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Philosophie
Denkst du noch oder glaubst du schon?

Christina Aus der Au, Präsidentin des Evangelischen Kirchentages, sprach in Erfurt über die Vereinbarkeit von Glauben und Wissenschaft. Am liebsten wäre sie mit Atheisten ins Gespräch gekommen, doch die gaben sich nicht zu erkennen.

Von Henry Bernhard | 01.02.2017
    Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au präsentiert in Berlin die Bibellosung aus dem 1. Buch Mose, die über allen Aktivitaeten des Kirchentages vom 24. bis 28. Mai 2017 stehen wird. Der nächste Deutsche Evangelische Kirchentag 2017 in Berlin und Wittenberg steht unter dem Leitwort Du siehst mich.
    Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au. (imago / epd-bild /Rolf Zoellner )
    Christina Aus der Au möchte sich nicht langweilen. Als Theologin und Präsidentin des diesjährigen evangelischen Kirchentages ist sie es gewohnt, zu den bereits Getauften und Bekehrten zu predigen. Auf die Frage aber, vor welchem Publikum sie es aufregender findet, über das Grenzgebiet zwischen Glaube und Wissen zu referieren, muss sie in ihrer Eigenschaft als Philosophin gestehen:
    "Ich glaube, ich würde sagen: vor Atheisten! Weil, meine Erfahrung ist, dass Christinnen und Christen, die nicken relativ schnell, die finden sich relativ schnell wieder. Atheisten, Atheistinnen müssen sich auf dieses Verständnis von Glauben einlassen, was sie ja selber gar nicht kennen. Und von daher: Wenn es überzeugend ist, dann müsste es auch vor Atheisten überzeugend sein. Fände ich spannender."
    Ihr Erfurter Publikum wollte und musste Aus der Au mehrheitlich nicht vom Glauben überzeugen, wollte aber für eine neue Sicht auf die Vereinbarkeit von Glaube und Wissen werben – mit kritischem Blick auf den "neuen Atheismus" von Autoren wie Richard Dawkins oder Christopher Hitchens.
    "Der neue Atheismus ist auch ein schöner Gesprächspartner, finde ich, weil er mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit auftritt, und zwar so, dass es eben der alleinige Anspruch der Wissenschaftlichkeit ist. Er will befreien, und er will erlösen – aber eben nicht von Sünde erlösen fürs Paradies, sondern für ein glückliches Diesseits. Das ist die Religion, sage ich jetzt mal ein bisschen provokativ, des Wissens und des Unglaubens, weil wir nämlich nichts voraussetzen müssen. Es ist eben wissenschaftlicher, weil wir eben nur mit dem arbeiten, was wir sehen und was wir beweisen können. Wir setzen nichts voraus …"
    Auch in den vermeintlich exakten Wissenschaften gibt es Voraussetzungen, die angenommen werden
    Und eben das bestreitet Christina Aus der Au: Auch in den vermeintlich exakten Wissenschaften gebe es Voraussetzungen, die angenommen, die nicht geprüft würden. Der Heisenbergschen Unschärferelation, einem Dilemma der Quantenphysik, das besagt, dass man nicht gleichzeitig Ort und Impuls eines Teilchens bestimmen könne, stellt sie gewissermaßen eine Aussage Dietrich Bonhoeffers zur Seite:
    "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht." Wenn man von Gott sagt, es gibt ihn, dann hat man gerade nicht Gott getroffen. Gott ist im Person-Bezug und das Sein ist sein Person-Sein. Es gibt Dinge! Und Bonhoeffers sagt: Gott ist Person. Und Personen in ihrer Beziehungsfähigkeit gibt es nicht wie ein Objekt."
    Zu den Perspektiven der 1. und der 3. Person, also des sich selbst empfindenden Ichs und des von außen beobachtenden Es, fügt Aus der Au das Gegenüber ein, das in Beziehung steht zum Subjekt und erst dadurch definiert wird. In dieser Gegenüberstellung findet sie Gott.
    "Und deswegen kann man die Alternative zwischen purem subjektivem Glauben und purem atheistischen Beschreiben, weil Gott sich ja nicht irgendwo findet, diese Alternative ein bisschen aufbrechen."
    Und auch in der Wissenschaft gebe es den gemeinsamen Hintergrund, den Referenzhorizont, auf den sich alle neuen Erkenntnisse beziehen, auf dessen Folie die messbaren Daten interpretiert werden.
    "Man geht mit einer bestimmten Brille auch in der Naturwissenschaft ans Werk. Wenn ich etwas weiß, bin ich immer auch als Person betroffen; ich habe eine persönliche Teilnahme. Und das Indiz dafür ist, dass auch Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sich ganz schwer damit tun, ihre Lieblingstheorien aufzugeben! Das hat auch immer etwas mit ihnen zu tun. Ich kann nicht einfach sagen: "Ach, jetzt gibt es neue Daten, also habe ich eine andere Theorie!" Das packt sie auch immer als Person. Ich gehe eben schon mit meiner Erwartung an die Daten ran; ich erwarte das zu sehen, und dann sehe ich es auch. Und je mehr Erfahrung ich habe, umso mehr weiß ich, worauf ich achten muss in den Naturwissenschaften."
    Atheismus denkt nicht über seine eigenen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen nach
    Und deswegen wirft Christina Aus der Au dem "neuen Atheismus", der sich wissenschaftlich gebe, Unwissenschaftlichkeit vor. Er denke nicht über seine eigenen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen nach.
    "Er schießt sich zudem auf einen Pappkameraden ein, also auf die Gläubigen, die auch nicht wissen, was sie voraussetzen, und hat keine Ahnung von theologischer Reflexion! Aber dass Theologie unter anderem das Bemühen ist, die eigenen Voraussetzungen aufzuklären und darüber ins Gespräch zu kommen, das ist hier wichtig. Und deswegen die Pflicht zum Nachdenken! Was für ein Gottesbild habe ich eigentlich, das ich nie in Zweifel ziehe? Wovon gehe ich aus? Welche Texte in der Bibel oder sonst wo sind mir wichtig, sind grundlegend für mein Gottesbild oder für meinen Glauben? Zu sagen, "Es steht so in der Bibel.", oder, "Ich hab davon geträumt.", das geht im zwischenmenschlichen Gespräch, aber das geht nicht im theologischen Diskurs. Aber auch in den Naturwissenschaften, in der Wirtschaft, in der Politik darauf sich befragen lassen und Rechenschaft darüber ablegen können, was es eigentlich ist, wovon wir ausgehen?"
    Am Ende nimmt sie also alle in die Pflicht, nicht nur die Atheisten. Ein Aufruf, an die eigenen Wurzeln zu gehen. Kurzes Murmeln im Publikum, ein paar freundliche Nachfragen. Die Ostdeutschen, wenn sie nicht gerade besorgt sind, sind doch ein sehr streitunfreudiges Volk.