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Pfalztheater Kaiserslautern
Zwei Opern zwischen Asien und Europa

Zwei mysteriöse Liebesgeschichten in Musik gesetzt: Eine chinesische von dem Deutsche Christian Jost und eine englische von dem Japaner Toshio Hosokawa. Beide Opern, "Heart Sutra" und "The Raven", sind nun am Pfalztheater Kaiserslautern zu sehen.

Von Ursula Böhmer | 19.06.2017
    Eine Passantin geht am 14.12.2012 in Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) am Eingang des Pfalztheaters vorbei.
    Zeitgenössisches Operndoppel am Pfalztheater Kaiserslautern. (picture alliance/dpa - Uwe Anspach)
    Vier Bündel liegen anfangs auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters Kaiserslautern. Wie aus dem Kokon einer Seidenraupe entpuppen sich daraus nach und nach die Protagonisten aus Christian Josts Kammeroper "Heart Sutra". In vier Szenen und einem Prolog erzählt Jost darin von einem tragischen Liebesquartett: Mann liebt Frau, obwohl er eigentlich mit deren bester Freundin verbandelt ist. Die Frau liebt aber ohnehin nur ihren Vater, der wiederum ihre Mutter betrügt - ausgerechnet mit ihrer besten Freundin.
    Inzestuöses Liebesdrama als Scherenschnitt-Theater
    Die großartige Aoife Gibney hier als Tochter, die in ihrer abgründig inzestuösen Liebe mit Eifer sucht, was Leiden schafft – und dabei auch mal auf chinesisch singen muss. Denn:
    "Diesen vier filmischen Szenen wird ein Gedicht von Ailing Xhang vorangestellt: Da geht es um ein herbstliches Blatt, das seine große Liebe, nämlich seinen Schatten, sucht. Und erst, wenn dieses Blatt auf dem Boden auftrifft, wird es diese Liebe vervollkommnen. Und diese Liebe sucht die Tochter aber leider in ihrem Vater – so sehr, dass dadurch sehr viele Familienstrukturen verloren und kaputt gehen, und nicht nur das: Auch Freundschaften zerbrechen", sagt Martina Veh.
    Die Regisseurin siedelt den tragischen Liebesreigen in der Haartollen- und Tupfenkleiderwelt der 1940er-Jahre an – und lässt sie zusätzlich buchstäblich bebildern: Denn vorne links sitzt der Künstler Freddy Engel an einem Overhead-Projektor, auf dem er mit allerlei Folien, vertrockneten Blumen und Papierdekorationen hantiert, sie übereinander schichtet, auch mal drüber malt. Mal abstrakte, mal konkrete Bilderwelten entstehen, die dann auf eine weiße Wand projiziert werden - wie im chinesischen Scherenschnitt-Theater. Irgendwann spritzt der Künstler auch Putzmittel auf die Folie und bläst die Tropfen mit einem Strohhalm auseinander – ein genialer Bildkommentar zu der Szene zwischen Tochter und Mutter.
    "Diese Szene spielt ja in dichtem Sturm und Regen – und die beiden Frauen sitzen in einer kleinen Rikscha, die eigentlich nur für eine Person gedacht ist, es ist wahnsinnig eng und draußen prasselt der Regen an das Dach, von dem dann auch gesprochen wird. Und dieses Dach fängt an zu riechen nach Stadt und Öl und dieses Spülmittel war dann sehr praktisch! Das hat dann durchaus den Regen ganz gut imitiert", meint die Regisseurin.
    Hosokawas Oper basiert auf Gedicht von Edgar Allen Poe
    Ganz andere Schattenspiele dann in Toshio Hosokawas Monooper "The Raven". In dem Stück, das auf einem Gedicht Edgar Allan Poes basiert, malt, spritzt und streicht der Künstler Eddy Engel mit schwarzer Farbe auf weißem Papier – und zaubert verschiedene abstrakte Frauenfiguren hervor. Schatten ihrer selbst: Denn "The Raven" oder "Der Rabe" erzählt von einem Mann, dessen Geliebte gestorben ist. Im Dialog mit einem mysteriösen Raben, der ihn nachts aufsucht, hadert er mit seinem Schicksal – und erhält vom Raben doch immer nur die gleiche Antwort: "Nevermore", "nimmermehr".
    "Wir wissen ja auch von Edgar Allan Poe, dass er sämtliche Frauen in seinem Leben auf tragische Weise immer wieder an die Tuberkulose verloren hat – sowohl die Mutter, als auch die Frau. Und auch dem Alkohol stark anheimgefallen ist. Er starb dann ja auch schon mit 40."
    Erzählt wird "The Raven" von einer Mezzosopranistin. Im schwarz schimmernden Gewand, dazu weiß geschminkt, schreitet Polina Artsis über die Bühne – wie im Nō-Theater. Tatsächlich hatte Toshio Hosokawa die Tier- und Geisterwelt dieser typisch japanischen Theaterform im Hinterkopf, als er komponierte – und in Anlehnung daran auch die Form des Monodramas wählte. Wunderbar, wie Polina Artsis sich intonationssicher durch Hosokawas Musik mit ihren komplizierten Intervallsprüngen und Trillern singt. In Christian Josts vorausgegangener Kurzoper "Heart Sutra" war sie noch die Mutter. Sehr unterschiedliche Klangwelten: Dirigent Johannes Witt arbeitet sie mit den Sängern und einem zwölfköpfigen Kammerorchester des Pfalztheaters feinfühlig und präzise heraus.
    Eine ganze Welt entwickelt sich aus einem Ton
    "Christian Jost komponiert harmonisch. Das sind Klänge - ohne ihm da zu nahe treten zu wollen - die auch ein bisschen an Filmmusik - sehr emotional, sehr anrührende Harmonien und sehr westlich und teilweise wirklich Dur- und Moll-Harmonien, wo dann noch ein Fremdton dazukommt. Und das ist bei Hosokawa komplett anders: Beim "Raven" entwickelt sich das ganze Stück erst mal aus einem Ton, das ist ein a: Das liegt erst mal und geht durch verschiedene Instrumente. Dann kommt ein Halbton dazu, dann kommt ein Tritonus dazu und dann kommen weitere Intervalle dazu. Diese Idee, dass eine ganze Welt aus einem Punkt entsteht – das ist so ein bisschen die Kompositionsweise in dem Stück."
    "In der japanischen Musik stellt eine Note eine Landschaft dar", hat Toshio Hosokawa einmal sinngemäß gesagt. Die Bäume dieser "Landschaft" hat er zwar sozusagen in westliche Form zurechtgestutzt - aber hier und da baumeln noch japanische Windglocken in den Ästen und im Unterholz wächst der Bambus:
    "Zum Beispiel die Querflöte hat mehrere Instrumente da liegen: Da gibt’s eine Bassflöte, eine Altflöte, eine normale Querflöte und ein Piccolo – es sind insgesamt vier Flöten, die sie benutzt und das wird mit viel Luft gespielt und steht auch in der Partitur von Hosokawa so drin, nur mit Luft zu spielen und das gibt schon diesen Bambusflöten-Effekt ein bisschen."
    Asiatische Klangwelt trifft auf westliche Poesie – asiatische Poesie trifft auf westliche Klangwelt. So spiegeln sich die Kulturen in Kaiserslautern, überlappen sich – und verbinden sich letztlich zum schlüssig inszenierten Ganzen voller Poesie. Unbedingt sehens- und hörenswert.