Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Pflanzenschutzmittel
Glyphosat - "Wahrscheinlich krebserzeugend"

Es steht ganz oben auf der Liste der weltweit eingesetzten Pflanzenbehandlungsmittel, nicht nur bei Landwirten, sondern auch bei Hobbygärtnern: Glyphosat. Doch eine Neubewertung des Herbizids durch die Internationale Krebsforschungsagentur IARC sorgt für Verunsicherung.

Von Daniela Siebert | 09.06.2015
    Ein Mast einer Hochspannungsleitung steht am 07.05.2015 zwischen einem gelb blühenden Raspfeld und einem grünen Feld.
    Gyphosat wird in der Landwirtschaft eingesetzt (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Professor Christopher Portier ist einer der beiden IARC-Experten, die gestern in Berlin erstmals zu ihrer Arbeit Auskunft gaben. Der Mathematiker und Statistikfachmann war als externer Spezialist von der Internationalen Agentur für Krebsforschung eingeladen worden, die wissenschaftliche Literatur zu Glyphosat zu sichten und zu bewerten.
    Das Breitband-Herbizid sei derzeit unter hunderten von Namen auf dem Markt, werde von circa 90 Produzenten in 20 Ländern hergestellt, so Portier. Monsanto ist der größte und bekannteste Anbieter. Es sei im wesentlichen ein Krankheitsbild, das zur Neubewertung von Glyphosat als "wahrscheinlich krebserzeugend für Menschen" geführt habe sagt der US-amerikanische Wissenschaftler, der sich auch bei der Umwelt-Organisation "Environmental Defense Fund" engagiert:
    "Die entscheidende Feststellung in Bezug auf den Menschen war: Das Non-Hodgkin-Lymphom. Da gibt es einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung daran und dem Kontakt mit Glyphosat. Wir halten diesen Zusammenhang für glaubwürdig, aber nicht für stark genug, um zu sagen: Er ist kausal."
    Gegenüber der bisherigen Einstufung als "möglicherweise krebserzeugend" aber dennoch ein bedeutender Schritt.
    Bei Menschen sei in mehreren Studien in den USA, Kanada und Schweden ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Glyphosatexposition und dem Non-Hodgkin-Lymphom nachgewiesen worden, einer bestimmten Form von Blutkrebs, so Portier.
    Weitere Indizien für die Gefährlichkeit von Glyphosat hätten sich in Tierversuchen gezeigt, ergänzte Professor Ivan Rusyn, Arbeitsgruppenleiter bei der IARC per Videoschaltung von der Texas A&M Universität. Auch bei Studien an Mäusen und Ratten habe Glyhphosat zu Krebserkrankungen geführt. Allerdings erkrankten die Versuchstiere nicht an Blutkrebs, sondern etwa an Haut- oder Nierenkrebs. Christopher Portier:
    "Wir haben große Erfahrung mit Tierversuchen im Vergleich zur menschlichen Epidemiologie. Demnach sind alle bekannten Krebserreger beim Menschen auch bei Labortieren krebserregend. Aber das muss nicht derselbe Krebs sein. Denn die Physiologie ist unterschiedlich, der Stoffwechsel, da gibt es verschiedene Ergebnisse. Dass man bei den Mäusen keine Lymphome gesehen hat, beunruhigt mich daher nicht, denn sobald man irgendeinen Krebs bei denen sieht, ist das schon Grund zur Sorge."
    Rusyn und Portier betonten gleichermaßen, wie gründlich und transparent die Internationale Krebsforschungsagentur arbeite. Es würden alle relevanten aktuellen Studien einbezogen und ernsthafte Interessenkonflikte der Wissenschaftler ausgeschlossen. Rusyn bewertete das Arbeitsergebnis der Arbeitsgruppe sogar als "Goldstandard" in der Wissenschaftswelt.
    Trotzdem gab es kritische Nachfragen. So würde Glyphosat üblicherweise in Verbindung mit Hilfsstoffen eingesetzt, die gefährlich und zum Teil in Europa auch verboten seien. Wie denn da gesundheitliche Folgen eindeutig dem Glyphosat zugeschrieben werden könnten, wollte ein Vertreter von OVID, einem Interessenverband der Ölsaatenverarbeitenden Industrie wissen. Christopher Portier:
    "Im Menschen kann man die Wirkung vom Glyphosat und von den Beistoffen nicht auseinandersortieren, weil jeder beidem gleichzeitig exponiert wird. Aber in den Labordaten speziell von den Nagetierversuchen zu Krebs, da gab es Studien zu Glyphosat allein und in Kombination mit Beistoffen. Die brachten genug Ergebnisse, um Glyphosat allein zu beurteilen."
    Andere Bedenken konnten gestern nicht so leicht ausgeräumt werden: Warum das Bundesinstitut für Risikobewertung Glyphosat noch vor kurzem für unbedenklich gehalten hatte etwa. Und inwiefern das BfR wirklich auf Basis derselben Studien entschieden hat wie IARC.
    Im Juli will die IARC ihre ausführliche Monografie zur Neubewertung des Herbizids ins Internet stellen. Das sei viel schneller als üblich, betonte Ivan Rusyn. Dann könnte sich der wissenschaftliche Streit um die Gefährlichkeit von Glyphosat zuspitzen.