Donnerstag, 25. April 2024

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Philosophisches Musikkabarett
"Ich denke, dass der Künstler nicht ersetzbar ist"

„Kann man davon leben?“ Darauf würden viele Künstler vermutlich antworten: „Geht so.“ Und auf die Frage, ob die Gesellschaft sie braucht: „Auf jeden Fall.“ Im Dlf sprach der Musikkabarettist Matthias Ningel über die Rolle des Künstlers und sein Verständnis von Kunst.

Matthias Ningel im Gespräch mit Juliane Reil | 02.01.2018
    Der Kabarettist Matthias Ningel, Porträtaufnahme
    Der Kabarettist Matthias Ningel (Jana Kay)
    Juliane Reil: Das tragisch-komische "Du wurdest ersetzt" - ein Lied aus dem neuen Programm von Musikkabarettist Matthias Ningel, und dieses Programm heißt "Kann man davon leben?" Eine nervige und auch lästige Frage, die sich viele Künstler und Kreative in Deutschland gefallen lassen müssen – leider nicht ohne Grund. Die Mehrheit kommt kaum ohne Zweitjob über die Runden. Der Mann, der hier gerade gesungen hat, ist nun bei uns zu Gast: Matthias Ningel – Kann man davon leben? Wie häufig wurde Ihnen diese Frage schon gestellt?
    Matthias Ningel: Die Frage wurde mir sehr häufig schon gestellt und war auch Stein des Anstoßes dieses Programm dann zu entwickeln, um einfach mal das Ganze schon im Konzert zu bearbeiten, und nicht nach dem Auftritt dann gefragt zu werden.
    "Das ist natürlich etwas kränkend"
    Reil: Das heißt Sie gehen in die Offensive, weil Sie sich durch diese Frage auch irgendwie verletzt gefühlt haben? Weil da schwingt ja auch irgendwie eine Form von Geringschätzung mit. Wie empfinden Sie das?
    Ningel: Ja, so ein gewisser Unglaube. Ich glaube nicht, dass es unbedingt geringschätzig gemeint ist, aber die Vorstellung, dass das, was man da macht dafür ausreicht, dass es als richtiger Beruf funktioniert. Das ist natürlich trotzdem etwas kränkend, dass das Leute immer wieder fragen. Und damit gehe ich in die Offensive und bearbeite im Programm diese Fragestellung. Vielmehr ist aber auch noch die Frage, was braucht man denn zum Leben? Um die Frage zu beantworten, 'Kann man davon leben?' mache ich erst mal eine Bestandsaufnahme, was denn Leben ausmacht, was man braucht, was ich brauche oder vor allen Dingen auch was man nicht unbedingt braucht.
    Der Kabarettist Matthias Ningel am Deutschlandfunk-Mikrofon
    Der Kabarettist Matthias Ningel (Horst Senker)
    Reil: Was brauchen Sie denn nicht unbedingt?
    Ningel: Naja, ich brauche nicht all zu viele Konsumartikel, die beworben werden. Ich besitze zum Beispiel kein Smartphone und weiß auch nicht, ob ich eins will. Also es gibt viele technische Entwicklungen, die dazu animieren immer wieder viel und neu zu kaufen. Und da frage ich mich natürlich, ob man das alles braucht.
    Reil: Also das ist im Prinzip Ihre Konsumkritik, die in diesem Programm steckt?
    Ningel: Das ist wahr. Da steckt diese Kritik drin.
    "Das Publikum kann keine Freundschafts- oder Liebesbeziehung ersetzen"
    Reil: Herr Ningel, was brauchen Sie denn eigentlich zum Leben?
    Ningel: Ich brauche Zeit über die ich verfügen kann. Das ist mit dem Job, den ich jetzt habe wirklich gut. Man kann ganz gut seine Tage einteilen. Und ich brauche Beziehungen zu Menschen. Das ist natürlich zum Einen die Beziehung zum Publikum, aber das kann natürlich keine Freundschafts- oder Liebesbeziehung ersetzen. Das braucht man zum Leben. Und eine erfüllende Tätigkeit und auch das würde ich sagen kann man mit dem Künstler Dasein erreichen. Also das sind eher so die Werte, statt jetzt alles im Einkommen oder materiellem Besitz zu sehen. Natürlich braucht man einen Grundstock an Einkommen, aber ich denke, dass diese Sachen viel entscheidender sind.
    Daniela Mayer interviewt Matthias Ningel im Zuschauerraum des Wühlmäuse-Theaters in Berlin.
    Querköpfe-Redakteurin Daniela Mayer mit Matthias Ningel im Interview. (Kai La Quatra)
    Reil: Sie selbst - muss man ja dazu sagen - sind ausgebildeter Musiker. Sie haben Schulmusik studiert, und das heißt Sie hätten sich das alles ganz anders bauen können. Sie hätten eine relativ sichere Karriere als Lehrer angehen können.
    Ningel: Das stimmt. Mit dem Referendariat oder kurz davor ist das mit dem Musikkabarett losgegangen und da war ich in der eigentlich luxuriösen Situation entscheiden zu können, was ich jetzt mache. Diesen etwas sichereren Weg des Lehrers oder den für meine Perspektive damals etwas wagemutigeren Schritt des Künstlers. Und ich bereue es bisher nicht, dass ich diesen Schritt gegangen bin und jetzt als Künstler durch die Lande ziehe.
    "Die Digitalisierung hat auch ihre Schattenseiten"
    Reil: Wir haben schon über die Kritik am Konsum gesprochen. Wie erklären sie sich das denn, dass es im Prinzip für Kultur und Kunst relativ wenig Raum gibt? Also es gibt Förderungen von Kultur, aber investiert wird eigentlich in andere Dinge.
    Ningel: Ich habe den Eindruck, dass die Investition in Kunst nicht direkt und unmittelbar Geld abwirft. Oft müssen da langfristig Dinge aufgebaut werden und das könnte vielleicht auch abschreckend sein. Und außerdem sind die modernen Entwicklungen auch momentan leider so, dass sie dem Künstler viele Schwierigkeiten bereiten. Die Digitalisierung hat auch ihre Schattenseiten in der Hinsicht, dass Musik insbesondere der Verkauf von Musik immer schwieriger sich gestaltet. Mit Tonträgern ist heutzutage kein Geld mehr zu machen. Das verschiebt sich daher eher so auf den Live-Betrieb, was mir persönlich jetzt aber gut gefällt, weil ich eh ein Live-Musiker bin. Und im Kabarett ist das alles noch viel besser machbar als im Bereich der Pop- und Rockmusik. Es gibt da wirklich international erfolgreiche Künstler, die aber trotzdem ihre Kunst fast als so eine Art Hobby ausleben müssen und trotzdem noch ihren Brot-Job Fulltime machen müssen.
    Matthias Ningel am Klavier am Siegerabend der Kabarettbundesliga Saison 15/16 in Berlin.
    Das Publikum hat entschieden: Matthias Ningel ist der Deutsche Kabarettmeister der Saison 2015/16 (Kai La Quatra)
    Reil: Sie sprechen ja in dem Song, den wir gerade gehört haben, genau das im Prinzip an. Also dass man ersetzbar wird. Jetzt haben Sie sich sehr stark auf die Musik bezogen, aber in dem Song sprechen Sie auch davon: Facebook ersetzt Freunde, Tinder die Liebe, der Drummer in ihrem Song wird von einen anderen ersetzt. Der Sänger durch eine andere Stimme. Ich frage mich, ob das immer so ein Ersetzen ist, oder ob man das vielleicht auch als einen Fortschritt begreifen könnte, eine Weiterentwicklung.
    Ningel: In dem Lied ist natürlich plakativ die Schattenseite dargestellt. Es gibt - um noch mal auf die Musik zu sprechen zu kommen - natürlich auch wunderbare Beispiele wie es dann Bands oder Musiker mit den Technologien doch schaffen, Dinge hinzubekommen, die vorher nicht möglich waren. Also dadurch, dass das groß Tonstudio, was vor Jahren noch unvermeidbar war, dadurch ersetzt wurde, dass man mittlerweile im Home-Recording Bereich kostengünstig, gute und hochwertige Aufnahmen erstellen kann. Das ist natürlich eine Chance für jeden Musiker. Klar es gibt Chancen, es gibt aber auch Gefahren, die da drohen. Und im Rahmen dieses Bühnenprogramms ist natürlich plakativ das schädliche Potenzial da gesehen. Und es spielt natürlich auf die Angst an, ersetzt zu werden, die man vermutlich auch hat. Ich denke, dass ist so die größte Kränkung, wenn man selbst in seiner Position oder gar als Mensch ersetzt wird. Ich denke, dass der Künstler nicht ersetzbar ist. Also vielleicht sollte man dann auch noch mal unterscheiden zwischen Entertainment, Unterhaltung und Kunst. Also ich denke mal schon, dass viele Dinge in der Kunst tatsächlich formelhaft sind, schematisch und so, aber dass es jetzt nie dahingehen könnte, dass vielleicht ein Roboter oder so die Kunst ersetzt, weil dann käme glaube ich ein epigonaler Stil rein, ein Imitieren von Vorbildern. Und eigentlich ist das Wesen der Kunst, noch mal so einen Bezugsrahmen zu sprengen, noch mal eine Grenze zu überschreiten. Und ich glaube da braucht man den Künstler und da braucht man einen Menschen, der das macht. Den Optimismus habe ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.