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Pharmaforschung
Darmbakterien bauen Medikamente ab

Wenn Ärzte Medikamente verschreiben, berücksichtigen sie unter anderem Gewicht, Größe, Alter und Geschlecht ihrer Patienten. US-Forscher haben jetzt einen weiteren Faktor ausgemacht, der beeinflusst, wie gut Arzneimittel wirken: Die Bakteriengemeinschaft im Darm.

Von Christine Westerhaus | 04.06.2019
Computergrafik mit Kolibakterien
Zu den tyischen Bewohnern des menschlichen Darms zählen unter anderem Kolibakterien. (Imago)
Bei manchen wirken Schmerztabletten über viele Stunden. Bei anderen lässt die Wirkung schon viel früher nach. Schon länger vermuten Forscher, dass auch die Bakterien im Darm dazu führen, dass Medikamente unterschiedlich wirken. Einige wenige Wirkstoffe werden durch Darmbakterien sogar aktiviert. Bei den meisten Medikamenten war bislang aber unklar, welchen Einfluss die Darmflora auf deren Wirkung hat. Diesen möglichen Zusammenhang haben nun Wissenschaftler von der Yale School of Medicine in New Haven genauer untersucht. Einer von ihnen ist der aus der Schweiz stammende Michael Zimmermann.
"In der Literatur gibt es bereits anekdotische Hinweise, dass Bakterien aus unserem Darm Medikamente abbauen können. Allerdings gibt es keine systematischen Studien über die Kapazität unserer Darmbakterien, Medikamente abzubauen. Und das ist eigentlich unserer Anfangspunkt der Studie, dass wir knapp 300 Medikamente genommen haben und diese gemischt haben mit einzelnen Darmbakterien, die wir vom menschlichen Darm isoliert haben. Und dann den Abbau der Medikamente getestet haben."
Welche Wirkstoffe bauen Darmbakterien ab?
Die Forscher untersuchten 76 Bakterien, die in menschlichen Mikrobengemeinschaften vorkommen. Je nach chemischer Zusammensetzung des Medikaments waren es unterschiedliche Bakterien, die die Wirkstoffe verdauten. Einzelne Mikroben stellten sich dabei als besonders fleißig heraus. Und insgesamt waren die getesteten Bakterien in der Lage, fast zwei Drittel der untersuchten Medikamente abzubauen – also in unwirksame Bestandteile zu zerlegen.
"Es hat uns sehr überrascht, dass diese Zahl so hoch ist."
Alle Bakterien, die die Forscher untersucht haben, kommen im menschlichen Darm vor. Allerdings gibt es individuelle Unterschiede. Je nach Ernährung, Lebensstil und Erkrankungen setzt sich die Bakteriengemeinschaft eines Menschen aus unterschiedlichen Mikrobenstämmen zusammen. Und das könnte zu einem Teil erklären, warum bestimmte Medikamente bei manchen Patienten ihre volle Wirkung entfalten, bei anderen hingegen nicht.
Schlägt eine Arznei nicht an, könnte die Darmflora schuld sein
Um eine Therapie effektiver zu machen, könnte die Dosis der Medikamente deshalb an die Darmflora angepasst werden, meint Michael Zimmermann.
"Das ist tatsächlich eine mögliche Anwendung, natürlich nicht für alle Medikamente, aber für gewisse Medikamente, wo es in die Richtung personalisierte Medizin geht. Also wo man wirklich versucht, das richtige Medikament in der richtigen Dosis für den richtigen Patienten zu finden. Da gibt es tatsächlich die Idee, dass man Stuhlproben von den Patienten nimmt, bevor sie ein Medikament kriegen. Und dann aufgrund der Zusammensetzung der Darmflora entscheidet, welches Medikament in welcher Dosis zur Anwendung kommt."
Neue Therapieoptionen für chronisch Kranke
Für kurzfristige Behandlungen lohnt sich dieser Aufwand vermutlich eher nicht. Doch bei Patienten mit chronischen Erkrankungen kann es hilfreich sein, die Therapie an die Zusammensetzung der Darmflora anzupassen. Oder umgekehrt die Bakteriengemeinschaft so zu verändern, dass Medikamente besser wirken.
"Wenn wirklich ein Patient ein Medikament kriegen sollte kann man sich tatsächlich überlegen, ob man die Darmflora verändern kann. Und einerseits ist Nahrung natürlich eine Möglichkeit oder man kann es auch viel spezifischer machen, also mit Probiotika, dass man ganz bestimmte Nahrungsbestandteile dem Essen zuführt, um Gruppen von Bakterien zu fördern. Oder man kann sich auch überlegen, dass man viel radikaler ist, also dass man entweder mit Antibiotika arbeitet, das ist sehr drastisch, oder dass man auch Transfers von Darmflora macht."
Bei bestimmten hartnäckigen Durchfallerkrankungen wurden solche Stuhltransplantationen bereits erfolgreich durchgeführt. Doch die Folgen solcher Manipulationen sind noch nicht in allen Einzelheiten erforscht. Deshalb wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis Forscher die Darmflora beeinflussen, um Medikamente wirksamer zu machen.