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Pflanzenschädlinge wandern nordwärts

Tier- und Pflanzenarten breiten sich zusehends in nördlichere Gefilde aus. Dort können sie Fuß fassen, weil es insgesamt wärmer geworden ist. Britische Forscher haben nun untersucht, wie stark auch Schädlinge in der Landwirtschaft auf dem Vormarsch Richtung Pole sind.

Von Volker Mrasek | 02.09.2013
    Sie klingen nach jeder Menge Arbeit - die Zahlen, die Sarah Gurr inzwischen auswendig kennt. Fast 27.000 Beobachtungsdaten von über 600 verschiedenen Pflanzenschädlingen – so viel Material hat die Molekularbiologin für ihre neue Studie ausgewertet. Zu den Autoren zählt auch der Forstökologe Daniel Bebber. Genauso wie Sarah Gurr forscht er an der Universität von Exeter in England.

    "Wir haben nicht alle Schädlinge untersucht, die es gibt, sondern uns auf diejenigen konzentriert, die für die Landwirtschaft wichtig sind: Bakterien und Pilze, alle möglichen Insekten, Fadenwürmer, Oomyceten – das sind pilzartige Pflanzenparasiten. Und dann auch noch Protozoen, eine Gruppe von Einzellern. Es waren also lauter unterschiedliche Lebewesen."

    Gurr und Bebber wollten etwas überprüfen. Und zwar die These, dass sich Ackerschädlinge infolge des Klimawandels immer stärker polwärts ausbreiten, begünstigt durch steigende Temperaturen. Dabei standen den Forschern Beobachtungsdaten aus den letzten fünf Jahrzehnten zur Verfügung - sowohl von der Nord- wie auch von der Südhalbkugel.

    Und tatsächlich: Die Briten erkennen einen Trend in ihren Daten. Demnach breiten sich Pflanzenschädlinge, die Landwirten Sorgen bereiten, um 2,7 Kilometer pro Jahr Richtung Pole aus. Das ist der Mittelwert für alle betrachteten Arten zusammen.

    "Diese Veröffentlichung ist von großer Bedeutung. Denn es ist die erste, die zeigt, dass sich im Zuge der Klimaerwärmung auch Agrarschädlinge ausbreiten. Bisher wusste man das nur von wildlebenden Tierarten und Studien über sie. Vor uns hat sich leider noch niemand die Fülle von Daten über das Auftreten von Schädlingen so umfassend angeschaut."

    Offenbar treibt es die Pflanzenschädlinge schneller polwärts als die Populationen wildlebender Tiere. Für sie wurde ein Ausbreitungstempo von unter zwei Kilometern pro Jahr ermittelt ...

    "Eine noch wichtigere Erkenntnis ist, dass sich Pilze - die größten Agrarschädlinge überhaupt - sogar noch schneller ausbreiten: rund sieben Kilometer pro Jahr. In Deutschland zum Beispiel gibt es verschiedene Parasiten an Weizen, die auf dem Vormarsch sind. Dazu gehören der Erreger der Blattdürre und der Schwarzrost. Und es dürften noch weitere Pilze hinzukommen, wenn es wärmer wird. Bedeutsame Schädlinge breiten sich aus – das ist die wichtige Botschaft!"

    Allerdings ist der Trend nicht bei allen Organismengruppen so klar. Fadenwürmer und Viren tanzen aus der Reihe!

    Den Daten zufolge haben sie ihr Verbreitungsgebiet zwar ebenfalls erweitert – doch nicht polwärts, sondern genau in die entgegengesetzte Richtung. Das könne aber eigentlich nicht sein, sagt Daniel Bebber. Die Erklärung des Forstökologen: Fadenwürmer und Viren seien nur schwer nachzuweisen und ärmere Länder in den Tropen dazu noch nicht so lange in der Lage. Wenn sich dort neuerdings die Meldungen häuften, sehe das wie eine Ausbreitung Richtung Äquator aus, um die es sich aber gar nicht handele ...:

    "Viren und Fadenwürmer leben überwiegend versteckt im Boden und verbreiten sich nicht durch die Luft. Auch das deckt sich mit unserer These: Wir haben es bei ihnen eher mit Beobachtungsversäumnissen zu tun als mit tatsächlichen Ortsveränderungen."

    Als stärkster Motor für die Ausbreitung von Arten gilt eindeutig der Welthandel und nicht die Klimaerwärmung. Aber sie kommt als wichtiger Kofaktor hinzu. So können steigende Temperaturen dafür sorgen, dass wärmeliebende Arten sich nach der Verschleppung in höhere Breiten dort auch halten können. Gefährliche Ackerschädlinge machen da wohl keine Ausnahme, wie die neue Studie aus Großbritannien nahelegt.

    Schon heute dezimieren Schadorganismen die Ernten weltweit um zehn bis 16 Prozent, schätzt man. Breiten sich die Erreger weiter aus, könnten die Verluste sogar noch gravierender werden ...