Freitag, 19. April 2024

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Philharmazie der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
Zu Risiken und Nebenwirkungen

Die digitalen Blüten der Corona-Pandemie seien mitunter sehr schön anzuschauen - aber bei so manchem Projekt hochsubventionierter Kulturinstitutionen wisse man nicht, ob man lachen oder weinen solle, meint Uwe Friedrich. Ein Beispiel: Die "Philharmazie" der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.

Eine Glosse von Uwe Friedrich | 31.05.2021
Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
In der musikalischen Notfallapotheke der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz findet Dlf-Kritiker Uwe Friedrich nicht die richtige Medizin. (Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz/Felix Broede)
Chris de Burgh bei Schlafstörungen, Max Richter bei Einsamkeit, Ludovico Einaudi bei Konzentrationsproblemen. Schon bei diesen wenigen Namen bekomme ich spontan heftigste Kopf- und Ohrenschmerzen, und das ist für eine migränegefährdete Person im nicht mehr ganz so jugendlichen Alter wirklich gefährlich.

Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen nötig

Sehstörungen, Muskelverspannungen, Übelkeit, alles Indikationen für eine weitere Behandlung, aber ich traue mich gar nicht zu schauen, was dafür vorgeschlagen wird. Auf diese musikalische Notfallapotheke der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz gehört mindestens eine unübersehbare Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen, nicht nur wegen des direkt aus der Wortspielhölle kommenden Titels "Philharmazie".
Da fragt man sich natürlich, wer sich so was ausdenkt, und weil ich mich das auch gefragt habe, klickte ich ohne Angst vor Spätfolgen die Website staatsphilharmonie.gravity.expert an. Da erscheinen der Intendant des Orchesters Beat Fehlmann, die Dramaturgin Judith Schor sowie Lisa Weidenmüller, Schauspielerin, Musikliebhaberin und Fachfrau für Emotionen, und erzählen dezent plattitüdenlastig von ihrer Lieblingsmusik.
So soll offenbar die "Creative Community" des Orchesters angesprochen werden, die bitteschön die "Good Vibrations" verstärken möge. Das denke ich mir jetzt ganz bestimmt nicht aus, das steht wirklich so auf der Website. Na klar, wir wissen alle, dass für die Markenbildung eine felsenfeste Kundenbindung unabdingbar ist. Neue Käuferschichten müssen erschlossen werden, und das geht am besten über das Gefühl. Das Gefühl, ein Auto mit Stern auf dem Kühler zu fahren. Das Gefühl, eine besonders schwere Schweizer Uhr am Handgelenk zu haben. Da setzt der Verstand schon mal aus, da spielen Preis und Inhalt dann keine Rolle mehr. Aber der Preis der Kultur wird spätestens nach der Bundestagswahl ganz bestimmt eine größere Rolle spielen als uns allen lieb sein kann, denn dann kommt der Corona-Kassensturz.

Orchester müssen endlich zurück in ihren natürlichen Lebensraum

Besser nicht dran denken, lieber ein bisschen Gedudel von Max Richter hören, oder etwas Geklimper von Ludovico Einaudi, das scheint hingegen die Devise in Ludwigshafen zu sein. Kann man so machen. Ist auch alles nicht besonders schlimm, und ich habe mir ganz fest vorgenommen, mich über so was nicht mehr aufzuregen. Aber es wird wirklich allerhöchste Zeit für weitere Lockerungen. Die Orchester müssen endlich zurück in ihren natürlichen Lebensraum auf Konzertpodien und in Orchestergräben. Damit sie sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und nicht mehr auf so außerordentlich bescheuerte und mindestens ebenso kostspielige Ideen kommen wie die Philharmazie.