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Perthes: Militärrat will Macht abgeben und Privilegien behalten

Der Militärrat Ägyptens sei für den Umsturz wichtig gewesen, sagt Volker Perthes. Dennoch sei dieses Gremium in Regierungsfragen inkompetent. Das Ziel der Militärs sei es nun, die Kontrolle über ein Parlament zu bekommen, so der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Volker Perthes im Gespräch mit Peter Kapern | 25.01.2012
    Peter Kapern: Heute vor einem Jahr begann in Ägypten der Aufstand gegen Staatspräsident Mubarak und seine Diktatur. Heute, ein Jahr später, werden wir ein gespaltenes Land sehen, das aus diesem Anlass zwei unterschiedliche Feste feiert. Der regierende Militärrat veranstaltet ein pompöses Fest mit Militärparade und Feuerwerk und die enttäuschte Opposition wird demonstrieren, weil sie den Verdacht hegt, dass das Militär in Wahrheit gar nicht von der Macht lassen und von der Demokratie also gar nichts wissen will.

    Bei uns am Telefon ist nun Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Perthes.

    Volker Perthes: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Perthes, der Ausnahmezustand, der 30 Jahre lang über Ägypten verhängt war, wird also heute aufgehoben. Wie bewerten Sie das? Welche Bedeutung hat das für das Land?

    Perthes: Also es ist ein wichtiges Zeichen, ein wichtiges Symbol für all diejenigen, die an der Revolution, wie die Ägypter den Umsturz nennen, beteiligt waren, dass sich tatsächlich etwas getan hat. Es ist gleichzeitig ein Versuch des Militärrats, die Lage zu entspannen, der Opposition entgegenzukommen. Aber es ist drittens auch ein Stück weit ein Schachzug, womit der Militärrat sagt, derzeit entscheiden wir. In der Vergangenheit ist der Ausnahmezustand immer durchs Parlament verlängert worden; der Militärrat hat jetzt signalisiert, wir heben ihn auf, wir überlassen das nicht dem neuen Parlament.

    Kapern: Es fällt aber auch auf, dass dieser Ausnahmezustand für überhaupt nicht näher definierte Gewaltverbrechen weiter gelten soll. Ist das nicht so etwas wie ein systematisches Vorgehen des Militärrats, der mal einen Schritt vor, dann wieder zwei zurückmacht, der dann doch wieder nicht so richtig von seiner Macht lassen will?

    Perthes: Na ja, ich habe ja gesagt, hier ist ganz viel Symbolpolitik. Es geht darum, Entspannung zu zeigen, es geht darum zu zeigen, wer die Kontrolle über die Dinge hat, und natürlich bleiben hier, was die Implementierung, die Umsetzung dieses Beschlusses angeht, ganz große Grauzonen, wie in ganz vielen Sachen, wie in ganz vielen Bereichen der Politik, die nach Kairo zurückgekehrt ist. Wir haben jetzt eben ein gewähltes Parlament, das Ansprüche hat zu entscheiden, mit zu entscheiden, die Regierung zu kontrollieren. Wir haben einen Militärrat, der sagt, er lässt sich durch dieses Parlament noch nicht kontrollieren, erst muss es Präsidentenwahlen geben. Es wird gleichzeitig über eine Verfassung verhandelt, die dann ja hoffentlich klarer sein sollte, was etwa die Regeln für einen Ausnahmezustand sind. Ich glaube, das wäre nicht anders zu erwarten, ein Jahr nach einem solchen Umsturz, als dass wir hier noch sehr viele Grauzonen hätten, sehr vieles, was verhandelt und ein Stück weit auch ausgekämpft werden muss.

    Kapern: Könnte es sein, dass hinter diesem Hin und Her etwas mehr steht als ein temporäres Machtspiel? Könnte es sein, dass der Militärrat die Demokratisierung eigentlich gar nicht will?

    Perthes: Die Mitglieder des Militärrats sind natürlich keine geborenen Demokraten. Ich glaube, hier müssen wir die realen Widersprüche, die sich dem Militärrat zeigen, auch deutlich machen. Sie waren wichtig, damit die Revolte, der Umsturz gegen Mubarak stattfinden konnte, dass die Polizei nicht den Aufstand blutig niederschlagen konnte, sie sind wichtig, um Chaos und Bürgerkrieg zu verhindern, aber gleichzeitig verstehen sie absolut nichts vom Regieren, haben sich dort in vielerlei Hinsicht als inkompetent erwiesen, verstehen auch nichts von den sozioökonomischen Fragen, die bearbeitet werden müssen, sie wollen die Macht abgeben, weil sie wissen, dass sie nicht regieren können, aber sie wollen ihre Privilegien behalten und sie wollen nicht unter die Kontrolle einer zivilen Regierung oder die Kontrolle eines Parlaments kommen. Diese Widersprüche sind da und die haben wir in anderen Ländern, die eine Transformation gemacht haben vom autoritären Regieren zum parlamentarischen Regieren, auch gehabt - denken Sie an Lateinamerika oder denken Sie an die Türkei. Ich denke, wir werden hier noch nicht nur Monate, sondern Jahre von Tauziehen haben zwischen den militärischen Autoritäten und neuen gewählten Autoritäten.

    Kapern: Aber immerhin, Herr Perthes, haben Sie gerade gesagt, der Militärrat will die Macht abgeben. Es gibt viele Beobachter, die das bezweifeln.

    Perthes: Ja, ich sehe das anders. Ich glaube, der Militärrat hat kein Interesse daran, zu regieren. Damit würde er ja auch verantwortlich gemacht für die sozialen Missstände, für die wirtschaftlichen Missstände, er müsste das Land nach außen vertreten, und er kann das nicht. Diese Militärs haben anderes gelernt, als zu regieren. Die wissen nicht, was modernes Regieren ist, die wissen nicht, was die Anforderungen für ein Land wie Ägypten in einer globalisierten Ökonomie sind. Und wenn Sie sich die Beschlüsse angucken, die im letzten Jahr vom Militärrat getroffen worden sind, dann unterstreicht das genau das: Eine tiefe - ich sage das, ohne unhöflich sein zu wollen -, eine tiefe Inkompetenz, was die Fragen des modernen Regierens angeht. Sie wollen die Regierungsgewalt abgeben und gleichzeitig ein Stück weit Kontrolle behalten, insbesondere über ihr eigenes Budget, über ihre eigenen Wirtschaftsunternehmen, auch über Fragen etwa, ob Militärs zur Verantwortung gezogen werden für Vergehen und Verbrechen, die unter der Herrschaft von Mubarak durchgeführt worden sind.

    Kapern: Wer in Ägypten, Herr Perthes, weiß denn, was modernes Regieren ist, die islamistischen Parteien, die gerade die Mehrheit bei den Parlamentswahlen gewonnen haben?

    Perthes: Die islamistischen Parteien haben sicherlich kein umfassendes Programm, etwa für eine moderne Wirtschaft. Sie haben aber eine soziale Basis, die überwiegend mittelständisch ist. Sie haben durchaus eine ganze Reihe von Personen, die jetzt im Parlament sind, oder sich auf Regierungspositionen vorbereiten, die etwas verstehen vom Wirtschaften. Das sind nicht die großen kosmopolitischen Unternehmer, das ist eher der handwerkliche und gewerbliche Mittelstand. Sie haben eine ganze Reihe von Unterstützung aus dem Bereich der Universitäten, Experten, die es im Lande ja gibt. Sie wissen, dass sie sich beraten lassen müssen, auch vom Ausland. Und es gibt natürlich Expertise in der ägyptischen Wirtschaft, in der ägyptischen Zivilgesellschaft, bei den liberalen und säkularen Gruppen, die ja auch im Parlament sind. Es ist mehr Expertise da, sagen wir es so, als in der Vergangenheit von der Mubarak-Regierung genutzt worden ist.

    Kapern: Sie trauen den Islamisten also die Umsetzung des Projekts Demokratie zu?

    Perthes: Ich glaube, auch die Islamisten sind Teil dieser Widersprüche, dass sie ja Demokratie wollen, eine Wahldemokratie wollen, weil sie gesehen haben, am eigenen Körper zum Teil gespürt haben, was autoritäres Regieren, was Diktatur, was die Abwesenheit von Freiheit bedeutet. Sie sind stolz mit einer großen Mehrheit der Ägypter, würde ich vermuten, dass es erstmals freie Wahlen gegeben hat. Aber die Tests werden jetzt noch kommen. Erstens spalten die Islamisten sich. Wir sehen, wenn wir unsere politische Geografie benutzen, dass es Abspaltungen nach rechts gegeben hat, zu den ultrakonservativen Salafiten, die etwa 20 Prozent der Stimmen bekommen haben, zum Erstaunen aller. Die Islamisten spalten sich nach rechts und nach links, es wird einen Mainstream geben, der vermutlich Verantwortung übernehmen wird, und sie werden plötzlich vor völlig neuen Fragen stehen. Es reicht nicht mehr zu sagen, der Islam ist die Lösung und wir würden alles besser machen, sondern sie müssen es jetzt wirklich besser machen, und das wird für sie auch eine ganz schwierige Herausforderung sein, und sie wissen auch, dass sie in einigen Jahren sich erneut zur Wahl stellen müssen. Auch das ist eine Herausforderung, die sie noch nicht kennen.

    Kapern: Heute vor einem Jahr begann der Aufstand gegen Husni Mubarak in Ägypten. Herr Perthes, vielen Dank für Ihre Einschätzungen und Beurteilungen. Danke für das Interview.

    Perthes: Vielen Dank auch, Herr Kapern!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.