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Pet-Shop-Boys-Album „Hotspot”
"Wir sind keine Musik-Snobs"

Schon lange übt Berlin eine Faszination auf die Pet Shop Boys aus. Jetzt haben sie der Stadt ein ganzes Album gewidmet - und sich dem Schlager angenähert. "Man kann zu unseren Liedern auf den Takt klatschen", sagten Chris Lowe und Neil Tennant im Deutschlandfunk.

Neil Tennant und Chris Lowe im Corsogespräch mit Robert Rotifer | 23.01.2020
Die Pet Shop Boys posieren auf einer Ausgangsplattform nahe Berlin.
Kühler Glanz vor Beton: Die Pet Shop Boys haben ein neues Album aufgenommen (Phil Fisk)
Robert Rotifer: Ich musste an ihr neues Album denken, als ich auf dem Weg hierher durch einen der hässlichsten Teile von London lief. Da sah ich einige junge Typen aus der City an mir vorbeigehen, die mit ihrem respektablen Aussehen, hinter der sich vielleicht eine abenteuerliche Vorgeschichte verborgt, der Beschreibung einer Figur in ihrem Song "Will o the Wisp", zu Deutsch "Irrlicht", ähnelten.
Neil Tennant: Oh, das sind nicht wirklich 'Will o the Wisps'. Dieser 'Will o the Wisp' aus dem Song ist ein schwuler Mann mittleren Alters, der in Berlin in die U-Bahn steigt, und am anderen Ende des Waggons einen verflossenen Boyfriend sieht. Ich borgte mir die Geschichte von Christopher Isherwood, dessen berühmte Romane für viele das Bild von Berlin geprägt haben. Nach dem Krieg kehrte Isherwood nach Berlin zurück und lief einem seiner alten Liebhaber über den Weg, der vielleicht sogar ein Nazi gewesen war. Chris und ich nehmen, wenn wir in Berlin sind, oft die U-Bahn-Linie 1, weil sie zur Warschauer Straße fährt, dort ist an Wochenenden viel los, denn da ist etwa das Astra Kulturhaus, eine Musik-Location. Das ist auch schon die ganze Geschichte. 'Will o the Wisp' ist jemand, der in deinem Leben auftaucht und dann einfach wieder verschwindet.
Deutsche Nacktheit
Rotifer: Gleich im nächsten Song "You are the one" wird dann der Vorort Zehlendorf erwähnt, warum das?
Tennant: Sie wissen ja, Berlin ist von vielen Seen umgeben, und an Sommernachmittagen fahre ich oft mit Freunden hinaus nach Zehlendorf. Das Stück soll einem das Gefühl eines wunderbaren Sommertags in Berlin im Juli vermitteln. Man geht hinunter zum See, hat vielleicht ein Bier, geht schwimmen und nimmt wieder den Zug zurück nach Mitte.
Chris Lowe: Warst du schon schwimmen dort?
Tennant: Ja, war ich.
Lowe: Das wusste ich gar nicht. Cool. Nackt?
Tennant: Nein. Engländer finden die deutsche Tendenz zur Nacktheit immer sehr faszinierend.
Lowe: Besonders wenn einem Nacktheit direkt vor einem Lokal begegnet, wo man gute Wurst essen kann.
Tennant: Genau, dann geht einer nackt an einem vorbei.
Lowe: Ich glaube, man konnte sowas in England früher auch sehen, in London an der Serpentine im Hyde Park.
Tennant: Aber wir haben damit aufgehört.
Lowe: Ja, wir haben das gestoppt!
"Wir reihen uns ein in dieses Mitsinggefühl"
Rotifer: Wir hatten über kulturelle Unterschiede zwischen den Menschen auf dem Kontinent und Briten gesprochen. Sie haben also ein Album in Berlin aufgenommen, in Zeiten, da alles als Statement interpretiert wird. Allein die Tatsache, dass sie in Europa gearbeitet haben, hat schon eine Bedeutung, oder etwa nicht?
Tennant: Ach, dass wir in der Zeit des Brexit ein Album in Berlin aufgenommen haben?
Rotifer: Ja.
Tennant: Daran hab ich gar nicht gedacht. Aber ja, wir sind schon große Querköpfe. In der Zeit, als der Britpop angesagt war, haben wir mit "Bilingual" ein Album herausgebracht, das zum Teil auf Spanisch war. So war und ist das eben bei uns.
Lowe: Es ist nur ein Zufall. Wir haben eine Wohnung in Berlin, und wir schreiben da viele Songs. Wir dachten einfach, dass es schön wäre, eine Platte in den Hansa-Studios zu machen, wo wir noch nie waren. Einige der Songs handeln schließlich von Berlin. Hansa ist auch so ein berühmtes Studio wegen seiner Assoziation mit David Bowie. Doch was viele Briten nicht wissen, ist, dass dort auch viele Schlagerplatten entstanden sind. Das gefiel uns ganz besonders an der Idee, dort zu arbeiten, denn viele dieser Schlager waren ausgezeichnet produziert.
Tennant: Hunderte davon. Die Leute reden von Bowie, U2 und Depeche Mode in den Hansa-Studios, aber im Gesamten betrachtet waren etwa 70 Prozent der Produktionen dort Schlager.
Die Pet Shop Boys posieren auf einer Ausgangsplattform nahe Berlin.
Die Pet Shop Boys posieren auf einer Ausgangsplattform nahe Berlin. (Phil Fisk)
Rotifer: Darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen, denn Sie meinen das ja nicht ironisch.
Tennant: Nein, gar nicht. Schlager sind etwas, das Sie Deutsche für sich haben.
Lowe: Was wir in Berlin gern machen, ist in eine gemütliche Bar zu gehen, wo man Schlager spielt. Das hat was sehr Wohltuendes und Fröhliches. Die Leute in den Schlager-Videos haben immer eine gute Zeit.
Tennant: Es ist Weihnachten oder es sind Sommerferien.
Lowe: Oder sie sind in Mallorca auf einem Boot, und das Leben könnte nicht besser sein.
Rotifer: Oder es ist zutiefst melancholisch, wie bei Country- und Western-Songs.
Tennant: Ja, Schlager sind ein bisschen wie Country und Western.
Lowe: Wenn man sich Schlagerplatten anhört, kann man lustigerweise auch hören, warum wir in Deutschland Erfolg hatten. Wir reihen uns ein in dieses Mitsinggefühl, man kann zu unseren Liedern auf den Takt klatschen.
"Wir sind keine Musik-Snobs"
Rotifer: Deutschland spielt ja auch eine große Rolle in der Geschichte der elektronischen Musik. Und da gibt es Gemeinsamkeiten.
Lowe: Diese Schlagerplatten sind so gut produziert. Wenn man in Berlin in einem Taxi durch die Stadt fährt, ist da oft ein wirklich guter Radiosender an. Entweder spielen sie großartige Dance Music oder alte Platten wie "Movie Star" von Harpo. Außerdem legt man in Berlin immer so weite Entfernungen zurück. Vom Westen in den Osten ist es eine lange Fahrt, und das ist ein fantastischer Soundtrack dazu – auf sehr breiten Straßen, und oft ist man im einzigen Auto auf der Straße unterwegs, und da ist dieser Nebel und diese Lichter. Es ist sehr atmosphärisch, es ist so, als würde es einen in eine andere Welt mitnehmen. Eine andere Existenz. Wir sind keine Musik-Snobs, wir behandeln jede Musik gleich. Und wenn wir eine gute Schlagerplatte hören, ist das einfach eine gute Platte für uns. Genauso wie eine Techno-Platte eine gute Platte ist. Man kann nicht einfach ein ganzes Musikgenre ausblenden, bloß, weil es unmodern ist.
Tennant: Es ist wirklich schwer, schwachsinnige Musik zu machen, die eindringlich und leicht ist, und es schafft, den Massenmarkt zu erreichen. Vieles daran ist einfach Glück.
Rotifer: Klar, wir wissen alle, dass die Charts heutzutage eine eigenartige Welt sind, allein schon von der Art her, wie sie zusammengestellt werden. Aber Sie wissen, dass jede Platte, die Sie herausbringen, Leute erreichen wird, die sie als Pop verstehen. Auf welches Publikum zielen sie heutzutage ab?
Tennant: Wir zielen auf niemanden ab. Wir machen etwas, aber wir zielen nicht. Im Großen und Ganzen machen wir es zu unserem eigenen Vergnügen. Manchmal ist es eine mühselige Arbeit, etwas fertigzustellen.
Lowe: Ich danke, wir stellen uns immer vor, was in unserer Welt eine großartige Pop-Platte wäre. Und das ist nicht die Welt, in der wir uns im Moment befinden. Aber wenn wir auf etwas abzielen, dann ist das oft unsere Definition von einem euphorischen Popsong. Und deswegen ist nach unserem Maßstab alles, was wir herausbringen, eine Greatest-Hits-Platte. Wir können buchstäblich nicht versagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.