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Philosoph zur Fußball-Super-Liga
"Es geht um die Allerallergrößten, alle anderen sind weg"

36 Wochen Fußball, zwei Milliarden Euro und 16 Clubs: Es sei alles vorbereitet für einen geschlossenen Kreis von Top-Klubs, sagte der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer im Dlf zu den Football-Leaks-Enthüllungen. Das Negative dabei sei, dass die einen nichts verdienten und ein paar Leute unglaublich viel.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Christine Heuer | 03.11.2018
    Der Sportsoziologe Gunter Gebauer
    Der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer meint: "Die Strukturen, die wir jetzt haben, die werden nicht ewig weiter bestehen." (imago sportfotodienst)
    Christine Heuer: Diese Enthüllung dürfte alle Fußballfans interessieren: Angeblich wollen Europas Top-Klubs aus der Champions League aussteigen und ab 2021 in einer eigenen Superliga spielen. Ein ''closed shop'' wäre das, mit gigantischen Verdienstmöglichkeiten - mit an Bord unter anderem der FC Bayern München. Das geht aus den Football-Leaks hervor, die "Spiegel" und NDR jetzt veröffentlichen. Details im Beitrag von Marc Hoffmann .
    Aus den Football-Leaks möchten wir uns die Meldungen über eine Superliga herausgreifen und diese Meldungen jetzt besprechen mit dem Gunter Gebauer, Philosoph und Sportwissenschaftler. Guten Tag, Herr Gebauer!
    Gunter Gebauer: Guten Tag, Frau Heuer!
    Heuer: Kommt jetzt der Ausverkauf der Champions League?
    Gebauer: Sieht so aus, aber man weiß nicht genau, wie weit es ernst ist, die Dinge jetzt in die Tat umzusetzen, oder ob das nur eine ganz große Drohkulisse ist, um noch mehr Geld und noch günstigere Konditionen zu bekommen, das ist noch nicht ganz klar. Aber eins ist sicher: Die Strukturen, die wir jetzt haben, die werden nicht ewig weiter bestehen. Das ist eine Frage wahrscheinlich von Jahren, bis die ganze Sache zusammenkracht und neu zusammengeleimt wird.
    "Es geht um zwei Milliarden Euro, die zu verteilen sind"
    Heuer: Aber dann wäre das Dementi vom FC Bayern München gar nichts wert, richtig?
    Gebauer: Das ist es eigentlich immer nicht, das wissen wir ja aus der Vergangenheit. Also wenn Herr Rummenigge und erst recht Herr Hoeneß – der in diesem Fall weniger wichtig ist – dementiert, wissen wir ja, dass wahrscheinlich das Dementierte kommen wird.
    Heuer: Zumal wir aus Dortmund hören, ja, ja, das stimmt schon, dass wir genau darüber nachdenken.
    Gebauer: Ja, Herr Watzke ist ja nicht direkt drin mit Borussia Dortmund, sondern sie sind sozusagen in der zweiten Liga oder in der Zuführliga für die Superliga, aber sie stehen da natürlich auch ganz kurz vor dem ganz großen Geldgewinn, und Herr Watzke ist da ein bisschen smarter, würde ich sagen, als Herr Rummenigge.
    Heuer: Aber jetzt haben Sie schon zweimal gesagt Geld, es geht um Geld, geht es denn wirklich nur ums große Geld?
    Gebauer: Ja, ganz eindeutig. Also im Fußball wird ja unglaublich viel Geld verdient. Es geht jetzt um Geld in der Größenordnung von zwei Milliarden Euro, die zu verteilen sind, und warum soll man das verteilen an Vereine, die leistungsmäßig weit abgeschlagen sind, mit Spielern, die weit weniger kosten und die weit weniger Zuschauerinteresse generieren. Und jetzt hat man die Chance - jedenfalls hat man das offenbar alles vorbereitet -, mit 16 Top-Klubs, die sowieso immer dabei sind, einen 'closed shop' zu machen - das war völlig richtig ausgedrückt in dem Bericht -, also mit 16 Vereinen, die Ligameisterschaft, sprich in diesem Fall so was Ähnliches wie Europacup, untereinander auszuspielen. Und dann lässt man auch die Möglichkeit, dass pro Jahr vielleicht zwei Vereine reinkommen oder zwei Vereine absteigen können. Und dann ist man unter sich.
    "Reine Investitionssache, es geht rein ums Geld"
    Heuer: Und mit welchen Folgen für die Vereine, die dann nicht mitspielen dürfen?
    Gebauer: Ja, die sind von dem großen Geld abgeschnitten, die können die teuren Spieler nicht kaufen, die können eventuell den Nachwuchs liefern und dann mehr oder weniger billiges Geld - es kommt drauf an, wie da verhandelt wird - an die großen Vereine abzugeben. Sie werden selber wahrscheinlich niemals eine Chance haben, wenn sie nicht gerade zu den sozusagen zweitbesten 16 gehören, in diese hohe Klasse aufzusteigen. Das ist so ähnlich wie in den USA mit dem American Football.
    Heuer: Ja, genau, und da schadet das doch dem Sport aber gar nicht, oder tut es das?
    Gebauer: Na ja, es schadet insofern, als es immer dieselben Mannschaften sind, die untereinander spielen. Diese Mannschaften gehören Eignern oder Aktiengesellschaften, das heißt, es ist eine reine Investitionssache, es geht rein ums Geld, und es hängt nur indirekt über das sogenannte Drafting-System, also wo der Nachwuchs rekrutiert wird, mit dem großen Spielbetrieb zusammen. Aber wir haben ja einen ganz anderen Spielbetrieb, wir haben ja Vereine – haben die USA nicht. Wir haben zum Beispiel Hochschulen, die für ihre Hochschulen, für den Namen ihrer Hochschulen Vereine bezahlen, Nachwuchs heranbilden - ein ganz anderes System. Wir haben Hunderttausende Vereine in Europa, die auf Amateurbasis Fußball betreiben und die aufsteigend dann mit immer mehr Geldverdienstmöglichkeiten und so weiter die großen Ligen beliefern. Das alles wäre dann natürlich kaputt.
    "Die Fans werden dabei ja ausgeschaltet"
    Heuer: Wäre das denn ein so großer Schaden, Herr Gebauer, denn für die Fans käme ja wahrscheinlich bei so einer Superliga heraus, nur noch ganz erstklassigen Fußball zu sehen, das ist doch eigentlich schön.
    Gebauer: Ja, die Fans werden dabei ja ausgeschaltet. Die werden sich ja nie im Leben ein Ticket für ein Spiel in dieser Größenordnung leisten. Die kriegen ja jetzt auch schon keine Tickets für ein Spiel in der englischen Premier League, da müssen die 360 Euro pro Karte, wenn sie sie überhaupt bekommen, auf den Tisch legen. Wahrscheinlich müssen sie noch viel mehr Geld bezahlen, um auf dem Schwarzmarkt etwas zu bekommen. Das ist keine Sache von Fans mehr. Die Fans werden ausgeschaltet. Und die haben ja auch schon gesagt, wenn das so ist, dann gehen wir in die Amateurklassen und gucken uns lieber diese Spiele an. Die würden dann ja bedient werden.
    Heuer: Ja, und es würde vielleicht auch wieder ein bisschen mehr Spaß machen, oder?
    Gebauer: Ja, zuerst wird das wahrscheinlich ordentlich Spaß machen. Nachdem drei oder vier Spiele passiert sind und die ganz großen Ligen für sich spielen und im Privatfernsehen zu sehen sind, werden die Fans danach gieren, auch mal richtig ein gutes Spiel zu sehen, einen berühmten Spieler zu sehen. Das würden sie ja dann nur noch im Fernsehen zu sehen bekommen, und auch da nur gegen Zahlung von ziemlich viel Geld. Also die Fans möchten vielleicht gerne diesen Cut im Augenblick haben, das höre ich immer wieder aus den Gruppen: Wir gehen in die vierte Liga, wir gucken uns die Amateurspiele an und so weiter. Ja, aber nach einer halben Saison ist man gierig darauf, endlich mal wieder ein richtig großes Spiel zu sehen. Also ich glaube, die Fans, die schneiden ganz schlecht ab bei dieser Sache.
    "Alles andere wird dadurch natürlich entwertet"
    Heuer: Aber macht sich da nicht der Spitzenfußball, mal auf längere Sicht, gräbt der sich da nicht selber das Wasser ab? Also wenn man tatsächlich so einen 'closed shop' hat, jetzt nicht nur, was Geldverdienen angeht, sondern eben auch, was die Möglichkeiten angeht, Zuschauer zu haben und auch viele Zuschauer zu haben.
    Gebauer: Ich befürchte nicht. Ich glaube, es ist das Gegenteil. Das dürfte wahrscheinlich ein Geschäftsmodell sein, das zumindest in der ersten Zeit außerordentlich erfolgreich sein könnte, weil es nur Top-Spiele gibt. Sie bekommen sozusagen an, weiß nicht genau, 40 Wochen im Jahr, 36 glaube ich, bekommen Sie nur Spitzenspiele zu sehen und nur vom Feinsten. Das ist ja etwas, was zunächst einmal die Fußballfreunde aufhorchen lässt und ihnen sehr viel Befriedigung verschaffen könnte. Es sind so unendlich langweilige Spiele, die wir auch in der Bundesliga haben, und Vereine, die aus der Provinz kommen und so, die werden alle sozusagen distanziert. Das wäre zunächst einmal eine klare Sache, es geht nur um die Allerallergrößten. Alle anderen sind weg. Die kann man dann vielleicht irgendwo anders betrachten, in der Bundesliga, die dann zweitrangig und provinziell wird. Ich glaube, die Leute, die sich für Spitzenfußball interessieren, bekommen hier sozusagen ihr Top-Menü. Das ist ja auch die Perfidie sozusagen dieses Vorschlags, dass man nur das Allerfeinste aufbereitet und das für sehr viel Geld verkauft. Und alles andere wird dadurch natürlich entwertet. Inzwischen ist es ja so, dass die Bundesliga interessante Spiele hat und auch wirklich langweilige Spiele. Das ist etwas bedauerlich, aber man muss den Wirklichkeiten ja auch ins Auge schauen. Und ich glaube, dieses Modell ist der Versuch jetzt, nur noch Top-Fußball zu produzieren. Ob Spieler das durchhalten, das frag ich mich dann allerdings auch. Und was ich extrem bedauerlich finde dabei, ist, dass der ökonomische und vor allen Dingen der strukturelle Zusammenhalt innerhalb des Fußballs, also von den Amateurklassen, von den Jugendspielern bis hoch zu den Top-Mannschaften definitiv unterbrochen ist. Das ist eigentlich im Augenblick noch ein relativ guter Zusammenhalt, der ein bisschen fiktiv ist natürlich, weil die einen furchtbar viel Geld verdienen, die anderen nichts. Insofern kann man sagen, hier wird aufgeräumt, hier wird Klarheit geschafft – das ist wahrscheinlich das Positive dabei. Das Negative dabei ist, alle spielen Fußball, und die einen verdienen nichts, und ein paar Leute verdienen unglaublich viel.
    Heuer: Der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer heute Mittag im Deutschlandfunk im Interview, und wir haben mit ihm über die möglicherweise kommende Superliga im europäischen Fußball gesprochen. Danke, Herr Gebauer!
    Gebauer: Danke auch, Frau Heuer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.