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Peter Tauber zu syrischen Flüchtlingen
"Familiennachzug findet de facto nicht statt"

Das Thema Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen hält CDU-Generalsekretär Peter Tauber nicht für vorrangig in der Flüchtlingskrise. Im Deutschlandfunk sagte er, mit dieser Diskussion löse man nicht die aktuellen Probleme. Gegenwärtig müsse die Außenpolitik und der Schutz der EU-Grenzen Priorität haben.

Peter Tauber im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.11.2015
    CDU-Generalsekretär Peter Tauber
    CDU-Generalsekretär Peter Tauber (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Wir tun alles, um den Menschen in Not zu helfen", sagte Tauber. Man müsse aber die Zahl der Flüchtlinge begrenzen und die Perspektiven der Flüchtlinge "von dort, wo sie herkommen", verbessern. Man müsse sich " um die Sicherung der EU-Außengrenzen bemühen", forderte Tauber.
    Einzelfallbetrachtung kann Familiennachzug aussetzen
    Dennoch äußerte er sich auch zu Verfahrensfragen: Die Einzelfallbetrachtung, wie sie das Dublin-Verfahren vorgebe, mit müNdlicher Anhörung, befürwortet Tauber. In diesem Verfahren könne dann auch bei einem Syrer Subsidiaritätsschutz festgestellt werden und damit den Familiennachzug ausschließen. Doch "dadurch werden wir die Zahl der Menschen nicht reduzieren", ergänzte der CDU-Generalsekretär.
    Auf die Frage, ob die Uneinigkeit in dieser Frage die Kanzlerin demontiere, sagte er, den Eindruck habe er nicht. Partei und Fraktion wissen sehr wohl, was sie an Angela Merkel hätten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Guten Morgen!
    Peter Tauber: Einen schönen guten Morgen.
    Kaess: Herr Tauber, hat Helmut Schmidt auch Ihre Generation politisch noch geprägt?
    Tauber: Das würde ich schon sagen. Jetzt ist es bei mir persönlich so: Helmut Kohl war Kanzler, als ich eingeschult wurde, und er war noch Kanzler, als ich Abitur gemacht habe, und deswegen habe ich Helmut Schmidt eher als denjenigen, der politisches Geschehen kritisch begleitet, kommentiert, einordnet, erlebt. Aber mir ist gestern auch noch mal bewusst geworden bei den sehr persönlichen Worten der Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin bei uns in der Fraktionssitzung, wie sehr er nicht nur dieses Land, sondern alle, die sich politisch interessieren und auch engagieren, geprägt hat. Ich weiß auch, dass meine Eltern bis zum NATO-Doppelbeschluss lange auch Fans von Helmut Schmidt waren, und erst als dann die sozialliberale Koalition brach sie auch mit der SPD ein bisschen gebrochen haben. Er hat eine Strahlkraft gehabt und das ist ja eben auch in den vielen Kommentaren deutlich geworden diese Verbindung aus Pragmatismus und Überzeugung. Das, glaube ich, fasziniert bis heute viele an ihm.
    Kaess: Hat er für Sie persönlich Vorbildfunktion?
    Tauber: In dieser Bereitschaft, Dinge klar anzusprechen, trotzdem aber immer den Eindruck zu vermitteln, dass er anderen Haltungen auch mit Respekt begegnet. Ich glaube, das ist ja etwas, was der politischen Debatte ab und an fehlt, und da ist er sicherlich nicht nur in diesem Punkt, aber in dem eben auch Vorbild.
    Familienzuzug ist nicht vorrangiges Problem
    Kaess: Dann schauen wir auf die politische Debatte, denn während viele Deutsche immer noch um Helmut Schmidt trauern, geht ja die Tagespolitik weiter mit dem alles überlagernden Thema Flüchtlingspolitik. Der Familiennachzug syrischer Flüchtlinge, der sorgt für Kontroversen in der Großen Koalition, und seit gestern ist bekannt, dass das sogenannte Dublin-Verfahren auch wieder für syrische Flüchtlinge gilt, und zwar bereits seit drei Wochen. Das bedeutet, dass Asylsuchende aus dem Bürgerkriegsland in den Staat zurückgeschickt werden können, über den sie die EU betreten haben. Beides hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Alleingang beschlossen. Bestimmt der Bundesinnenminister jetzt den Kurs der Union in der Flüchtlingspolitik?
    Tauber: Er bestimmt ihn mit. Wir arbeiten ja alle gemeinsam daran, an dem großen Ziel, nicht nur den Menschen gerecht zu werden, die jetzt in tiefer Not zu uns kommen, sondern uns auch mit der Frage zu beschäftigen, wie können wir die Perspektiven dort verbessern, wo sie sind, und wie können wir auch die Zahl derjenigen, die zu uns kommen, reduzieren. Sie haben aber eben ein Wort gesagt, und das ist entscheidend und das würde ich gerne noch mal aufgreifen. Sie haben von "können" gesprochen, und sowohl beim Familiennachzug als auch bei der Anwendung der Dublin-Regel, glaube ich, müssen wir ein bisschen aufpassen, dass wir nicht falsche Erwartungen wecken und glauben, dass wir damit allein die aktuelle Herausforderung meistern. Beim Familiennachzug ist es so: Der findet de facto derzeit nicht statt, weil wir erst mal die vielen hunderttausend Fälle abarbeiten müssen derjenigen, die bei uns im Land sind. Deswegen kann man darüber sprechen, wie der künftig organisiert ist, wo er stattfinden kann und wo es keinen Familiennachzug geben wird, aber es ist nicht das vorrangige Problem. Und bei der Anwendung der Dublin-Regeln ist ja der entscheidende Punkt auch: Wenn wir sagen, wir gehen zurück zu der individuellen Fallbetrachtung, also prüfen jeden einzeln nicht mehr im schriftlichen Verfahren, sondern in einer mündlichen Anhörung, dann muss auch bei Menschen, die aus Syrien zu uns kommen, zweierlei gewährleistet sein.
    Erstens: Wir schieben sie nicht zurück nach Griechenland ab. Das ist klar. Und der zweite Punkt: Wir können sie nur dann in ein Land zurückschieben, wenn sie dort registriert worden sind. Und da die meisten Menschen auf dem Weg zu uns nicht registriert worden sind, reden wir über eine relativ kleine Gruppe. Also zu glauben, dass wir dadurch die Zahl derjenigen, die bei uns im Land sind, erheblich reduzieren werden, ist aus meiner Sicht eine falsche Annahme.
    Kaess: Gut! Dann ist das erst mal klar. - Ich möchte noch mal gerne zurück zum Prozedere, wie das Ganze gelaufen ist. Sie würden mir aber schon zustimmen, dass den Familiennachzug auch für syrische Flüchtlinge zu begrenzen, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière sich da gegen die Kanzlerin durchgesetzt hat?
    Tauber: Nein. Wir haben bereits in der Vorwoche, bevor wir an dem Wochenende über die generelle Frage des Familiennachzugs diskutiert haben, ja schon eine Einschränkung beim Familiennachzug gemacht. Darauf haben sich die drei Parteivorsitzenden verständigt.
    Kaess: Aber nicht bezogen auf die syrischen Flüchtlinge.
    Tauber: In dem Moment, wo eine individuelle Prüfung erfolgt, kann natürlich auch bei einem syrischen Flüchtling subsidiärer Schutz festgestellt werden, und dann wäre auch bei ihm der Familiennachzug eingeschränkt. Was schwierig ist, dass wir sozusagen von dem rein schriftlichen Verfahren übergehen zu einer Pauschalisierung in der Frage, dass jeder Syrer nur noch subsidiären Schutz bekommt. Das ist gegenwärtig Stand der Debatte. Aber durch das individuelle Verfahren ist das ausgeschlossen und das halte ich für eine ganz kluge Herangehensweise.
    Kaess: Herr Tauber, wenn das so klar ist, wie Sie das jetzt gerade darstellen, warum musste dann eigentlich Bundesinnenminister de Maizière Ende letzter Woche oder am Wochenende seinen Vorstoß noch dementieren, und zwar auf Druck des Kanzleramtes?
    Tauber: Ich glaube, dass es schon wichtig ist in einer Frage, die alle so beschäftigt wie dieses Thema gerade, dass wir am Ende auch in der Großen Koalition beisammen bleiben. Dazu müssen wir immer wieder auch miteinander ringen. Das haben wir bei der Frage der Transitzonen sehr ausführlich getan, das haben wir schon bei dem letzten Asylgesetzpaket getan.
    Kaess: Aber es geht jetzt um das Dementi.
    Tauber: Na ja. Dass wir gesagt haben, wir haben doch uns jetzt erst mal auf was verständigt, das wollen wir machen. Da haben wir den subsidiären Schutz und für den ist der Familiennachzug ausgesetzt. Und dass wir dann über diesen Vorschlag, den er dann gemacht hat, oder diese Idee noch mal reden müssen gemeinsam, ich finde, das ist was Normales.
    "Wir wollen die Zahl der Flüchtlinge begrenzen"
    Kaess: Und am Montag war dann nach dem Wochenende wieder alles ganz anders, als sich viele Unions-Politiker hinter de Maizière gestellt haben.
    Tauber: Wir werden noch ganz oft erleben, dass alles am nächsten Tag ganz anders ist, weil es auch eine besondere Zeit ist und eine besondere Herausforderung.
    Kaess: Und in dieser besonderen Zeit spricht selbst Unions-Fraktionschef Volker Kauder gestern von Kommunikationsproblemen in Teilen der Regierung und der CDU-Vize Thomas Strobl sogar von einem Kommunikationsdesaster. Es ist ja auch Ihr Job als Generalsekretär, die politischen Standpunkte der Partei nach außen zu vertreten. Was ist denn jetzt die Linie der Union?
    Tauber: Die Linie der Union ist sehr klar. Wir haben gesagt, wir tun alles, um A den Menschen in Not zu helfen, die zu uns kommen. B wollen wir aber auch diese Zahl begrenzen, und dazu haben wir innenpolitisch einige Dinge zu tun. Wir sind aber der festen Überzeugung, dass wesentlich auch die außenpolitische Frage ist, und da müssten wir uns alle ein bisschen mehr um die Sicherung der Außengrenze in der Europäischen Union bemühen. Das tut die Bundeskanzlerin und da wäre es gut, wenn alle sie dabei unterstützen.
    Kaess: Und was den Familiennachzug und das Dublin-Verfahren betrifft, da waren Sie immer auf dem aktuellen Informationsstand?
    Tauber: Ich habe mich da rege ausgetauscht mit allen Kollegen, so wie mir das im Rahmen meines Zeitbudgets möglich ist. Als Generalsekretär kümmere ich mich um viele weitere Aufgaben zusätzlich noch und ich rate allen, da immer miteinander zu sprechen. Dann kann man die eine oder andere Kommunikationsschwierigkeit auch überwinden.
    Kaess: Aber da noch mal nachgefragt. Sie wussten bereits vorgestern auch schon, bevor der Bundesinnenminister gesagt hat oder das Bundesinnenministerium bekannt gegeben hat, das Dublin-Verfahren wird schon seit drei Wochen wieder angewendet bei syrischen Flüchtlingen, da wussten Sie schon lange bescheid davon?
    Tauber: Nein. Lange bescheid wusste ich nicht. Manches erfahre ich dank auch Ihrer Arbeit dann aus der Presse. Nicht alle rufen mich vorher an und sagen, ich habe jetzt übrigens morgen das und das vor. Das wäre, glaube ich, auch vermessen. Ich bin nicht Teil der Bundesregierung, ich bin Generalsekretär der Partei und da gibt es auch eine ganz gute und kluge und notwendige Trennung bei diesen Fragen.
    "Flüchtlingszahlen reduzieren sich durch Sicherung der Außengrenzen"
    Kaess: Aber bei diesen sensiblen Punkten, kann es sein, dass Sie da nicht informiert sind darüber?
    Tauber: Ach wissen Sie, das ist von Fall zu Fall unterschiedlich und das ist auch nicht die entscheidende Frage, sondern die entscheidende Frage für mich ist immer: Schaffen wir es, am Ende klarzumachen, was ist die Priorität in unserem Handeln? Und da sage ich es noch mal sehr deutlich: Da würde ich mir wünschen, dass alle zeigen, dass nicht der Familiennachzug und nicht jetzt allein die Verfahrensfragen uns helfen werden, die Zahl derjenigen zu reduzieren, die zu uns kommen, sondern dass wir da unseren Fokus stärker auf die Außenpolitik richten.
    Kaess: Herr Tauber, die Wahrnehmung ist von außen, dass es hier um eine Demontage der Kanzlerin geht. Wie wollen Sie das denn wieder ausräumen?
    Tauber: Den Eindruck habe ich nicht. In der Vergangenheit war es so, dass manche auch immer mal gesagt haben, schade, dass in der Unions-Fraktion nicht so lebendig diskutiert wird. Jetzt diskutieren wir sehr lebendig. Es gab auch gestern in der Fraktion sehr viele unterstützende und positive Stimmen, die gesagt haben, wir müssen jetzt in einer schwierigen Zeit auch unseren Kurs, den wir bereits vor vielen Wochen abgesteckt haben, beibehalten. Helmut Schmidt hat mal den schönen Satz gesagt, in der Krise beweist sich der Charakter, und da darf man dann auch streiten. Man muss nur das Ziel klar im Auge behalten und ich habe den Eindruck, Fraktion und Partei wissen sehr wohl, was sie an Angela Merkel haben und unterstützen sie deswegen.
    "Es ist notwendig, zum Dublin-Verfahren zurückzukehren"
    Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch auf die Auswirkungen in der Praxis von dem, was da jetzt zur Diskussion steht. Wenn Syrien-Flüchtlinge einen schlechteren, also diesen sogenannten subsidiären Status bekommen, dann ist das ja viel mehr Verwaltungsaufwand, weil da gibt es erst lange Anhörungen. Dann nach einem Jahr muss das wieder überprüft werden. Und mehr Verwaltungsaufwand bringt es ja auch, wenn das Dublin-System wieder greift. Das Ziel waren doch eigentlich schnellere Verfahren.
    Tauber: Das Ziel waren schnellere Verfahren in einer Zeit, wo wir beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einer ja auch wirklich schwierigen Situation waren durch zu wenig Männer und Frauen, die die Verfahren bearbeiten konnten. Frank-Jürgen Weise war ja gestern auch bei uns in der Fraktion, hat sehr ausführlich von den Anstrengungen berichtet, die er jetzt unternimmt, um das BAMF neu aufzustellen, bis hin zu dem Flüchtlingsausweis, der Anfang des nächsten Jahres kommen wird. Und in dem Moment, wie das BAMF aufwächst, es neue Kapazitäten hat, kann man natürlich auch zu den anderen Verfahren zurückkehren. Ich glaube auch, ehrlich gesagt, dass das irgendwann notwendig ist, weil unser Anspruch natürlich auch sein muss, jedem Menschen einzeln gerecht zu werden und vielleicht auch den einen oder anderen Missbrauch dann leichter aufzudecken, als wenn man es pauschal macht. Insofern glaube ich, man muss es abwägen. Wir müssen uns anschauen, haben wir die Kapazität schon, um Umstellungen zu machen, und darüber reden jetzt auch die Fachleute.
    Kaess: Aber das Ziel unterm Strich wird wieder aufgegeben auf Druck des Bundesinnenministers, das Ziel, schnellere Verfahren zu erreichen?
    Tauber: Nein, nicht zwingend. Wissen Sie, wenn Sie eine höhere Zahl an Fallbearbeitern haben, dann können die Verfahren trotzdem schneller als in der Vergangenheit abgearbeitet werden. Es muss sozusagen im Gleichklang geschehen. Und wir müssen uns gut überlegen, schaffen wir es, dadurch sowohl schnellere Verfahren zu haben als auch dem Einzelfall gerecht zu werden und das zu prüfen und zu beurteilen, das ist Aufgabe der Fachexperten.
    Kaess: ... sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Danke schön für dieses Gespräch heute Morgen.
    Tauber: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.