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Petersburger Dialog
Reform als Ziel, nicht den Boykott

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat gemeinsam mit mehreren anderen Nichtregierungsorganisationen ihre Teilnahme am Petersburger Dialog abgesagt. Ihr Vorsitzender Ralf Fücks sagte im Deutschlandfunk, dass ein Boykott nicht die Absicht sei. Doch die russische Haltung gegen die Organisationen sei nicht tragbar. "Uns geht es um ein Ausrufezeichen, dass es so nicht weitergeht."

Ralf Fücks im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.10.2014
    Ralf Fücks, Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung (Archivbild von 2008)
    Ralf Fücks, Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung (Archivbild von 2008), wies Gesprächsverweigerung von sich. (dpa / picture-alliance / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Die den Grünen nahe stehende Heinrich-Böll-Stiftung sowie die Organisationen Deutsch-Russischer Austausch und Europäischer Austausch sowie Vertreter von Amnesty International und Greenpeace hatten gemeinsam ihr Fernbleiben vom Petersburger Dialog in einem Brief an die Bundesregierung angekündigt. Als Ursache ihrer Absage führten sie Russlands Politik im Ukraine-Konflikt und den Repressalien gegen russische Organisationen an. "Zwölf kritische Nichtregierungsorganisationen sind in Russland zu ausländischen Agenten Spionen deklariert worden", sagte Fück. Die letzten unabhängigen Medien gerieten zudem immer stärker unter Druck. "Das ist eine Situation, in der man keinen offenen Dialog der Zivilgesellschaften simulieren kann."
    Es gebe weiterhin einen unerklärten Krieg Russlands gegen die Ukraine. "Das Projekt Neurussland ist nicht beendet. Putin hat sein Ziel nicht aufgegeben, eine Annäherung der Ukraine an die EU zu verhindern und die Ukraine in den russischen Machtbereich zurückzuholen."
    Auf russischer Seite sei der Dialog eine Veranstaltung der Staatsmacht und nicht der unabhängigen Zivilgesellschaft. Auf deutscher Seite gebe es ein "übergroßes Verständnis für die russische Politik". Jede Kritik sei als "Kalte-Krieg-Rhethorik oder als Störung der guten Beziehung" abgetan worden. Das sei keine Grundlage für einen Dialog.
    Vorwürfe einer Gesprächsverweigerung wies Fücks von sich. "Wir haben viele intensive und freundschaftliche Kontakte nach Russland." Die Heinrich-Böll-Stiftung sei "sehr daran interessiert", den Petersburger Dialog zu reformieren, "damit er ein ernsthafter Dialog wird". Es gehe nicht um Boykott oder Kontaktabbruch, sondern darum, ein Ausrufezeichen zu setzen. "So kann es nicht weitergehen."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Hat Wladimir Putin eingesehen, dass er seine Politik gegenüber der Ukraine und gegenüber dem Westen korrigieren muss? Am Wochenende hatte der russische Präsident seine Truppen angewiesen, sich aus dem Grenzgebiet zur Ukraine zurückzuziehen. Offiziell hatten sie dort Manöver abgehalten. Nun sollen diese Manöver angeblich beendet sein. Ein Zeichen der Entspannung?
    Der Petersburger Dialog, er war vor elf Jahren ins Leben gerufen worden, um den gesellschaftlichen Diskurs zwischen Russland und Deutschland voranzutreiben. In wenigen Wochen wird eine neue Runde zusammenkommen, diesmal in Sotschi. Doch das Treffen, das steht unter keinem guten Stern. Die Bundesregierung, die hat offenbar erwogen, das Treffen zu verschieben, angesichts der russischen Rolle im Ukraine-Konflikt, und mehrere Nichtregierungsorganisationen haben ihre Teilnahme gleich ganz abgesagt, darunter auch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. Am Telefon ist jetzt deren Vorstand Ralf Fücks. Schönen guten Tag, Herr Fücks.
    Ralf Fücks: Guten Tag, Herr Heckmann.
    Heckmann: Weshalb Ihre Absage gerade jetzt?
    Fücks: Dafür gibt es zwei aktuelle Gründe. Zum einen die wachsende Repression gegen kritische Nichtregierungsorganisationen, unabhängige Zivilgesellschaft, also gegen unsere Partner in Russland. Mittlerweile sind, ich glaube, zwölf solcher NGOs zu ausländischen Agenten deklariert worden. Ihre Leitung wird mit Strafgeldern oder sogar mit Organisationsverboten bedroht. Die letzten unabhängigen Medien geraten immer stärker unter Druck. Das ist eine Situation, in der man unserer Ansicht nach nicht einfach einen offenen Dialog der Zivilgesellschaften simulieren kann, wenn diese Zivilgesellschaft in Russland immer stärker unter den Daumen des Kreml genommen wird. Gleichzeitig haben wir es immer noch mit einem unerklärten Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun, auch wenn es jetzt vielleicht erste Entspannungssignale gibt. Aber weder halte ich das Projekt Neurussland tatsächlich für beendet, noch hat Putin sein Ziel aufgegeben, die Annäherung der Ukraine zur Europäischen Union zu verhindern und die Ukraine wieder in den russischen Machtbereich zurückzuholen. Und das ist eine Situation, in der man aus unserer Sicht jedenfalls nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.
    "Eher eine Veranstaltung der Staatsmacht"
    Heckmann: Herr Fücks, Sie haben in Ihrem Brief unter anderem formuliert, der Petersburger Dialog, der sei von Anfang an eine vom Kreml inszenierte und kontrollierte Veranstaltung gewesen, und die deutsche Führung, die würde von Personen dominiert, die aus politischer und ökonomischer Opportunität dazu neigen, Kritik an Moskau als Störung der deutsch-russischen Freundschaft zu betrachten. Weshalb haben Sie denn so lange mitgemacht?
    Fücks: Weil wir jede Dialogmöglichkeit nutzen wollten und im Prinzip auch immer noch wollen, gerade im Interesse unserer russischen Partner, denn wir dachten immer, das wäre auch ein gewisser Schutzschild für die. Das hat sich jetzt als eine Illusion erwiesen. Außerdem haben die letzten Jahre immer wieder Debatten hervorgebracht, ob der Petersburger Dialog in dieser Form überhaupt haltbar ist, ob er zukunftsfähig ist, oder ob nicht eine Reform dringend überfällig ist. Wenn zum Beispiel der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses, Viktor Subkow, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom und Kurzem stellvertretender Ministerpräsident des Kreml war, dann zeigt sich, dass das zumindest auf der russischen Seite doch eher eine Veranstaltung der Staatsmacht ist und nicht einer unabhängigen Zivilgesellschaft. Und auch auf deutscher Seite ist schon richtig, dass es da, sagen wir, ein übergroßes Verständnis für die russische Politik gab, mehrheitlich im deutschen Lenkungsausschuss, und dass Kritik an dieser Politik als Kalte-Kriegs-Rhetorik abgetan wurde, oder als Störung der guten Beziehungen. Das ist für uns keine Grundlage für einen tatsächlichen zivilgesellschaftlichen Dialog.
    "Wichtig als Signal an den Kreml "
    Heckmann: Der Co-Vorsitzende des Petersburger Dialogs, Lothar de Maizière, der nennt Sie jetzt Gesprächsverweigerer. Probleme, die könne man nur in Gesprächen lösen, aber nicht dadurch, dass man ihnen fern bleibt. Und Walther Stützle, den wir gerade eben im Interview hatten, der nannte dieses Dialogforum auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Islamischen Staats, der Terrormiliz dort in Syrien, im Irak, aber auch vor dem Hintergrund der Situation in der Ukraine dringender denn je.
    Fücks: Den Schuh ziehen wir uns ganz bestimmt nicht an der Gesprächsverweigerung. Erstens unterhalten wir ja selbst viele und sehr freundschaftliche und intensive Kontakte nach Russland zu Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsgruppen, Umweltinitiativen, Frauenorganisationen, stadtpolitische Initiativen, die versuchen, etwas mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu bekommen auf die Entwicklung ihrer Lebenswelt. Zweitens gibt es eine ganze Reihe natürlich von politischen Kommunikationskanälen zwischen der Bundesrepublik, der EU und Russland. Und drittens wären wir sehr daran interessiert, den Petersburger Dialog zu reformieren, sodass er tatsächlich zu einem ernsthaften Dialoginstrument wird - sei es mit der offiziellen Politik oder sei es tatsächlich zwischen den zivilgesellschaftlichen Akteuren. Aber an einer potemkinschen Fassade würden wir uns nicht gerne beteiligen. Es geht uns ja nicht um Boykott; es geht uns nicht darum, die Kontakte abzubrechen, sondern es geht uns darum, jetzt mal ein Ausrufezeichen zu setzen und zu sagen, so kann es nicht weitergehen und wir müssen jetzt mal neu überdenken, wie wir künftig den Dialog mit Russland gestalten. Das ist, glaube ich, auch wichtig als Signal an den Kreml, weil sonst verfestigt sich dort der Eindruck, dass Europa im Grunde keinen ernsthaften Widerstand gegenüber der russischen Politik setzen wird.
    "Auch im Parlament eine zunehmende Irritation"
    Heckmann: Und Sie glauben tatsächlich, dass Moskau bereit sein könnte, diesen Petersburger Dialog in Zukunft auf eine andere, eine bessere Grundlage zu stellen?
    Fücks: Ja das werden wir sehen, wie interessiert tatsächlich die offizielle russische Seite an diesem Format ist. Ich meine, wir stehen ja nicht alleine in der Landschaft. Wenn ich es richtig gelesen habe, wird auch Gernot Erler, der Osteuropabeauftragter der Bundesregierung, diesmal nicht nach Sotschi fahren, Herr Schockenhoff, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Marieluise Beck von der Grünen-Fraktion. Also es gibt auch im Parlament eine zunehmende Irritation und den Willen, dass man da jetzt etwas ändern muss an diesem Format.
    Heckmann: Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, war das hier live im Deutschlandfunk. Herr Fücks, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Fücks: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.