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Peru
Die Schatten der Bürgerkriegs-Greueltaten

Fast 70.000 Menschen wurden zwischen 1980 und 2000 in Peru getötet. Der Bürgerkrieg wird als "Zeit der Angst" bezeichnet. Die Aufarbeitung geht schleppend voran. Daran wird sich auch nach der morgigen Stichwahl zum Präsidentenamt nichts ändern.

Von Anne Herrberg | 04.06.2016
    Eine Gruppe Forensiker exhumiert die sterblichen Überreste von 60 Bauern, die in einem Grab in Putis, Ayacucho gefunden wurden. Sie wurden durch das Militär während des peruanischen Bürgerkrieg getötet.( 1980 - 2000).
    Eine Gruppe Forensiker exhumiert die sterblichen Überreste von 60 Bauern, die in einem Grab in Putis, Ayacucho gefunden wurden. Sie wurden durch das Militär während des peruanischen Bürgerkrieg getötet.( 1980 - 2000) (picture-alliance/dpa/ EFE / Paolo Aguilar)
    Zehntausende Steine, auf denen Namen stehen, mit Geburtsdatum und mit Todestag. Ausgelegt in einem spiralförmigen Labyrinth, in dessen Zentrum ein Felsen steht, ein Felsen aus dessen Mitte unaufhörlich Wasser rinnt. El "Ojo que llora", das "Weinende Auge" ist ein Erinnerungsort in Lima, für die fast 70.000 Menschen, die zwischen 1980 und 2000, während des Bürgerkrieges in Peru, ihr Leben verloren haben. Don Zenon Cirilio Osnayo Tunque hat den brutalen Terror der maoistischen Guerilla Leuchtender Pfad erlebt, wie sie raubten, verwüsteten, vergewaltigten. Als am 4. Juli 1991 eine Patrouille der Armee in sein Dorf kam, schöpfte er Hoffnung, doch sie zerstörten sein Leben:
    Abgeknallt wie die Hunde
    "Meine drei Mädchen, eine sechs, eine drei, die Kleinste gerade mal acht Monate alt. Und meine Frau. Als Terroristen haben sie sie beschuldigt. Wir waren alle Bauern. Und sie haben sie abgeknallt wie die Hunde. Niemals wird diese Wunde heilen."
    In fein gebügeltem Hemd und Pullunder, eine Bibel in der einen, Blumen in der anderen Hand, so steht er vor seinen vier Erinnerungssteinen. Bis heute sind die Überreste seiner Angehörigen verschwunden - wie die aller 15 Opfer des Massakers in der Gemeinde Santa Barbara in den zentralperuanischen Andenregion Huancavelica. Die Hälfte davon waren Kinder.
    "Und als ich sie denunziert habe, bei den Behörden in Lima, sagte sie mir: Was wollen sie? Sind sie Terrorist? Und sie haben mich zu 45 Jahren Haft verurteilt. Irgendwann hieß es, wir haben uns geirrt, das war nach 11 Jahren, sieben Monaten und 14 Tagen."
    Unter Fujimori wurden Massaker begangen
    Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof hat den peruanischen Staat verantwortlich erklärt für dieses Verbrechen, die in die Regierungsjahre von Alberto Fujimori fallen. Wie viele weitere, begangen von Streitkräften oder paramilitärischen Todesschwadronen. Seit 2009 sitzt er wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen und Korruption im Gefängnis. Seine Tochter Keiko aber hat gute Chancen am 5. Juni zur neuen Präsidentin Perus gewählt zu werden. Für Rosario Narvaez, die das "Weinende Auge" betreut, wäre das der Schlussstrich für den Erinnerungsort.
    "Diese Mahnmal wurde bereits mehrmals angegriffen, teilweise auch zerstört. Vor allem von der Fujimori-Anhängern und Parteimitgliedern. Weil es an die Opfer aller Akteure des Krieges erinnert. Das passt nicht zur Geschichte, die Alberto Fujimori als den Held feiert, der die Guerilla besiegt hat. Aber auch unter der Noch-Regierung gab es kaum Anstrengungen, unsere jüngste Vergangenheit aufzuarbeiten."
    Ein Versuch klebt nun wie eine Trutzburg an Limas Steilküste: Der "Ort der Erinnerung, Toleranz und sozialer Inklusion", mitfinanziert von Deutschland. Hinein in den grauen Betonklotz führt ein langer, schmaler Gang, im Zickzack, unten tobt der Pazifik. Es scheint ein Symbol für den beschwerlichen Weg Perus, beim Versuch, sich einer Vergangenheit zu stellen.
    Aufarbeitung der Greueltaten sind zögerlich
    Als er im Dezember 2015, nach jahrelanger Verzögerung, schließlich eröffnet wurde, verlor Präsident Ollanta Humala kein Wort über die Rolle des Staates in der Zeit der Gewalt. Kein Wort an die Opfer der Verbrechen von Militärs. Humala ist ehemaliger Offizier. Direktorin Denise Ledgard ist froh, dass das Museum nun überhaupt eingeweiht ist:
    "Unsere Gesellschaft ist stark polarisiert: Die einen wollen gar nicht erinnern und nur nach vorne schauen, so als ob das, worüber nicht gesprochen wird, aufhört zu existieren. Andere wollen nur eine Seite der Gewalt aufarbeiten, die ja nur wenige Jahre zurückliegt und in Teilen Perus anhält. Dies hier soll ein Ort sein, an dem wir gemeinsam Wege finden, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Blick zu nehmen. Versöhnung braucht Zeit."
    Es ist eine Mammutaufgabe in einer Gesellschaft, in der die Ursachen des damaligen Konfliktes – vor allem die großen sozialen Unterschiede – weiter existieren, auch wenn sich in den letzten 15 Jahren viel getan hat. Die Armut hat sich reduziert, doch vor allem auf dem Land klafft die soziale Schere weiter auseinander. Das birgt nach wie vor Sprengstoff, warnte Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der sich von Beginn an für das Museum stark gemacht hatte
    "Was in diesen Jahren geschehen ist, darf nicht vergessen werden. Vor allem auch, um der jungen Generation, die den Terror nicht selbst miterlebt hat, zu zeigen: Radikale Ideologien, die Gewalt als Mittel predigen, soziale Gerechtigkeit zu erreichen, sind keine Lösung. Damit befreit man keine Gesellschaft von Ungerechtigkeit."
    Eine Wahl von Keiko Fujimori, das betonte Vargas Llosa in diesen Monaten immer wieder, wäre ein Rückschritt in eine Vergangenheit, deren Erbe nach wie vor schwer auf dem Land lastet.
    Ein Schulchor begleitet die Trauernden. Am Mahnmal "Weinendes Auge" breitet Don Zenon Cirilio Osnayo Tunque Kleider seiner getöteten Angehörigen aus, verteilt Blumen, Schnaps und Kerzen für die Pachamama, die Mutter Erde – ein andines Ritual für die Verschwunden. Wirklich Abschied wird er erst nehmen können, wenn der Staat ihm die Überreste überreicht.