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Peymann inszeniert Kafka
"Der Prozess" in plakativen Bildern

Der Theatermacher Claus Peymann ist bekannt dafür, dass er Adaptionen von Romanen, Erzählungen und Filmen auf der Bühne ablehnt. Bis jetzt. Denn um von der Angst des Menschen vor der totalen Überwachung zu erzählen, inszeniert Peymann im Berliner Ensemble Kafkas "Der Prozess".

Von Eberhard Spreng | 15.06.2014
    Ein roter Theatervorhang.
    Plakativ und wenig rätselhaft: Peymanns inszeniert Kafkas "Der Prozess" in Berlin. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Zeichen wohin man blickt: Jeder der zahlreichen Stühle, jeder der kleinen Tische ist mit einer Chiffre versehen, mal Buchstaben, mal Zahlen, mal Kryptisches. Das ärmliche Mobiliar wirkt wie durcheinandergeraten nach einer zu lebhaften Schulstunde, kreuz und quer verteilt in einem Versammlungsraum, über dem nackte Leuchtstoffröhren ein kaltes Licht verbreiten.
    Aber auch die weiß geschminkten Schauspieler in ihren meist schwarzen Kleidchen und Anzügen tragen Buchstaben auf ihrer Kleidung. Ein großes "K" klebt selbstredend auf dem Rücken des Protagonisten. Nicht "M - eine Stadt sucht eine Mörder", sondern "K, ein Mann sucht nach seiner Schuld" soll hier gespielt werden. Dafür haben Claus Peymann und sein Bühnenbildner Achim Freyer sich durchaus von der Ästhetik der Entstehungsjahre des Romans inspirieren lassen.
    Krudes Schwarz-Weiß, expressionistischer Ausdruck, große, ja grobe Mimik, überdeutliche Gestik. Wenn Josef K. als Prokurist in der Bank die Dinge über den Kopf wachsen, dann sinkt er in die Knie während die Mitspieler Papiere immer höher recken. Josef K. ist allein im Angesicht eines Systems, von dem er nicht weiß wie es funktioniert.
    "... und der Sinn dieser großen Organisation, meine Herren? Er besteht darin, dass unschuldige Personen verhaftet werden und gegen sie
    ein sinnloses Verfahren eingeleitet wird."
    Noch steht der von Veit Schubert gespielte Franz K. am Beginn seines Verfallsprozesses, noch glaubt er, zwischen dem Verfahren und seiner eigenen Person unterscheiden zu können. Noch ahnt er nicht einmal, dass seine amourösen Verwicklungen in ihm ein Schuldgefühl verursachen, das der Motor für die immer komplexer werdende Verstrickung im eigenen Verfahren sein könnte. Noch vermutet er auch, andere Menschen können ihm beim Erfolg vor dem kuriosen Gericht behilflich sein. Joachim Nimtz spielt den Maler Titorelli, von dem er Auskünfte über die Hintergründe erhofft, als hemdsärmeligen Kerl, der seine Mädels in einem Verließ unterm Bühnenboden hält. Den Advokaten Huld spielt Martin Schwab: Er sitzt im Rollstuhl, ein alter, kranker Haudegen mit unbedingtem Autoritätsanspruch:
    "Die Verteidigung ist nämlich durch das Gesetz nicht eigentlich gestattet, sondern nur geduldet. Dennoch sind die Advokaten bei keinem anderen Gericht so notwendig wie bei diesem. Das Verfahren ist nämlich nicht nur vor der Öffentlichkeit geheim, sondern auch vor dem Angeklagten."
    Von der zweischneidigen Motivation des Geschehens in Kafkas Roman bekommt Claus Peymanns Inszenierung mit ihrem grob illustrierenden Spiel nur eine Seite zu fassen. Veit Schubert wird in der Rolle des Franz K. von zutiefst bösartigen und undurchsichtigen Mitmenschen in den Untergang getrieben: Ein Rudel fauchender, brummelnder, krakeelender Beamter macht sich über einen an sich netten Kerl her.
    Am Ende recken die Nebenfiguren aus den Proszeniumslogen ihre Köpfe vor, um zischelnd zu kommentieren, wie der Protagonist Stühle zu einem Berg stapelt, sich seiner Kleider entledigt um sich für seine Hinrichtung bereit zu machen. Die andere, eher psychoanalytische Seite bleibt in solch plakativem Spiel unerforscht: Wie nämlich ein Mann innere Konflikte und Schuldkomplexe auf seine Umwelt projiziert und sich so selbst den Prozess macht.
    Jutta Ferbers Theateradaption erzählt die Handlung stark raffend nach. Die Schauspieler resümieren dabei auch selbst Kontext und Situation. Nur einmal gestattet sich die Theaternacherzählung in einem Solo einen brillanten Moment literarischer Differenzierung: Da steht Jürgen Holtz als gebeugter Geistlicher mit irrlichternden Händen hinter einer aus einem hochgestellten Tisch gebildeten Kanzel und spricht Kafkas Parabel "Vor dem Gesetz". Er lässt mit jedem seiner ausgeformten Sätze den so sattsam bekannten Text noch einmal aufleuchten. Er macht damit aber auch klar, was Peymanns "Expressionismus des Absurden", sein "Theater der Illustration" dem Publikum die ganze Zeit vorenthalten hat: Poesie, Rätsel, Abenteuer.