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Peru
Das Gold von Cajamarca

Die Stadt Cajamarca liegt im Norden Perus auf über 2.700 Metern Höhe und war schon für die Inkas von strategischer Bedeutung - auch, weil es in der Region riesige Goldvorkommen gibt. Aus der kleinen Stadt mit historischem Zentrum ist mittlerweile eine Großstadt geworden, die droht, ihre Seele zu verlieren.

Von Margit Atzler | 22.12.2019
Blick aus einem Hotelfenster in der Altstadt von Cajamarca in Richtung Hauptplatz.
In Cajamarcas historischem Zentrum gibt es mittlerweile 30 Diskotheken. Nachbarschaftsvereine fürchten Folgeerscheinungen wie Drogen, Raufereien oder Prostitution (Deutschlandradio / Margit Atzler)
Cajamarca. Der Name peruanischen Stadt setzt sich in der alten Inkasprache, dem Quechua, aus zwei Wörtern zusammen, erzählt Manuel Portal Cabellos. "Caja" bedeute so viel wie "eiskalt" oder "frostig", erklärt er. Und "marca" hieße Ort.
Cajamarca liegt im Norden Perus in den Anden. Als der Inkaherrscher Túpac Yupanqui um 1470 die Region eroberte, musste er zu seinem Bedauern feststellen, dass es schwer war, die fruchtbaren Böden zu bewirtschaften. Der Wetterumschwung zur Regenzeit machte ihm einen Streich durch die Rechnung. Die gesamte Saat wurde mit einem Schlag unbrauchbar. So erhielt die Region mit ihrer Hauptstadt den Namen: frostiger Ort.
Frostig wird es tatsächlich, sobald abends die Sonne untergeht, schließlich liegt die Stadt Cajamarca auf über 2.700 Metern. Cajamarca war schon für die Inkas von strategischer Bedeutung. Hier kreuzten sich die wichtigen Verbindungswege von Nord nach Süd sowie von der Pazifikküste hinauf in die Anden und weiter nach Chachapoyas.
Die Inkas bauten schon vor 3.000 Jahren Gold ab
Manuel Portal Cabellos ist Fremdenführer. Ein hagerer Mann mit sanften, dunklen Augen. Durch seine Arbeit als Fremdenführer ist Manuel viel auf den Beinen. Seine 75 Jahre sieht man ihm nicht an. Manuel Portal Cabellos stammt aus einem kleinen Ureinwohner-Ort 30 Kilometer von Cajamarca entfernt. Studiert hat er nicht, aber die Original-Schriften der Chronisten hätte er gelesen. Das glaube ich ihm gern bei seinen detailreichen Erzählungen über die Geschichte Cajamarcas.
Die Bedeutung von Cajamarca hängt eng mit den Goldvorkommen in der Region zusammen. Bereits vor 3.000 Jahren bauten die Vorfahren der Inkas Edelmetall ab. Dazu verwendeten sie das quecksilberhältige Zinnober oder wie heute reines Quecksilber.
"Die Menschen in den Anden kannten den Wert des Goldes. Es ist robust, es glänzt und es kann Jahrhunderte bis Jahrtausende unter der Erde sein, ohne seinen Glanz zu verlieren. Es wird nicht beschädigt. Nicht durch Wasser oder durch Feuer. Es schmilzt erst bei sehr hohen Temperaturen. Aus einer Unze Gold kann man eine Folie von 28 Quadratkilometer Oberfläche herstellen. Oder einen zehn Kilometer langen Faden. Das sind die physischen Qualitäten von Gold. Für die Indigenen war es außerdem heilig."
Sich in Gold zu kleiden, war lediglich dem gottgleichen Herrscher vorbehalten. Mit dem Eintreffen der Spanier änderte sich dies. Materieller Reichtum durch Gold war der Hauptantriebe für Francisco Pizarro und seine Männer.
Heiße Thermalquellen als Touristenattraktion
Der Inkaherrscher Atahualpa hatte sich auf der Flucht vor dem Eroberungszug der Spanier nach Cajamarca zurückgezogen und wurde just Opfer eines Hinterhalts. Die Spanier behaupteten, Atahualpa zu Ehren ein Fest abhalten zu wollen – auf Geheiß des spanischen Königs. Während Pizarro sich auf das Treffen mit Atahualpa vorbereitete, genoss Atahualpa sechs Kilometer entfernt von Cajamarca-Stadt in seinem Lieblingsferienort Baños die heißen Thermalquellen.
Baños gehört heute zu einer der Attraktionen bei einem Besuch in Cajamarca. Viele Touristen wollen wie die Inkas in dem heißen, schwefelhaltigen Wasser baden. Es gibt sogar ein überdachtes steinernes Becken, in dem angeblich schon der Inkaherrscher badete.
Die Thermalbäder sind auch bei den Bewohnern von Cajamarca sehr beliebt. Viele Häuser im Örtchen Baños verfügen über einen eigenen Zufluss für Thermalwasser. Wer diesen Luxus nicht hat, der bekommt am Kassenschalter am Eingang zu den Baños, den Bädern, eine Nummer. Mit dem Zettel in der Hand heißt es zunächst warten, bis die Nummer auf dem Zettel aufgerufen wird.
Die Wasserbecken befinden sich in voneinander abgetrennten Räumen und sind jeder durch eine eigene Tür zu betreten. Das Wasser wird über ein dickes Rohr eingelassen. 30 Minuten darf man das Becken benutzen, bevor der nächste Besucher an der Reihe ist. Haustiere dürfen keine mitgenommen werden, steht auf einem Schild mit der Hausordnung in Spanisch und Englisch. Wäschewaschen ist auch verboten. Das Bad in dem warmen Wasserbecken ist zwischen den vielen Stationen beim Reisen eine Wohltat.
Zurück nach Cajamarca geht es mit Taxi oder Micro, dem überfüllten Kleinbus, in dem der Erholungsfaktor der Thermalbäder rasch schwindet.
Gold Mittelpunkt des Interesses ausländischer Investoren
Der Inkaherrscher Atahualpa wurde in seiner goldenen Sänfte zu den angeblichen Feierlichkeiten ihm zu Ehren nach Cajamarca getragen. Sein Gefolge ging zu Fuß die etwa sechs Kilometer. Atahualpa und seine Leute waren angetrunken und nicht zum Kampf gerüstet, als sie im Zentrum von Cajamarca eintrafen. Eine Heerschar von 4.500 Spaniern und Indios aufbegehrender Stämme aus dem Norden des Inkareiches überfiel den Festzug. Francisco Pizarro ließ Atahualpa festnehmen. Für seine Freilassung bot Atahualpa dem Spanier Gold und Silber. Drei Räume voll. Pizarro willigte ein und Atahualpa kam frei. Wenige Monate später, im Winter 1533, wurde Atahualpa dennoch hingerichtet.
Gold liegt auch heute noch im Mittelpunkt des Interesses ausländischer Investoren in der Region.
Manuel: "Alle Berge von Cajamarca enthalten Gold. Wir befinden uns hier im Krater eines ehemaligen Vulkans und der ist voll mit Gold. Natürlich kann man das nicht abbauen, hier mitten in der Stadt. Wo viele Menschen leben, ist kein Bergbau möglich. Aber wir wissen, dass 100 Prozent des Gebiets von Cajamarca voll ist mit Gold, Kupfer und Silber. Darum sind auf den Bergen dort drüben drüben auch die Minen."
Die Erklärungen von Fremdenführer Manuel sind bunt ausgeführt, sehr detailreich und sicher nicht immer wissenschaftlich belegbar. Doch wie auch immer er es ausdrücken mag, in einem Punkt hat Manuel zweifellos Recht: in der Region Cajamarca gibt es heute noch riesige Goldvorkommen. Und das zieht auch ein paar hundert Jahre nach den Spaniern ausländische Finanziers an.
Yanacocha – das größte offene Goldbergwerk des amerikanischen Kontinents und eines der profitabelsten weltweit. Yanacocha befindet sich eineinhalb bis zwei Stunden entfernt von Cajamarca Stadt – und hat alles verändert.
Die Lage auf 2.700 Metern macht sich bemerkbar
"Cajamarca hat in den vergangenen 20 Jahren einen drastischen Wandel vollzogen. Bevor der große Bergbau hier anfing, war Cajamarca eine kleine Stadt mit ein paar Familien. Alle kannten einander. Es gab eigentlich nur das historische Stadtzentrum, wo alle wohnten. Der Bergbau brachte Leute von überall her und die Stadt begann, völlig unkontrolliert zu wachsen."
Eduardo Caballero führt ein kleines Familienhotel in der Altstadt, das Hatuchay Inka Apart Hotel. Das Hotel ist für Eduardo und seine Frau Verónica mehr als nur eine Einkommensquelle. Die Leute sollen sich zu Hause fühlen. Das fällt nicht schwer bei dem herzlichen Willkommen in dem liebevoll restaurierten Kolonialgebäude mit buntem Blumenschmuck. Das Hotel befindet sich in einer ruhigen Straße ohne Autoverkehr im Stadtzentrum am Fuße eines Hügels mit Aussichtspunkt, dem Mirador Santa Apolonia.
Schnaufend erklimme ich am ersten Tag die Stufen in der Wohnstraße zum Hotel. Die Lage auf 2.700 Metern macht sich bemerkbar. Es heißt viel Wasser trinken – und Cocatee, als Vorbeugung gegen die Höhenkrankheit.
Es sind nur ein paar Gehminuten zur Plaza de Armas, dem Hauptplatz, die in allen kolonialen Stätten nach dem gleichen Prinzip angelegt ist: in der Mitte ein Brunnen, den grüner Rasen und ein paar hohe Bäume umgeben. Ein paar Bänke als Sitzgelegenheiten, die sich gut dafür eignen, vorbeigehende Menschen zu beobachten. An der Nordwestseite der Plaza die prächtige Kathedrale und ringsum meist zweistöckige Kolonialgebäude in verschiedenen Farben mit Holzbalkonen, in denen sich kleine Läden oder Reiseagenturen befinden, die Erkundungstouren in die Umgebung anbieten: die Felsformation Cumbe Mayo war für die Inkas ein heiliger Ort, die Ventanas de Otuzco dienten als Grabstätte oder Getreidespeicher oder beides? Man weiß es nicht genau.
Im Unterschied zur Stadt Cusco, dem Tourismus-Hotspot, werden Touristen nicht ständig von Verkäufern angequatscht – höchstens von vereinzelten Bettlern in Lumpen gekleidet, die im Zentrum auf ein paar Soles hoffen. Das monatliche Durchschnittseinkommen in Peru betrug laut Angaben der Weltbank 2018 umgerechnet weniger als 500 Euro. Für Europäer ist es kaum vorstellbar, in welch ärmlichen Verhältnissen ein Teil der Bevölkerung lebt. Der Anblick der Bettler lässt ihre Lebensumstände erahnen.
Kampf für den Erhalt des historischen Zentrums
Der Hotelbesitzer Eduardo Caballero nimmt sich persönlich Zeit für seine Gäste. Man solle sich in seiner Heimatstadt wohlfühlen. Manchmal fährt er einen auch in seiner Camioneta durch die Gegend und erzählt über das Leben der Einheimischen.

Cajamarca hätte viel Potenzial, touristisch wie für seine Bewohner. Vor allem die gegenwärtige Entwicklung im historischen Zentrum bereitet Eduardo Sorge.
"Innerhalb von zwei, drei Jahren haben an die 30 Diskotheken eröffnet. Keine hat eine Lizenz. Das Kulturamt hat erklärt, dass es im Stadtzentrum von Cajamarca keine Diskotheken geben darf. Wir setzen uns dafür ein, dass sie so rasch wie möglich wegsiedeln."
Mit "wir" meint Eduardo einen Nachbarschaftsverein, mit dem er sich für den Erhalt des historischen Zentrums einsetzt. Das Problem seien nicht nur Lärmbelästigung oder die Anfälligkeit der alten Gebäude. Es sind Folgeerscheinungen wie Drogen, Raufereien, Prostitution, Verschmutzung, kurz: der respektlose Umgang mit der alten Stadt und ihren Bewohnern, die Eduardo und seinen Nachbarn ein Dorn im Auge sind. Die Stadt sieht weg. Personen mit Machtbefugnissen füllen lieber ihre eigenen Taschen. Eduardo glaubt, dass ein Status als UNESCO Weltkulturerbe die historische Altstadt von Cajamarca retten könnte.
"Cajamarca ist eine Stadt mit hübschen Straßen, vielen Kirchen. Die Menschen sind liebenswürdig. Aber wenn wir unseren kulturellen Wert verlieren, unsere Identität, dann können wir nicht mehr authentisch sein. Die Diskotheken haben nicht mit unserer kulturellen Identität zu tun."