Freitag, 19. April 2024

Archiv

Peter Spork: "Gesundheit ist kein Zufall"
Wie das Leben unsere Gene prägt

Peter Spork erklärt Gesundheit als dauernder Prozess, der sogar über Generationen läuft. Sie ist nicht einfach da, sondern entsteht im Lauf des Lebens permanent neu, und zwar weil die Aktivität wichtiger Gene verändert wird.

Von Dagmar Röhrlich | 26.03.2017
    Strang der menschlichen DNA (Computersimulation).
    Wenn es um Gesundheit gehe, komme es weniger auf den individuellen Satz an Genvarianten an, die ein Mensch mitbekommen hat. (imago / Science Photo Library)
    Peter Spork geht in seinem neuen Buch Fragen nach wie: "Was schenkt uns die innere Kraft der Gesunderhaltung? Was ist Gesundheit überhaupt? Was können wir heute für eine gesunde und glückliche Gesellschaft von morgen tun?" Er erzählt von neuen Erkenntnissen der Molekularbiologen, die uns den Antworten auf diese Fragen näher bringen werden.
    Der Lebensstil von Helmut Schmidt lässt sich nicht als wirklich gesund bezeichnen. Trotzdem wurde er mehr als 90 Jahre alt, obwohl er über weite Strecken seines Lebens unter großem Stress stand und zahllose Zigaretten geraucht hat. Auf den ersten Blick scheint das allen Statistiken Hohn zu sprechen, doch eben nur auf den ersten Blick. Denn bei Statistiken geht es immer nur um Wahrscheinlichkeiten, und deshalb kann selbst ein Mensch, der in seinem Leben nie mit Zigarettenrauch in Berührung gekommen ist, an Lungenkrebs sterben.
    Was also könnte hinter der eisernen Gesundheit Schmidts gesteckt haben. Darauf gibt der Neurobiologe und Wissenschaftsjournalist Peter Spork in seinem neuen Buch zwar keine direkte Antwort. Doch er führt eloquent eine neue Sicht auf das Thema Gesundheit aus. Die ist, so erklärt er, ein dauernder Prozess, der sogar über Generationen läuft. Gesundheit ist nicht einfach da, ebenso wenig wie die meisten Krankheiten. Vielmehr entsteht Gesundheit im Lauf des Lebens permanent neu, und zwar weil die Aktivität wichtiger Gene verändert wird.
    Wissenschaft von der Steuerung der Gene
    Dann führt Spork in die Epigenetik ein: in die Wissenschaft von der Steuerung der Gene, von den Schaltern und Dimmern, die dafür sorgen, dass Gene oft oder selten eingesetzt werden oder auch ganz ausgeschaltet. Verstellt werden diese Schalter oder Dimmer unter anderem durch Umwelteinflüsse oder auch unseren Lebensstil: Ernährung, Klima, das Stressniveau des Vaters drei Monate vor der Schwangerschaft - es ist schon erstaunlich, welche Einflüsse die Regulierung der Zellen verändern. Wenn es um Gesundheit gehe, aber auch um Widerstandskraft oder Intelligenz, komme es weniger auf den individuellen Satz an Genvarianten an, die ein Mensch mitbekommen hat. Entscheidender sei, wie Tausende vom beteiligten Genen reguliert würden. Zu dem, was wir sind, werden wir danach durch ein komplexes Zusammenspiel von DNA, Umwelt, Verhalten und Erfahrungen - der eigenen und auch die der Vorfahren.
    Ein Beispiel: Traumata hinterlassen nicht nur Narben in der Seele, sondern auch in der Epigenetik. Der Grund: Sie verändern den Stoffwechsel des Gehirns und damit unsere Psyche. Diese epigenetischen Narben können vererbt werden. Besonders augenfällig belegen das die Untersuchungen an den Kindern von Holocaust-Überlebenden: Bei ihnen ist die Aktivierbarkeit in der exakt gleichen DNA-Region wie bei ihren Eltern verändert, nämlich bei einem Gen, das mit der Stressregulation zu tun hat. Ist die Aktivierbarkeit dieses Gens bei den Eltern erschwert, ist sie bei ihren Kindern erleichtert: Das macht sie stressanfälliger, ihr Risiko für Depressionen, bipolare Störungen oder Angsterkrankungen ist erhöht.
    Wir sind also mehr als die Summe unserer Gene. Diese Erkenntnis nimmt der Leser aus diesem Buch mit. Peter Spork ist fasziniert von den molekularbiologischen Prozesse, die in der Epigenetik ablaufen, von den neuen, oft vielversprechenden Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten, die diese Erkenntnisse eröffnen, und manches, was er schreibt, erscheint gewagt - vielleicht auch nur heute noch gewagt. Die Faszination des Themas versteht er umso besser an seine Leser weiter zu geben. Ein unterhaltsames und informatives Buch, das allerdings hin und wieder Zusammenhänge mit wechselnder Ausführlichkeit noch einmal und noch einmal beschreibt. Doch dem generellen Lesevergnügen tut das keinen Abbruch.
    Peter Spork: "Gesundheit ist kein Zufall. Wie das Leben unsere Gene prägt: Die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik"
    DVA, 416 Seiten, 22,99 Euro.