Mittwoch, 24. April 2024

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Peter Müller kritisiert SPD-Vorschläge zur Krippenfinanzierung

Die Union verzichtet zunächst auf konkrete Finanzierungsvorschläge für den geplanten Ausbau der Kinderbetreuung. Im Gegensatz zur SPD, die dazu Einschnitte bei Kindergeld und Ehegattensplitting plant, sprach sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) für zusätzliche Mittel aus. Diese zur Verfügung zu stellen, sei eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen.

Moderation: Silvia Engels | 26.02.2007
    Silvia Engels: Die Diskussion um die Wege der Kinderbetreuung ist in vollem Gange. Auch wenn sich in Umfragen regelmäßig Mehrheiten von 70 bis 80 Prozent der Befragten für den Ausbau von Kindertagesstätten aussprechen, kreiste die Debatte am Wochenende weiter um die Frage, ob Kinder eher von Müttern zu Hause oder in Kinderkrippen überhaupt betreut werden sollen. In der Union wird schon länger darum gerungen, denn letztlich geht es dabei auch um bestimmte Familienbilder. Befeuert worden war der Streit zuletzt auch durch Äußerungen des Augsburger Bischofs Mixa. Er hat den Plan von Familienministerin von der Leyen, das Krippenplatzangebot zu verdreifachen, als kinderfeindlich bezeichnet und davor gewarnt, Frauen so in eine schnelle Rückkehr ins Berufsleben zu drängen. Zugespitzt hatte er gesagt, so würden Frauen zu Gebärmaschinen degradiert.

    Am Telefon ist nun der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU). Guten Morgen, Herr Müller!

    Peter Müller: Einen schönen guten Morgen!

    Engels: Wie beurteilen Sie die Äußerungen von Bischof Mixa?

    Müller: Ich glaube, dass die Wortwahl völlig absurd ist. Wer Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausbauen will, degradiert Frauen nicht zu Gebärmaschinen. Vor diesem Hintergrund ist der Beitrag, den der Bischof da geleistet hat, sicherlich kein konstruktiver Beitrag in der Debatte. Es geht um Wahlfreiheit. Wahlfreiheit heißt, dass wir die Möglichkeit eröffnen wollen zu entscheiden, ob die Kinder in der Familie betreut werden oder ob Betreuungsangebote in Anspruch genommen werden. Wer dieses verwirklicht, handelt im Interesse der Familien und im Interesse der Kinder.

    Engels: Formulierungen sind das eine, doch die grundsätzliche Kritik an der Linie von Familienministerin von der Leyen, das Tagesbetreuungsangebot für Kleinstkinder so stark auszuweiten, kommt auch aus Ihrem eigenen Lager, der CDU/CSU. Stefan Mappus aus Baden-Württemberg, der sächsische Kultusminister Steffen Flath oder der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Singhammer. Sind das Einzelstimmen, oder ist das doch noch die Mehrheit der Union?

    Müller: Ich glaube, dass es in der Union eine große Mehrheit gibt, die für das Prinzip der Wahlfreiheit steht, eine große Mehrheit, die damit auch dafür eintritt, dass die Betreuungsmöglichkeiten erweitert werden. Damit alleine werden wir die familienpolitischen Herausforderungen, die wir in Deutschland haben, nicht lösen, aber das ist ein wichtiger und ein notwendiger Schritt. Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass dies von der weit überwiegenden Mehrzahl der Unionspolitiker so gesehen wird. Wahlfreiheit heißt eben, dass der Staat sich kein Urteil anmaßt über eine Lebensentscheidung, über einen Lebensentwurf: weder über den Entwurf beispielsweise der Doppelverdiener-Familie, noch über den Entwurf der Einverdiener-Familie. Natürlich darf auch niemand diskreditiert und diskriminiert werden, der sich entscheidet, ein Familienmodell zu leben, bei dem der eine das Einkommen erwirtschaftet und der, typischerweise die, andere sich um die Erziehung der Kinder kümmert. Auch das ist hoch respektabel, hoch anerkennenswert. Nicht nur die berufstätige Frau ist etwas wert.

    Engels: Herr Müller, die Diskussion um Familienbilder ist das eine. Die Frage der Finanzierung ist das andere. Heute stellt ja die SPD ihr Konzept zur Finanzierung einer besseren Kleinstkinderbetreuung vor. Einige Eckdaten sind durchgesickert. Vorgesehen ist dabei wohl, auf eine geplante Erhöhung des Kindergeldes zu verzichten und das Ehegattensplitting möglicherweise zu Lasten kinderloser Eltern umzubauen. Was sagen Sie?

    Müller: Ich bin da eher skeptisch. Wenn wir mehr für Familien tun wollen, werden wir dies nicht erreichen, indem wir umschichten, indem wir auf der einen Seite beim Ehegattensplitting etwas wegnehmen, um dafür auf der anderen Seite bei den Betreuungsstrukturen etwas dazuzulegen. Richtig ist: In Deutschland werden im Jahr 184 Milliarden für die Familienförderung ausgegeben. Pro Kopf ist das etwa genauso viel wie in Frankreich. Offensichtlich geschieht dies nicht so effizient wie in Frankreich. Gleichwohl würde ich es für falsch halten zu sagen, lasst uns darüber nachdenken, was wir wo wegnehmen können, um zusätzliche Betreuungsplätze zu schaffen. Zusätzliche Betreuungsplätze brauchen auch eine zusätzliche Finanzierung.

    Engels: Und welche Vorstellungen haben Sie da? Ihre Ministerin hat ja noch kein Konzept vorgelegt.

    Müller: Ich glaube, dass wir als Union sicherlich gut beraten sind, den Zeitplan, den wir vereinbart haben, auch zu beachten. Wir wollen eine Evaluierung der Familienförderung, all der einzelnen Elemente, die diese 184 Milliarden ausmachen, und auf dieser Grundlage dann entscheiden, was an zusätzlichen Maßnahmen gemacht werden kann, wie die Effektivität verbessert werden kann. Ich glaube, das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Und sicherlich ist es da auch notwendig, dass diese Ebenen miteinander reden und man die Frage stellt, wer übernimmt welchen Anteil. Auf dieser Grundlage ist es sicherlich möglich, ein Finanzierungskonzept zu finden. Das wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Ich bin nicht dafür, irgendwo etwas wegzunehmen, um auf der anderen Seite etwas Zusätzliches zu tun. Da haben die Familien am Ende nichts davon, denn das ist ein Nullsummenspiel.

    Engels: In dem Bereich der Familienförderung schon, aber irgendwo muss das Geld ja her kommen. Das wäre dann eine Finanzierung aus dem laufenden Haushalt, oder es müsste an anderer Stelle außerhalb des Familiensektors gespart werden. Haben Sie da Vorschläge?

    Müller: Ich will heute diese Finanzierungsdebatte nicht führen, weil ich es für sinnvoll und für richtig halte, dass man sich da intern abstimmt, wie das Ziel, das richtig ist, die Zahl der Betreuungsplätze zu verdreifachen, erreicht werden kann. Der dafür notwendige finanzielle Aufwand ist ja erkennbar, ist berechenbar. Wir reden um etwa drei Milliarden. Ich glaube schon, dass es möglich ist, wenn Bund, Länder und Gemeinden sich gemeinsam einbringen, diesen Betrag darzustellen. Es ist jetzt nicht die Stunde, mit konkreten Vorschlägen dafür Sorge zu tragen, dass die Verwirrung in der Debatte steigt.

    Engels: Haben Sie denn als saarländischer Ministerpräsident schon mal überlegt, wie viel Extragelder Sie locker machen könnten für die zusätzliche Kinderbetreuung und wo Sie das dann einsparen?

    Müller: Auch das ist eine Frage eines Gesamtkonzeptes. Wir sind gerne bereit, auch unseren Anteil zu übernehmen. Ich glaube nicht, dass es richtig wäre zu sagen, das ist alleine Sache des Bundes. Natürlich ist das dann eine Frage, die nicht nur das Saarland betrifft, sondern auch die Mehrzahl der Länder. Das Saarland hat gegenfinanziert, ja eine Vorreiterrolle übernommen bei der Beitragsfreiheit des dritten Kindergartenjahres. Andere Bundesländer folgen uns. Wir sind damals für diese Maßnahme teilweise kritisiert worden, auch unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten. Mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass einfach im Bereich der Familien, im Bereich der Kinder eine Priorität der Politik liegen muss, wenn wir die demografische Entwicklung in diesem Lande umkehren wollen.

    Engels: Sie haben das Beispiel Frankreich schon angesprochen. Das Saarland grenzt ja bekanntlich direkt daran. Dort werden Kinder in der Regel schon sehr früh in Krippen betreut. Dort liegt die Geburtenrate auch deutlich höher. Was können wir von diesem Modell auf Deutschland übertragen?

    Müller: Wenn wir uns die Situation in Frankreich anschauen, müssen wir als allererstes zur Kenntnis nehmen, dass wir dort ein anderes gesamtgesellschaftliches Verständnis von Kindern, von der Notwendigkeit des Kinderreichtums haben. Dort sind Familien mit Kindern angesehen. Dort werden Kinder nicht als störend, als Lärmverursacher gesehen.

    Engels: Dort werden Mütter aber auch nicht als Rabenmütter betrachtet, wenn sie wieder arbeiten?

    Müller: Das ist völlig klar. Deshalb sage ich ja Wahlfreiheit, und jede Familie, die das kann, soll selber entscheiden. Diese wechselseitigen Verdächtigungen sind unsinnig. Berufstätige Mütter sind keine Rabenmütter, und wer zu Hause bleibt ist kein Heimchen am Herd. Beide nehmen eine verantwortungsvolle Rolle in dieser Gesellschaft wahr. Ich glaube diese Anerkennung der Leistungen der Erziehung und das Willkommen-Sein von Kindern in einer Gesellschaft, das ist das erste, was wir von Frankreich lernen können, bevor wir über materielle Strukturen reden. Das Betreuungssystem in Frankreich ist besser ausgebaut als bei uns, aber nicht nur im Bereich der Infrastrukturen, der Kindertageseinrichtungen, sondern beispielsweise auch im Bereich der Tagesmütter.

    Engels: Das war der Ministerpräsident des Saarlandes Peter Müller. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Müller: Bitteschön.