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Pflanzenforschung
Wie der Apfel vom Wald in den Obstgarten kam

Den Apfel könnte man für eine typische, gründlich domestizierte Kulturpflanze halten - stimmt aber nicht. Ein Artikel in der Fachzeitschrift „Frontiers in Plant Science“ zeichnet nach, was die Forschung in den letzten Jahren über die Geschichte des Apfels herausgefunden hat.

Von Volkart Wildermuth | 27.05.2019
Drei rote Äpfel und ein Messer liegen auf einem Jute-Tuch auf einem Holztisch
Beim Apfel dauert eine Generation nicht ein Jahr, sondern eher zwanzig Jahre (imago stock&people / Westend61)
Lecker - ein Braeburn, rot und säuerlich und um diese Jahreszeit auch ein wenig angeschrumpelt. Äpfel sind unwiderstehlich, Stichwort: "Adam und Eva" oder "Schneewittchen". Martin Luther hat sie dann als Symbol der Hoffnung interpretiert, wollte selbst Angesichts des Weltuntergangs noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Der Apfel ist nicht nur Nahrungsmittel, er ist auch eng mit der Kultur verwoben, ist gründlich gezähmt. Doch unter der Schale selbst des standardisierten Supermarktapfels sieht es anders aus, meint der Archäobiologe Robert Spengler.
"Populationsbiologisch ist der Apfel immer noch wild. Deshalb finde ich den Apfel so spannend, er passt nicht in unsere Vorstellung der Domestizierung."
Eine Apfel-Generation dauert zwanzig Jahre
Die orientiert sich am Beispiel von Weizen, Gerste oder Reis, erklärt der Forscher vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Einst unscheinbare Gräser wurden über Tausende von Generationen von Menschen zu ertragreichen Arten gezüchtet. Dafür war beim Apfel schlicht keine Zeit, denn bei ihm dauert eine Generation nicht ein, sondern eher zwanzig Jahre. Den entscheidenden ersten Impuls zur Domestizierung gab beim Apfel nicht die menschliche Kultur, sondern die Natur selbst.
"Apfelbäume entwickelten von sich aus große Früchte, um Großsäuger anzulocken, damit die ihre Samen verbreiten."
Beliebt bei Mammut, Nashorn und Pferd
Äpfel wachsen schnell, werden aber im Lauf der Zeit von größeren Bäumen überschattet. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Samen die nächste freie, vielleicht weit entfernte Fläche erreichen. Es lohnte sich für die Bäume, in große Früchte zu investieren. Der Wildapfel im Tian-Shan-Gebirge in Kasachstan misst immerhin acht Zentimeter im Durchmesser und würde im Supermarktregal kaum auffallen. Kein Wunder, dass hier Mammuts, Wollnashörner, Kamele oder auch Pferde zubissen und nebenbei die Samen verbreiteten. Auch die ersten Menschen griffen gerne zu, so Robert Spengler.
"Apfelkerne finden sich bis zurück zu Steinzeitfunden. Die Menschen in Europa nutzen diese wundervollen Früchte seit mehr als zehntausend Jahren."
Der Apfel reist mit auf der Seidenstraße
Trotzdem wurden Äpfel nach dem Ende der Eiszeit und dem Aussterben der meisten Großsäuger nicht länger effektiv verbreitet, bleiben auf Regionen wie Süddeutschland, den Kaukasus oder das Tian-Shan-Gebirge beschränkt. Dort entwickelten sich jeweils eigene Varianten. Sie kamen erst wieder in Kontakt, als die Menschen begannen, über das verzweigte Wegenetz der Seidenstraße Handel zu treiben und dabei auch die Äpfel mit auf Reisen nahmen.
"Die Kreuzung entfernt verwandter Varianten führt zu Veränderungen in den Nachkommen. Und eine wichtige Veränderung sind größere Früchte."
Moderne Apfelsorten sind geklonte genetische Duplikate
Mehr oder weniger auf einen Schlag entstanden entlang der Handelswege aus der zufälligen Kreuzung etwa des Tian-Shan-Apfels mit dem europäischen Holzapfel sogenannte Hybrid-Sorten, die nicht nur größere, sondern auch süßere Früchte bildeten. Aber solche Hybride sind genetisch nicht stabil, verlieren ihre besonderen Eigenschaften schon in der nächsten Generation. Wenn man also den Samen eines großen Kulturapfels aufzieht, wächst nur ein vergleichsweise mickriger Holzapfel heran.
"Die großen, süßen Äpfel unserer bekannten Kultursorten sind tatsächlich vom Menschen fixierte Hybride. Sie wurden immer weiter geklont über Setzlinge oder das Aufpfropfen von Ästen der Hybride auf andere Stämme. Unsere Äpfel sind exakte genetische Duplikate von Bäumen, die seit 2.000 Jahren oder länger erhalten werden."
Während Weizen oder Reis nach Jahrtausenden der Züchtung stabile biologische Arten darstellen, muss der moderne Apfel noch heute immer wieder aktiv durch die Arbeit des Menschen konserviert und weitergegeben werden. So gesehen ist der Apfel die wahre Kulturpflanze.