationale Norm Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes eingehalten wird. Da steht die USA hinter, da steht auch Russland hinter, schon weil Russland eine Atommacht ist und überhaupt nicht will, dass irgendwelche kleineren Staaten auch Massenvernichtungswaffen haben oder sie einsetzen. Das ist das eine. Es gibt auch, zumindest wird das so ausgedrückt, von beiden einen gemeinsamen Willen, den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Das haben Kerry und Lawrow ja mehrfach versucht, eine Konferenz zusammenzubekommen, ein Szenario zusammenzubekommen mithilfe des UNO-Vermittlers Lakhdar Brahimi, der eine Konferenz ermöglicht, auf der man dann eine Transitionsregierung installieren kann oder sich auch eine Transitionsregierung einigen kann für Syrien. Da gibt es bisher große Konflikte, wie das aussehen soll, und die lokalen Parteien müssen natürlich mitmachen. Aber aus auch unterschiedlichen Gründen, zum Teil unterschiedlichen Gründen, wollen sowohl die Russen als auch die Amerikaner, dass dieser Krieg in Syrien endet – schon wegen der Gefahr, dass er sich in der Region ausbreitet. Und wenn man von diesen beiden Interessen ausgeht, dann kann man sich natürlich was anderes vorstellen als einen militärischen Schlag. Dann kann man sich vorstellen, dass Russland dem Regime in Damaskus die Unterstützung entzieht, dass Russland sagt: Ja, wir wollen eine solche Transitionskonferenz, wir halten nicht mehr daran fest, dass Präsident Assad weiterhin Präsident bleibt.

    Clement: Kann man einen Präsidenten überhaupt noch tolerieren, der, wenn es denn so war, C-Waffen einsetzt? Hat nicht der Beweis dieses Einsatzes durch das Regime jede Verhandlungsposition Assads auch zerstört?

    Perthes: Aus ethischen Gesichtspunkten haben Sie recht. Da kann man ein solches Regime nicht tolerieren. Gleichzeitig: Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir sehr klug überlegen, was es da zu tun gilt. Wenn man Verhandlungen führt, um eine Übergangsregierung auf den Weg zu bringen. Die Teile der derzeitigen Regierung und Teile der Opposition miteinander zusammenbringt, dann müssen Sie einen Waffenstillstand haben. Der Waffenstillstand muss von denen angeordnet werden, die heute die Waffen sprechen lassen. Und das ist nach wie vor der syrische Präsident Assad, wie immer er auch moralisch diskreditiert ist. Also braucht man zumindest für den Beginn solcher Verhandlungen auch das Assad-Regime. Da hat Russland einigen Einfluss. Und deshalb wäre es wichtig, dass Russland erkennt, dass die Zukunft Syriens zwar aus Elementen der heutigen Regierung, des heutigen Regimes mit anderen zusammen besteht, aber eben, wie Sie gesagt haben, dass ein Präsident Assad nicht mehr tragbar ist.

    Clement: Was muss denn eigentlich ein solcher Militärschlag leisten, um vielleicht in einem Zweitschritt eine solche Konferenz möglich zu machen? Wenn Russland sich weiter verweigert, könnte es so sein, dass man durch einen Militärschlag sagt: Okay, jetzt müssen wir aber dringend reden? Und man die Truppen dann zusammenkriegt, die da verhandeln müssen.

    Perthes: Ein solcher Militärschlag müsste zwei Dinge tun und er dürfte eines nicht tun. Das eine, das er nicht tun darf, ist, dass er einen Verhandlungsprozess verhindert, weil Bashar al Assad und seine unmittelbare Umgebung glauben, dies ist jetzt ein Enthauptungsschlag, und das Einzige, was wir tun können, ist, jetzt noch alle unsere Waffen und alle unsere Munition rausholen und so zusagen diesem Kampf begegnen. Das darf nicht geschehen. Was geschehen müsste, wäre a), dass es tatsächlich, und das ist ja, wovon Präsident Obama auch ausgeht, eine Abschreckung gibt gegen jeden weiteren Chemiewaffeneinsatz in Syrien oder letztlich auch über Syrien hinaus, und b), dass bestimmte Elemente militärischer Überlegenheit, ich sage mal Raketenwerfer, Flugzeuge, mit denen das Regime heute die von den Rebellen gehaltenen Gebiete terrorisiert, dass diese Elemente der militärischen Überlegenheit des Regimes zerstört oder unschädlich gemacht werden, sodass insbesondere die Umgebung von Präsident Assad mehr und mehr überzeugt wird, dass Verhandlungen die bessere Alternative sind, dass man einen Kampf nicht zum Sieg bringen kann, dass man nicht militärisch siegen kann gegen die Rebellen und dass es dann immer noch besser ist, sich mit den Rebellen auf ein gemeinsames Syrien zu einigen als eine ewige Verliererschlacht in einem Staat zu führen, der sich allmählich zerlegt.

    Clement: Nun haben wir die Situation, dass wir im Prinzip seit dem 22. August darüber reden, dass da was passieren muss. Ein Regime, das nun erlebt: Okay, wir sind hier seit dem 22. August unter dem Druck, dass möglicherweise ein Schlag gegen uns geführt wird, hat natürlich inzwischen die Chance genutzt, all das, was man unter Umständen zerstören könnte, so zu verstecken, dass man es nicht findet. Sie sprachen von Raketen, andere sprechen von Hubschraubern, die das Ungleichgewicht im Feld in Syrien auch noch beeinflussen könnten, abbauen könnten. Findet man die Dinge überhaupt, dass man sie so schnell mit einem möglichen Schlag oder mit wenigen Schlägen, mit wenigen Operationen überhaupt so vernichten kann, dass man dieses Ziel erreicht?

    Perthes: Also, ich bin ja nun kein Militärexperte, der Ihnen genau sagen kann, mit welchen Aufklärungssystemen von Satelliten oder Flugzeugen oder elektronischer Aufklärung und welches Gerät am Boden finden kann. Da gibt es andere Experten, die das können. Tatsächlich ist es sicherlich so, das ist die Logik, denke ich mal, eines solchen Apparates, dass man bestimmte Waffen versteckt. Aber solange man die versteckt, würde ich mal sagen, kann man sie auch gerade nicht einsetzen. Das hat, vorübergehend zumindest, eine heilsame Wirkung, da sie nicht in Betrieb sind und nicht starten und nicht landen und nicht in Hangars stehen, die bekannt sind. Ich nehme mal an, dass ein militärischer Schlag mit Cruise Missiles, über den ja in den USA ausführlich rauf und runter diskutiert wird, noch genug tun könnte, um die Kräfteverhältnisse am Boden zu verändern.

    Clement: Das ist zwar verschüttete Milch, trotzdem die Frage: wenn man Russland vorher eingebunden hätte, also früher auf Russland zugegangen wäre und gesagt hätte: Können wir hier mal was Gemeinsames hinbekommen in der Attacke gegen die C-Waffen, Attacke mein ich jetzt nicht militärisch, sondern auch politisch - hätte das eine Chance gehabt, oder musste sich das so zuspitzen auf die Situation, in der wir jetzt sind?

    Perthes: Es musste sich nicht auf die Situation zuspitzen, aber hier gehören, wenn Sie mir die Metapher erlauben, zum Tango wirklich immer zwei. Es ist schon versucht worden, Russland einzubinden, also die ganze Diplomatie zwischen Lawrow und Kerry auch, die diplomatischen Bemühungen etwa zwischen Deutschland und Russland – relativ klare Botschaften seitens der westlichen Staaten, dass man hier nicht russisches Einflussgebiet reduzieren will, dass niemand den Russen ihren Hafen oder die Nutzung des Hafens in Tartus streitig machen will, dass man nicht den russischen Einfluss auf jede zukünftige Regierung in Damaskus beschneiden will. Ich denke mal, auch die USA, die ja wirklich keinen Krieg führen will – das ist ja die Ironie der Geschichte, dass Obama gerade nicht in Syrien militärisch aktiv werden wollte - gerade die USA wären bereit gewesen, Russland auch die Führung bei einem Transitions-, bei einem Übergangsprozess in Syrien zu überlassen.

    Clement: Nun haben die Amerikaner den Mund gespitzt, vor allen Dingen Präsident Obama. Wenn er nun nicht pfeift, verliert er damit nicht Ansehen im Nahen Osten, in der Region, in der Welt?

    Perthes: Ja, nicht nur im Nahen Osten, Sie sagen das ganz richtig. Das ist das Dilemma einer Supermacht, die bei allen Kräfteverschiebungen, die wir heute in der Welt haben, immer noch die Supermacht ist, die überall in der Welt letztlich als Ordnungsmacht wahrgenommen wird und von der niemand will, dass ihre Autorität total unterminiert wird. Und wenn man dann sagt als Chef einer solchen Supermacht: Es gibt hier eine rote Linie, die darf niemand überschreiten, und dann wird diese rote Linie überschritten und man reagiert letztlich gar nicht, dann kann man es auch aufgeben, an anderen Stellen rote Linien zu setzen und zu sagen: Egal in welchem Kontinent dieser Welt – hier darf eine Grenze nicht überschritten werden oder dort dürfen bestimmte Waffen nicht eingesetzt werden. Das wäre eine unglaubliche Unterminierung der Ordnungskraft der USA und hätte erhebliche Implikationen für das gesamte internationale System.


    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk untersuchen wir die Lage in und um Syrien mit dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik Volker Perthes: Also wäre der US-Präsident, der nicht agiert vielleicht in den Augen vieler eine "lame duck"?

    Perthes: Man würde ihm wahrscheinlich in den USA das Kleid der lahmen Ente anziehen. Wir müssen uns auch überlegen, was heißt das Ganze für Syrien, was heißt das für den Nahen Osten, was heißt das für die Welt? In Syrien würde es sicherlich dazu führen, dass all diejenigen, die heute darauf hoffen, dass die USA die Dinge in Bewegung bringen, insbesondere die Opposition unglaublich enttäuscht wären und dass der Extremismus zunehmen würde. Andere würden einsteigen und eher radikalere Kräfte finanzieren. Der Zulauf zu Rebellen und Oppositionsorganisationen, die eigentlich ein demokratisches, im weitesten Sinne westlich oder international orientiertes Regime wollen, würden abnehmen. In der Region hätte die USA keinerlei Autorität mehr. Das gälte auch für andere Staaten. Das gälte für Iran, das gälte für Israel, das gälte für den Irak, wie immer er sich aufstellt. Und in der Welt würden alle diejenigen, die sagen "Aha, die USA ist doch eine absteigende Macht, und China steigt auf und Indien steigt auf", alle diejenigen, die das sagen, würden sich bestätigt fühlen.

    Clement: Aber jetzt muss ich noch mal nachfragen. Es gibt ja die viel geäußerte Meinung, wenn die Amerikaner was tun, wenn sie etwas militärisch tun, dann würden sie die radikalen Kräfte fördern, dann würden sie Terrorismus schüren und würden den weiter unterstützen. Sie sagen jetzt, genau das passiert auch, wenn sie nichts tun. Ist es also ein Dilemma, aus dem man eigentlich gar nicht unbeschädigt herauskommt?

    Perthes: Wir sehen ja, was im letzten Jahr oder in den letzten zwei Jahren geschehen ist. Radikale Kräfte in Syrien bei der syrischen Opposition haben an Kraft gewonnen, im Wesentlichen, weil sie aus bestimmten Ländern der Region finanziert werden und weil andere Kräfte eben nicht finanziert oder nicht unterstützt werden, jedenfalls nicht im ausreichenden Maße unterstützt werden. Das Nichtstun der internationalen Gemeinschaft, oder wenn sie es konkreter wollen, das Nichtstun der USA und das Wenigtun der Europäischen Union – und es geht hier nicht nur um Militär, es geht um Unterstützung insgesamt – fördert im Zweifelsfall radikale, extremistische Kräfte.

    Clement: Schauen wir mal in die Region. Der Iran hat eine neue Regierung. Die sortiert sich gerade. Insofern könnte man da ja auch das eine oder andere Signal hinsetzen. Man hofft von dort auf Signale. Wie wirkt dieses Szenario um Syrien mit den verschiedenen Optionen auf den Iran? Welche Rolle spielt er bei diesem Spiel?

    Perthes: Im Iran wird gerade heftig nachgedacht und sich heftig gestritten. Was das Verhältnis zu Syrien angeht. Wir haben gehört, dass der ehemalige iranische Präsident Rafsandjani, ein enger Verbündeter des derzeitigen Präsidenten Rohani, am letzten Wochenende davon gesprochen hat, - ich zitiere das mal so aus dem Gedächtnis – dass die armen Syrer von ihrer Regierung vergast werden und dann auch noch einen ausländischen Angriff befürchten müssen. Das heißt, hier sehen wir, dass es im Iran Kräfte gibt, die sagen, dass, was das Regime in Syrien macht, ist auch für uns unerträglich. Ja; das sind Verbündete, ja, wir wollen keinen internationalen Angriff auf Syrien. Aber so, wie Assad das macht, geht es auch nicht mehr. Und das ist natürlich eine Öffnung, die genutzt werden sollte, um einen politischen Prozess auf den Weg zu kriegen. Es würde absolut nicht ausreichen, wenn man in den USA nur darüber nachdenkt, ob man oder auf was man Cruise Missiles schicken kann. Mit einem militärischen Schlag beenden Sie keinen Bürgerkrieg und schaffen Sie vor allem keinen Frieden, sondern es muss ein politischer Kontext gebaut werden innerhalb Syriens zwischen den Parteien, die sich hier bekriegen, aber auch mit allen regionalen Kräften und allen internationalen Kräften, die Einfluss haben. Und da gehört Iran dazu.

    Clement: Sehen Sie Ansätze in der westlichen Staatengemeinschaft, just diesen Ansatz zu verfolgen?

    Perthes: Es gibt schon ein heftiges Nachdenken darüber, ob man nicht Iran involvieren muss – nicht unbedingt involvieren will, aber involvieren muss. Iran hat objektiv Einfluss. Selbstverständlich – da haben wir eben drüber geredet – muss Russland Teil einer internationalen Lösung sein. Da wird schon deutlich drüber nachgedacht. Vielleicht ist die Generalversammlung der Vereinten Nationen Mitte September, wo auch der iranische Präsident hinkommen will, eine Chance, um hier am Rande eines solchen Treffens sehr intensive Gespräche zu führen, wie man weiter macht, was der politische Kontext ist, mit dem man in Syrien den Bürgerkrieg beenden will. Denn beenden muss man ihn, wenn man ihn nicht weiter brennen lassen will mit allen Auswirkungen, die das für die Nachbarschaft hat.

    Clement: Schauen wir in eine andere Richtung. Schauen wir auf Israel. Israel hat sich in dieser Woche zu Wort gemeldet mit dem Abschuss einer Übungsrakete, hat auch gesagt, wir sind auch noch da, beklagt sich darüber, dass es in die ganzen Gesprächsprozesse zurzeit nicht eingebunden ist. Wie lange wird Israel noch stillhalten?

    Perthes: Israel wird so lange stillhalten, wie es nicht angegriffen wird. Und ich denke, es wird nicht angegriffen werden. Das, was wir gesehen haben, auch diese Raketenübung, ist eine Art von, wenn Sie so wollen, militärischer Kommunikation mit Damaskus. Man zeigt sehr deutlich, nachdem man das vorher geäußert hat, wir sind in der Lage, auch Raketen aus Syrien abzuwehren. Wenn ihr uns in den Krieg ziehen wollt, dann wissen wir uns zu wehren, dann können wir Raketen auf euch schießen. Wenn ihr euren Bürgerkrieg alleine führt, dann haben wir kein Interesse daran, wie er ausgeht. Dann werden wir uns auch nicht einmischen.

    Clement: Ist denn zu erwarten, dass in einer möglichen Gegenreaktion auf einen Angriff Syrien auch in Richtung Israel zielt?

    Perthes: Naja, das ist vermutet worden, und deshalb eben solche Übungen und solche Signale aus Israel, die heißen, der Ausgang des syrischen Bürgerkrieges, da wollen wir uns nicht einmischen. Aber wenn ihr uns hineinziehen wollt in euren Bürgerkrieg, dann werden wir reagieren und dann wird euch das wehtun in Damaskus.

    Clement: Rechnen Sie denn auch mit Reaktionen in Richtung Türkei?

    Perthes: Ich sehe das eher nicht. Ich glaube, dass - und das ist nun ganz, ganz schwierig, hier zu spekulieren. Aber wenn Sie sagen, was ist wahrscheinlich, würde ich sagen, ich glaube, dass die syrische Regierung in Damaskus, so wie wir das beschrieben haben, sich vorbereitet auf Schläge, indem sie viel Gerät versteckt, und versucht zu schützen und dass sie nach einem militärischen Schlag in Syrien selbst zu zeigen versuchen wird, dass sie nach wie vor in der Lage ist, Siege über Rebellen zu erreichen, indem er die eine oder andere Rebellenhochburg überrennt oder Ähnliches versucht. Syrien hat sicherlich kein Interesse, Nachbarländer, noch dazu welche, die in der NATO sind oder die sich deutlich wehren können, in den Krieg hinein zu ziehen und damit sich in einen internationalen Krieg zu begeben.

    Clement: Herr Perthes, wir in Deutschland analysieren das natürlich alles sehr nüchtern. Sie kennen sich ja auch im Nahen Osten sehr gut aus. Ist diese nüchterne Denkweise, wie wir sie machen, das Abwägen von Interessen, ist das dort auch an der Tagesordnung oder gibt es da auch mal einen, der dann in so einer Situation auch mal emotional reagiert und sagt, jetzt haue ich einfach mal zurück - platt ausgedrückt?

    Perthes: Ich glaube, es gibt in jeder Kultur Menschen, die emotional reagieren und die rational reagieren. Manchmal sind die gleichen Menschen, die das in unterschiedlichen Situationen tun. Assad hat sich, einer sehr eigenen Rationalität folgend, dafür entschieden, den ursprünglich zivilen Aufstand, die zivilen Proteste in seinem Land militärisch niederzuschlagen. Und er ist dieser Logik gefolgt bis hin, wie wir mit großer Sicherheit annehmen, zum Chemiewaffeneinsatz Ende August. Und er rühmt sich selbst immer, wenn man mit ihm spricht, wenn er mit ausländischen Staatsmännern spricht, dass er jemand ist, der logisch denkt, der nachdenkt, bevor er etwas tut. Insofern glaube ich schon, dass mit dem wesentlichen Ziel, mit dem höchsten Ziel, selbst zu überleben, dass sein Regime überlebt, dass er dort versuchen wird, weiter den Bürgerkrieg zu gewinnen und nicht zu versuchen, gegen Israel oder die Türkei oder Amerika zu gewinnen.

    Clement: Wenn man mal die militärischen Auseinandersetzungen der letzten 20 Jahre ein bisschen an uns vorbeiziehen lässt, Milosovic in Jugoslawien hat eigentlich auf die Luftangriffe sehr wenig reagiert, er hat sie hingenommen. In Afghanistan war das nicht ganz so, aber so ähnlich. In Libyen gab es überhaupt keine Gegenwehr. Ist auch zu erwarten, dass auch Syrien das einfach so hinnimmt, wie das die anderen Länder haben und sagt, okay, ihr versucht mir jetzt einige Waffen zu nehmen, einige Raketen, einige Hubschrauber. Ich werde danach zeigen, wie stark ich noch bin. Ist das ein Szenario, was Sie für wahrscheinlich halten?

    Perthes: Es ist zumindest ein plausibles Szenario. Aber ich glaube, man sollte bei Szenarien über kriegerische Entwicklungen sich nicht auf ein mehr oder weniger Wahrscheinliches festlegen, denn Kriege entwickeln sich immer etwas anders, als sie in den Stäben geplant werden. Das wird auch für eine militärische Auseinandersetzung mit oder gegen Syrien gelten. Aber ja, es ist plausibel, dass man sich – um in einer Bildersprache zubleiben – in Damaskus gewissermaßen duckt und sagt, wenn das alles vorbei ist, dann zeigen wir den Rebellen aber, dass wir immer noch nicht gebrochen sind.

    Clement: Das würde bedeuten, dass es tatsächlich bei sehr begrenzten, kurzen Schlägen bleiben kann und man nicht in einen dauerhaften Konflikt oder die dauerhafte Beteiligung an diesem Konflikt hineinrutscht.

    Perthes: Ja, das ist richtig. Aber da wird man sich trotzdem fragen, was haben wir damit gewonnen? Und ohne einen politischen Kontext hat man nichts gewonnen außer, dass man einiges zerstört hat. Also müsste, wenn sich ein militärischer Schlag nicht durch internationale Diplomatie, die Russland einbezieht, abwehren lässt und man einen politischen Tansitionsprozess hinbekommt, dann müsste es einen politischen Plan geben, eine politische Strategie für den Tag nach dem Militärschlag, die gleichzeitig heißt, wie beenden wir diesen Krieg? Wie schaffen wir es, dass ein dann militärisch geschwächtes Regime sich darauf einlässt, mit den Rebellen ernsthaft zu verhandeln und nicht nur pro forma zu verhandeln. Gibt es Szenarien, gibt es Pläne, die zumindest große Teile der Umgebung Assads, von den Offizieren und von den Beamten und von der Zivilgesellschaft in der von ihm gehaltenen Gebiete überzeugt, dass es besser ist, sich einzulassen auf Verhandlungen mit der Opposition, um das Land zu erhalten und es wieder aufzubauen.

    Clement: Herr Perthes, wann rechnen Sie denn damit, dass es losgeht? Wie sieht der Zeitplan aus?

    Perthes: Ich weiß nicht, ob es hier einen klaren Zeitplan gibt. Es gibt eher sozusagen eine Uhr, die tickt, aber die mal schneller und mal weniger schnell tickt. Wir wissen, wie der Zeitplan für die Diskussion im amerikanischen Kongress aussieht. Da wird bis zum Ende der Woche, also bis zum 13. September oder bis zum Anfang der Woche danach, 16./17. September debattiert und dann irgendwann abgestimmt werden. Ungefähr um diese Zeit, das kann man zumindest hoffen, müsste auch der Bericht der Chemiewaffeninspekteure vorliegen.

    Clement: Also wir haben noch mindestens eine Woche Ruhe nach dem, was Sie sagen. Und danach vielleicht den Bericht und die UNO-Vollversammlung. Das kann vielleicht Hoffnung geben, Herr Perthes. Herzlichen Dank für dieses Gespräch..

    Perthes: Sehr gern, Herr Clement.

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