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Philosophie
Antisemitismus-Debatte um Martin Heidegger

Martin Heideggers so genannte "Schwarzen Hefte", Aufzeichnungen aus vier Jahrzenten, erscheinen zwar erst im März, sorgen aber bereits jetzt für Aufregung: Von einem möglichen "seinsgeschichtlichen Antisemitismus" ist bereits im Vorfeld die Rede.

23.01.2014
    Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger.
    Im März 2014 erscheinen mehr als 1200 Seiten Aufzeichnungen des Philosophen Martin Heidegger. (picture alliance / dpa)
    Karin Fischer: Im März erscheinen die "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers, mehr als 1200 Druckseiten insgesamt, philosophische Reflexionen und Notizen, die sich der Philosoph seit den 30er-Jahren gemacht hatte. Die Aufzeichnungen aus vier Jahrzehnten haben schon vor ihrem Erscheinen zu einer neuen Diskussion um einen möglichen "seinsgeschichtlichen Antisemitismus" Heideggers geführt, angestoßen von französischen Intellektuellen und bald also überprüfbar. Heute überrascht die Wochenzeitung "Die Zeit" mit einem besonderen Fund: Das "Schwarze Heft" aus den Jahren 1945/46, das bislang vermisst wurde, hat sich in Heidelberg bei dem emeritierten Literaturprofessor Silvio Vietta gefunden. Dessen Mutter war eine der Geliebten Martin Heideggers und bekam es von ihm geschenkt. Vietta hat schon 1989 über Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik geschrieben, und vor der Sendung habe ich ihn gefragt, wie er die neue Auseinandersetzung um den Philosophen anhand der Schwarzen Hefte beurteilt.
    Silvio Vietta: Ja ich denke eigentlich, dass die ganze Diskussion in die Irre führt, denn mit Antisemitismus hat Heidegger gar nichts zu tun. Antisemitismus ist ja eine richtig dumme und totalitäre Ideologie, in der ein Mensch allein aufgrund seiner Rassezugehörigkeit jetzt zur semitischen Rasse sozusagen abgeurteilt wird, und das ist niemals Heideggers Denken gewesen.
    Fischer: Was ist mit den Stellen?
    Vietta: In dem Buch, das ich jetzt hier habe, ist keine einzige antisemitische Stelle. Er hat irgendwo vielleicht das Wort "Rassistisch" mal verwandt, aber die Kritik, die er an den Juden führt, ist eine ganz andere Kritik. Die kommt eigentlich aus einer Zivilisationskritik. Die Kritik an dem rechnenden Denken, das ist das, was er kritisiert, an der Wissenschaft aber sowohl wie auch an Juden, die das machen. Aber das ist nicht ein rassistischer Vorwurf, sondern einer, der sozusagen kulturkritisch ausgerichtet ist.
    Es gibt natürlich so etwas wie eine Spezialisierung auch von Juden für rechnende Berufe, also etwa den Finanzsektor, und die hat er eher kritisch im Blick, ohne allerdings zu bedenken, dass Juden natürlich auch in diese Berufe hereingedrängt worden sind. Aber in dem Heft, das ich habe, gibt es keine antisemitischen oder irgendwie auch gegen Juden gerichteten Einwände irgendwelcher Art. Die Kritik geht irgendwie in eine ganz andere Richtung bei Heidegger, so wie ich gerade angedeutet habe: an der Seinsgeschichte und vor allen Dingen auch an der Bedeutung der Wissenschaft in der Neuzeit.
    Fischer: Dann erläutern Sie vielleicht noch mal, Herr Vietta, den Zusammenhang zwischen dieser Technikfeindlichkeit und seinem Denken.
    Vietta: Nachdem er so in den Anfang 30er-Jahren ja mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hat, sieht er, dass das eigentlich eine Richtung ist, die genau das Gegenteil dessen will, was er selbst eigentlich für richtig hielt. Im Dritten Reich geht ihm eine sozusagen Politik der Macht und der Welteroberung auf, die er in einen Langzeitzusammenhang stellt insbesondere auch der neuzeitlichen Wissenschaftsgeschichte, und das kann man ja nachvollziehen. Man kann ja sagen, es gibt so was wie eine neuzeitliche europäische Kolonialgeschichte, in der die Wissenschaft eine bedeutsame Rolle spielt bei der Erforschung, aber auch Eroberung und Ausbeutung der Welt. Diese Kritik steht bei ihm im Zentrum und deshalb glaubt er auch, dass mit dem Tod Hitlers und dem Ende des Dritten Reichs diese Eroberungsgeschichte der Welt eigentlich noch nicht zu Ende ist. Er redet da von der Seinsvergessenheit, von der Not, auch dass die Erde zum Unstern geworden sei, also er kritisiert eine Entwicklung der neuzeitlichen Machtpolitik und Eroberungspolitik, die sehr stark ja von Europa ausging, als eine Form der Verirrung, letztendlich seinsgeschichtlich gedacht.
    Fischer: Dennoch: Sie haben die Zeit der Anfang 30er-Jahre erwähnt. Heidegger bezieht sich in dem Heft, das Ihnen vorliegt, auch auf seine Rektoratszeit in Freiburg 1933/34, und in diese Zeit fällt die berüchtigte Rede von ihm, die er damals als NSDAP-Mitglied gehalten hat. Noch mal zur Erinnerung: Was war daran so skandalös und inwiefern ist dieses Heft nun heute aufschlussreich in Bezug auf die Zeit?
    Vietta: Nun gut, er hat damals die Wissenschaft auch versucht, neu umzupolen in so was wie einen Wissensdienst, der aber mehr in seinem Sinne jetzt dachte, und musste dann erkennen, relativ kurzfristig darauf, dass die Nazis daran gar kein Interesse hatten. Die hatten im Gegenteil sogar Interesse, die Naturwissenschaften stark zu machen, weil das ja Mittel des Willens zur Macht waren, damit konnte man Waffen bauen. Das hat die interessiert. Heidegger hat immer mehr dann gesehen, dass seine Umpolung des Denkens und auch der Universitäten, die er sich vorgestellt hatte, hier gar nicht erfüllt wird, und hat sich dann auch davon abgewandt und hat zunehmend und auch in diesen schwarzen Heften sozusagen die Wissenschaftsentwicklung selbst kritisiert, den Weg auch der Universitäten. Insofern ist das auch eine kritische Korrektur seiner eigenen, ein bisschen naiven Hoffnungen, die er so 1933 glaubte, haben zu können.
    Fischer: Welche Hoffnungen verbinden Sie, Silvio Vietta, mit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte jetzt im März?
    Vietta: Erstens sind es noch nicht alle, aber zweitens wird man, glaube ich, im Kontext jetzt sehen, dass dieser Vorwurf des Antisemitismus einfach vollkommen in die Irre geht. Und da ist auch der Begriff "seinsgeschichtlicher Antisemitismus" nicht zielführend, weil Antisemitismus ist ein rassistischer Begriff und rassistisch hat Heidegger nicht gedacht. Insofern denke ich, es wird eine Klärung bringen und vielleicht – und das hoffe ich – zu einer fundamentaleren Auseinandersetzung mit diesem doch größten Philosophen des 20. Jahrhunderts führen.
    Fischer: Das war Silvio Vietta mit einer Einschätzung zu Martin Heidegger und zur neuen Diskussion um "antisemitische" Bemerkungen in den Schwarzen Heften.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.