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Philipp Glass und David Bowie
Laut, direkt, brutal

David Bowie und der Minimal-Music-Komponist Philipp Glass kannten sich schon seit den 70er-Jahren. Glass hat sich von Bowies Musik zu drei Symphonien inspirieren lassen. In London sind sie nun erstmals zusammen aufgeführt worden: in einem vier Stunden dauernden Mammutkonzert.

Von Julia Spinola | 11.05.2019
David Bowie zum Auftakt seiner Deutschland Tournee am 14.05.1978 in der Festhalle in Frankfurt am Main.
David Bowie: Die drei Musikalben aus seiner Berliner Zeit inspirierten Philipp Glass zu drei Symphonien (dpa - picture alliance / hans H. Kirmer)
Bowie hat vor allem auf seinen ersten beiden Berlin-Alben gemeinsam mit dem britischen Musiker und Musikproduzenten Brian Eno sehr erfolgreich mit Einflüssen aus der elektronischen Musik, mit Ambient und Weltmusik experimentiert. Auf diesen in den 1970er Jahren in Berlin entstandenen Alben gibt es auch einige instrumentale Stücke. Bowie machte in Berlin-Schöneberg gerade einen kalten Entzug von seinen Kokain-Exzessen und seine Musik laviert am Rande der Depression in einem abgründig coolen Großstadt-Sound.
Glass hat sich diesem Blick in den Abgrund zu einer Anverwandlung inspirieren lassen, die Bowies Melodien erkennbar aufgreift, fragmentiert und in die vibrierenden Minimal-Texturen einwebt. Wer die Bowie-Alben kennt, wird die Melodien und Themen daraus in der "Low"- und in der "Heroes"-Symphonie von Glass wiedererkennen. Zum Teil tauchen sie ganz wörtlich auf, wie zum Beispiel im dritten Satz der "Low"-Symphonie mit dem Titel "Warszawa".
Wechselhaft wie das Wetter
Das aus lauter jungen Musikern bestehende London Contemporary Orchestra warf sich jetzt unter der Leitung von Hugh Brunt bei aller Präzision sehr leidenschaftlich in diese Musik und räumte so mit dem Missverständnis auf, dass man dieser Musik am besten mit technizistischer Kälte beikomme. Mit seinen pulsierenden Klangflächen kann Glass eine musikalische Stimmung in ihrer ganzen Vielschichtigkeit vom ersten Takt an sehr direkt und genau treffen. Und genauso schnell lässt er sie dann, wechselhaft wie das Wetter, wieder in eine ganz andere umschlagen.
Es ist eine radikal antidiskursive Musik, eine Musik, die nicht argumentiert, sondern die eher vorsprachliche Schichten berührt. Am besten ist Glass da, wo er diesen Stimmungen vertraut, wie in "Low". Sobald er anfängt, etwas sagen zu wollen, kann es auch banal und kitschig werden. Das passiert an einigen Stellen in "Heroes".
Isolation, Dreck und Aggression in der Großstadt
Bowies "Lodger"-Album wird zwar auch zu seiner Berlin-Triologie gezählt, aber es entstand 1979 in der Schweiz und in New York, nachdem Bowie und Brian Eno Berlin schon verlassen hatten. Es ist nicht so experimentell wie die beiden ersten Alben, sondern kehrt wieder zum früheren Rock- und Pop-Stil zurück. Glass hat zur Musik dieser Songs lange keinen Zugang gefunden – und dann merkte er irgendwann, dass ihn die Texte interessieren. Er nahm sieben dieser Songtexte und komponierte eine völlig neue Musik dazu.
Die leicht surrealistischen Texte erzählen von der Isolation, vom Dreck und von der Aggression in der Großstadt. Da wird zum Beispiel in wenigen, dichten Worten eine Szene häuslicher Gewalt skizziert. Es werden aber auch utopische Fluchtmöglichkeiten entworfen in Fantasiereisen oder es wird im Titel "African Night Flight", zum Teil in Suaheli, die Sehnsucht nach einem befreiten Leben beschworen.
Musik, die einem förmlich ins Gesicht schlägt
Es ist ein völlig neuer Ton, den Glass in diesem Werk anschlägt – eher eine Vokal-Symphonie, als ein Liederzyklus. Das Orchester ist vorherrschend: riesenhaft besetzt, mit umfangreichem Schlagwerk und mit einem meist massiven Orgelklang, der ein Gothic-Moment hineinbringt. Das klingt für Glass unvermutet laut, direkt und brutal. Es ist eine Musik, die einem förmlich ins Gesicht schlägt. Den Vokalpart hat Glass für die beninisch-französische Jazz- und Weltmusik-Sängerin Angélique Kidjo geschrieben. Sie durchschneidet mit ihrer rauchig-dunklen Soulstimme diese Orchestermassen.
Man hat Glass vor allem hierzulande von der Warte des Ernste-Musik-Anspruchs aus immer wieder vorgeworfen, dass er eine gefällige Tranquilizer-Musik komponieren würde. In der "Lodger"-Symphonie klingt nun wahrlich gar nichts mehr weichgespült. Der inzwischen 82-jährige Glass hat einen wieder einmal überrascht.