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Philippinen
Lieber im Knast als tot

Seit Präsident Duterte seinen Krieg gegen Drogen führt, sterben nicht nur Tausende Menschen, die Gefängnisse füllen sich auch immer weiter mit Menschen. Und so leben im Quezon City Jail - ursprünglich für 275 Menschen ausgelegt - 2.560 Insassen. Trotz der katastrophalen Zustände fühlt sich so mancher sicherer als draußen.

Von Lena Bodewein | 20.05.2017
    Insassen des Quezon City Jail in Manila: die rosa gestrichenen Wände sollen beruhigen.
    Insassen des Quezon City Jail in Manila: die rosa gestrichenen Wände sollen beruhigen. (dpa / picture alliance / Francis R. Malasig)
    "Wir präsentieren den Stolz des Quezon City Jail" Es soll sich groß anhören wie in amerikanischen Filmen, aber die Szenerie ist deprimierend, heiß, rott, überfüllt: Auftritt der Galaw Galaw sing and Dance Group
    Im Quezon City Jail tanzen Hunderte, Tausende Männer, sie singen einen selbst geschriebenen Motivationssong, aufgereiht im gnadenlos sonnigen Gefängnishof
    "Beweg dich weiter, damit du nicht stirbst.
    Beweg deine Füße, knick nicht um.
    Vermeide Faulheit, damit du nicht auffällst.
    Vermeide Krankheit, bleib fit."
    Tätowierte, Rasierte, harte Jungs mit Narben und Gang-Zeichen, sie drehen sich, klatschen, schwingen die Hüften: Galaw galaw – beweg dich weiter.
    "Den Song haben sie selbst geschrieben. Er beschreibt das Leben im Gefängnis. Es ist eine Möglichkeit, Langeweile erträglicher zu machen, erzählt Jayrex Joseph Cabral Bustinera, leitender Beamter im Quezon City Jail
    "Wir nennen es dynamische Sicherheit: Sport, Kurse, respektvolles Verhalten. Wir haben die harte Sicherheit, die Zäune, den Stacheldraht, die Kameras. Das hält sie aber nicht von Aufständen ab. Aber wenn man beides kombiniert, harte und dynamische Sicherheit, dann geht es."
    Gefängnis ist nur auf ein Zehntel der Insassen ausgelegt
    Die harte Sicherheit - rostiger Stacheldraht - ist zwischen allen Blöcken gespannt, die Dächer sind mit Wellblech gedeckt, die hohen rostigen Zäune behängt mit Blumentöpfen aus Plastikflaschen, von den Häftlingen in Werk-Kursen hergestellt.
    Die Männer sollen die Laune behalten – das ist harte Arbeit in einem Gefängnis wie diesem in der Hauptstadt der Philippinen, einem Gefängnis, das nach UN-Standards für 275 Mann ausgelegt ist.
    Jetzt haben wir 2561 Insassen, so die heutige Zahl, sagt Lucila Abarca, für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sie zeigt die Zellen – die nach Heiligen benannt sind, San Pablo oder San Augustin. San Pablo ist für acht Menschen gebaut, ein hölzernes Schild zeigt an, wie viele hier zurzeit unterbracht sind: 120. Sie liegen auf dem Tisch, auf dem Boden wie Sardinen, vor dem Pissoir – die Glücklichen haben einen Platz in den dreistöckigen Bettgestellen. Farbe: Pink
    "Eine Studie sagt, dass Pink einen beruhigenden Effekt hat, also müssen die Gefangenen die Zelle pink streichen."
    Es gibt kaum einen leeren Fleck im Gefängnis, überall sitzen, stehen, liegen Häftlinge, in gelben verwaschenen Shirts, eigentlich mit dem Emblem des Quezon City Jail, aber es ist auch mal Bert aus der Sesamstraße darauf oder ein gefälschtes Diesel-Logo, Hauptsache gelb. Sie liegen dicht an dicht nebeneinander, übereinander, auf Eimern, auf Säcken, lieber draußen auf dem Gang als in der Zelle, einige spielen Basketball, einer zupft sich mit einer Pinzette die Haare vom Kinn, sie waschen, sie kochen, das Schulzimmer wird auch als Schlafzimmer benutzt, die Kapelle ebenso, der Hof – eigentlich dient alles als Schlafzimmer, überall obendrüber hängt Wäsche zum Trocknen.

    Dennoch riecht es streng; nach Körpern, Ranzigkeit, Abfluss, Klo, Hitze, aber vor allem eben nach Körpern. Kein Wunder bei einem Gefängnis, das für 275 gebaut, aber von 2561 Menschen belegt ist.
    "Wir versuchen immer mal wieder, irgendwo zu schlafen, für zwei Stunden; ich liege auf Sperrholzplatten im Hof – bis es regnet. Das Wasser deprimiert mich so…
    Der Mann, der sich als The Singer bezeichnet, knabbert schwer an seinem Leben im Gefängnis. Vor acht Monaten wurde er beim Abendessen zuhause gepackt und wegen Drogenbesitz verhaftet. "Aber es gibt keine Zeugen, keine Beweise, einfach so! Ich fühle mich wie in einem Albtraum."
    Bis der vorbei ist, flüchtet er sich in Musik.
    "Wir waren geschockt davon, wie viele Menschen mehr jetzt verhaftet werden", erzählt Jayrex Bustinera. Seit Rodrigo Duterte Präsident ist, sind die Zahlen verhafteter Drogenkrimineller sprunghaft angestiegen. "Aber wir wollen nicht mehr aufnehmen, die Verhältnisse hier sind schon unmenschlich!"
    Ein Insasse des Quezon City Jail in Manila schläft auf dem Boden.
    Ein Insasse des Quezon City Jail in Manila schläft auf dem Boden. (dpa / picture alliance / Francis R. Malasig)
    Gefängnisdirektor hält Dutertes Drogenpolitik für falsch
    Außerdem hält er diese Drogenpolitik für verfehlt, das Problem liege woanders. Von seinen Insassen haben 86 Prozent keinen ordentlichen Schulabschluss, keine mittlere Reife oder sogar keinen Grundschulabschluss, sie können keinen Lebensunterhalt verdienen.
    "Was erwarten Sie von ihnen? Das Gefängnis spiegelt wirklich die Gesellschaft draußen wieder. Die Drogen sind nicht das Problem. Schlechte Bildung und fehlende Existenzgrundlagen sind es – darum bieten wir ihnen ein Schulprogramm an. Sonst kommen sie wieder, denn hier haben sie Freunde gefunden, eine Art Familie. Zu denen gehen sie, wenn sie rauskommen, und begehen für sie andere Verbrechen, womöglich noch Schlimmeres als vorher."

    In der Kapelle des Quezon City Jail wird Musik gemacht. Einige Häftlinge gehen in das improvisierte Fitnessstudio, stemmen gewichte, machen sit-ups. Direkt daneben bieten in einer niedrigen Kammer die homosexuellen Insassen Maniküre und Pediküre-Dienste an, auch Haarschnitte. Einige ältere Männer sind dabei, mit hübsch frisierten längeren Haaren, einer trägt einen Hauch Lippenstift, und alle einen sehr traurigen Blick.
    Völlig überfüllt: das Quezon City Jail in Manila
    Völlig überfüllt: das Quezon City Jail in Manila (dpa / picture alliance / Francis R. Malasig)
    "Sie werden nicht besucht von ihren Familien, bekommen also keine Hilfe, kein Geld, darum müssen sie sich etwas dazuverdienen mit Schönheitspflege."
    Auch Robert wartet seit vier Jahren vergebens auf Besuch. Er sitzt wegen eines Drogenvergehens – das er nicht begangen hat, das beteuert er. Aber niemand glaubt ihm. Etwas Gutes habe seine Lage allerdings, meint er:
    "Ich fühle mich hier im Gefängnis sicherer als draußen, denn dort wäre ich vielleicht schon erschossen worden als Drogenkrimineller."
    Lieber im Knast als tot – beweg dich weiter, damit du nicht stirbst, galaw galaw