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Pflegeverband-Präsidentin fordert mehr "Wertschätzung" für Pflegeberuf

Bessere Ausbildung, bessere Rahmenbedingungen, Respekt vor dem schwierigen Pflegeberuf - Gudrun Gille fordert ein Überdenken des bisherigen Ansatzes. Wie anstrengend die Pflege Bedürftiger ist, zeigt die Ausfallquote: Sie liegt bei 20 Prozent.

07.12.2010
    Stefan Heinlein: Deutschland wird immer älter, doch längst nicht alle Menschen können ihren Ruhestand gesund und munter genießen. Wer alt ist, wird häufig auch krank und ist auf Betreuung angewiesen. Wer Pflege braucht, hat es allerdings oft schwer, schnell und umfassend versorgt zu werden. Die Branche schlägt seit Langem Alarm, in den kommenden Jahren wird der Pflegenotstand vielerorts dramatisch zunehmen. Es fehlt an Nachwuchs, Alten- und Krankenpfleger sind zunehmend Mangelware. Heute trifft sich Gesundheitsminister Rösler mit Fachverbänden und Experten, um über mögliche Lösungen zu beraten.
    Am Telefon nun die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Gudrun Gille. Guten Morgen, Frau Gille.

    Gudrun Gille: Guten Morgen.

    Heinlein: Sie sind selber gelernte Krankenpflegerin, Frau Gille. Warum haben Sie damals diesen Beruf ergriffen?

    Gille: Ja, weil es mir Freude gemacht hat, mit Menschen zu arbeiten, medizinisch-pflegerisches Fachwissen zu lernen, natürlich auch zu helfen, Menschen zu unterstützen, und ich wusste, das ist ein Beruf, da kann man sich auch weiterentwickeln.

    Heinlein: Es ist also ein schöner Beruf?

    Gille: Ja!

    Heinlein: Wie hat sich denn der berufliche Alltag im Pflegebereich in den vergangenen Jahren verändert?

    Gille: Vor allen Dingen gibt es Veränderungen durch einen enorm gestiegenen Zeitdruck. Die Pflegekräfte müssen mehr Patienten versorgen und vielfach wurden Stellen gekürzt, sie sind weniger Personen, also weniger Leute für mehr Arbeit.

    Heinlein: Würden Sie vor diesem Hintergrund, Frau Gille, Ihren Kindern raten, einen Pflegeberuf zu erlernen?

    Gille: Nun habe ich zwei Söhne und die haben sich schon ganz anders entschieden. Ich freue mich, dass Pflege vor wie nach attraktiv ist, und ich würde gerne auch gesehen haben, dass meine Kinder es tun.

    Heinlein: Warum sind denn die meisten Pflegeberufe immer noch eine Frauendomäne?

    Gille: Pflege ist weiblich, das sitzt wohl sehr tief. Darüber gibt es ja auch interessante Untersuchungen. Für Männer ist es zum Teil auch nicht attraktiv genug, weil sie schlichtweg sagen, da kann ich nicht genug verdienen. Und die Kompetenzen, die man in der Pflege braucht, vor allen Dingen auch mit Zuwendung, mit geduldig sein, das ist nicht immer die Stärke der Pflege.

    Heinlein: Es wird wenig verdient in Ihrer Branche. Dennoch arbeiten rund zwei Drittel, wenn die Zahlen stimmen, aller Pflegekräfte nur Teilzeit. Was sind da die Gründe?

    Gille: Das liegt zum Teil an den Arbeitgebern, die wollen, weil sie finanzielle Probleme haben, die Leute nicht Vollzeit bezahlen. Es liegt aber auch an den Pflegekräften, die sagen, als Vollzeitjob kann ich das nicht aushalten. Und Sie wissen vielleicht auch: Wir haben ja in unserem Beruf eine extrem hohe Krankheitsrate. Das heißt, diese Dauerbelastung führt dazu, dass die Leute dann sehr viel schneller krank werden. Unsere Ausfallquote durch Krankheit liegt bei 20 Prozent, das ist extrem hoch.

    Heinlein: Wie kann man nun vor diesem Hintergrund, den Sie geschildert haben, Frau Gille, mehr Jugendliche, mehr junge Menschen interessieren, rekrutieren für den Pflegeberuf? Geht das allein über das Geld, wie jetzt Minister Rösler vorschlägt?

    Gille: Das Geld, das ist nun mal so, ist ein wesentlicher Faktor. Das andere ist aber auch die Einstellung der Gesellschaft zur Pflege. Viele Menschen sagen zwar, das ist ja wunderbar, was ihr da tut, aber ich könnte es nicht, und wenn zum Beispiel auf politischer Ebene gesagt wird, das können Hartz-IV-Empfänger machen, die schulen wir dann eben mal um, mit so einer Aussage kann man das Image eines Berufes, der ja auch viel Lernen, viel Fachwissen erfordert, natürlich überhaupt nicht verbessern.

    Heinlein: Ist also fachgerechte Pflege schon heute ein Luxusgut für viele Menschen und viele Menschen können sich diesen Luxus überhaupt nicht mehr leisten?

    Gille: So ist es. Natürlich sind entsprechend qualifiziert ausgebildete Pflegekräfte auch wertvoll im Sinne von, sie sollen bitte dann auch gut bezahlt werden, und wir erleben ja einen Trend hin zu Hilfskräften. Das wird zeitweise sicher auch notwendig sein. Aber auch um Hilfskräfte qualifiziert anzuleiten, zu unterstützen, braucht es natürlich hoch spezialisierte und hoch qualifizierte Pflegekräfte.

    Heinlein: Ab Mai kommenden Jahres, Frau Gille, können ja auch Arbeitnehmer aus Polen, Tschechien und anderen ost- und mitteleuropäischen EU-Ländern unbeschränkt in Deutschland arbeiten. Können dadurch die Lücken im Pflegebereich gestopft werden?

    Gille: Vielleicht zu einem ganz winzigen Teil, aber wir dürfen uns nichts vormachen: Deutschland ist nicht attraktiv für die Menschen aus den anderen Ländern. Da ist im europäischen Raum und auch in Richtung USA und Kanada natürlich vieles viel attraktiver für Pflegekräfte, sodass wir nicht sehen, dass sie nach Deutschland strömen. Abgesehen davon muss ja – aber das gilt weltweit – die Sprache beherrscht werden.

    Heinlein: Sind denn auch die bürokratischen Hindernisse zu hoch für den Einsatz ausländischer Fachkräfte? Das wird ja von mancher Seite beklagt.

    Gille: Eher nicht. Wenn das geregelt ist - und zum Teil für die Beitrittsländer ist das ja geregelt -, ist das ja etwas, eine Prozedur, die ganz klar ist, die wir ja auch kennen, wenn Kolleginnen und Kollegen von uns ins Ausland gehen. Also das lässt sich ja regeln.

    Heinlein: Welche Rolle spielt es, Frau Gille, dass künftig der Wehrdienst und damit auch der Zivildienst wegfällt? Was bedeutet das für den Pflege- und Krankenpflegebereich?

    Gille: Das war schon eine hervorragende Möglichkeit, junge Männer mit dem Pflegeberuf positiv auch zu verbinden. Sie haben erlebt, dass Pflegen Freude machen kann, dass es schön sein kann, sich um andere Menschen zu kümmern, und sind vielfach ja dann auch nach dem Zivildienst in die Pflegeberufe eingestiegen. Das wird nun wegfallen. Wir hoffen, dass es gute Modelle gibt, und da ist ja auch die Entwicklung diesbezüglich schon im Gange, zu einem freiwilligen sozialen Jahr und zu einem Freiwilligendienst, und da sind wir auch im Zusammenspiel der Pflegeverbände sehr aktiv, diese Initiativen zu fördern. Und dann geht es halt wirklich auch darum, dass die Gesellschaft diesen Beruf attraktiver darstellt.

    Heinlein: Abschließend die Frage. Heute das Treffen in Berlin mit Minister Rösler. Wie groß sind Ihre Hoffnungen, die Hoffnungen Ihrer Mitglieder, dass sich nun politisch tatsächlich etwas bewegt?

    Gille: Die sind schon sehr groß. Wir haben ja auch heftig Druck gemacht, wir haben eine Aktion "Gelbe Karte für die Kanzlerin" gestartet, mit der wir sagen wollten, da ist jetzt etwas, was unbedingt passieren muss, da sind bisher die Weichen falsch gestellt, also da hat man Fehler gemacht, deshalb die gelbe Karte, und das hat auch Zuspruch gefunden in unserer Berufsgruppe. Wir haben vorgetragen, was passieren muss. Es muss im Rahmen der Ausbildung viel, viel passieren, es muss im Rahmen der Arbeitsbedingungen, also der sogenannten Rahmenbedingungen viel passieren, und es muss auch vonseiten der Verantwortlichen in der Politik eine Wertschätzung gezeigt werden, auch in deren öffentlicher Darstellung. Das ist uns auch sehr wichtig.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Gudrun Gille. Ich danke für das Gespräch, Frau Gille, und auf Wiederhören.

    Gille: Auf Wiederhören.

    Links bei dradio.de:
    "Weg von der Minutenpflege" - Interview mit Bundesgesundheitsminister Rösler (DLF)
    Bessere Pflege – aber wie? - Bundesgesundheitsminister Rösler lädt zum "Pflegedialog"