Mittwoch, 24. April 2024

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Physik-Nobelpreisträger Reinhard Genzel
Über Schwerkraftmonster im All und Wahrheit

Reinhard Genzel versteht sich als Experimentator und forschte lange in Kalifornien. Die Max-Planck-Gesellschaft holte ihn zurück nach Deutschland. Im Dlf spricht er über das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, über adaptive Optik und Großteleskope - aber auch über Filterblasen und die Suche nach Wahrheit.

Reinhard Genzel im Gespräch mit Christiane Knoll | 06.12.2020
Sagittarius A, eine Region im Zentrum der Milchstraße
Das Zentrum unserer Milchstraße ist weit entfernt von uns - aber fest steht: Da hockt ein "Schwerkraftmonster" - ein Schwarzes Loch (imago images / Zuma Press / Chandra)
Im Zentrum unserer Milchstraße lauert ein Schwerkraftmonster: Gut vier Millionen Sonnenmassen, zusammengepresst auf engstem Raum. Nicht einmal Licht kann ihm entkommen. Physik-Nobelpreisträger Reinhard Genzel hat den Nachweis geführt, dass dieses Schwarze Loch tatsächlich eines ist. Mit noch besseren Instrumenten will er bald weiter in die Tiefen des Universums vordringen, zu noch gefräßigeren Schwarzen Löchern. Er stand schon in den Startlöchern - doch dann kam Corona. Am Paranal in Chile traf der Lockdown auch den Aufbau der neuesten Teleskop-Generation. Die Verzögerung trifft den 68-jährigen hart.
Portraitfoto Reinhard Genzel, Direktor am MPI für Extraterrestrische Physik
Unser Gesprächspartner - Physiknobelpreisträger Reinhard Genzel, Direktor am MPI für Extraterrestrische Physik (MPI für Extraterrestrische Physik)
Reinhard Genzel forschte lange Jahre in Kalifornien, unter anderem bei Nobelpreisträger Charles Townes. Die Max-Planck-Gesellschaft holte ihn zurück nach Deutschland. Hier ist er heute Direktor am MPI für Extraterrestrische Physik. Zusammen mit Andrea Ghez und Roger Penrose erhält er am 10. Dezember 2020 den Physiknobelpreis. Im Deutschlandfunk spricht er über seine Forschung, über adaptive Optik und Großteleskope - aber auch über Filterblasen im Internet und die Suche nach Erkenntnis.
Eine sehr komprimierte Erklärung für die Verleihung des Nobelpreises
Die Vermutung, dass es Orte von unvorstellbar hoher Schwerkraft und Dichte - "Schwarze Löcher" - geben könnte, gab es schon seit 1916. Kurz nach der Vorstellung von Einsteins Relativitätstheorie hatte Karl Schwarzschild das Konzept entwickelt. Nur gab es damals keinerlei Möglichkeit, die physikalisch-mathematische Theorie auch zu beweisen. Bald kam die Idee auf, dass auch im Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße, so ein Schwerkraftmonster lauern könnte. Als Reinhard Genzel in den 1990er Jahren mit der Beobachtung begann, hatten sich die Hinweise verdichtet. Was fehlte, war der Beweis. "Nun, es geht um die experimentelle Einschränkung anderer Möglichkeiten, dass eine kompakte Masse im Zentrum unserer Milchstraße wirklich ein schwarzes Loch ist im Sinne der Einsteinschen Theorie. Diese Einschränkung ist inzwischen so weit gediehen, dass man letztendlich sagen kann: Da gibt's praktisch keine realistischen anderen Möglichkeiten."
Video: Zoom ins Zentrum der Milchstraße (Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik)
Blick in das Zentrum der Milchstraße war extrem schwierig
Ein direkter, optischer Blick auf das Zentrum der Milchstraße war praktisch nicht möglich - zwischen der Erde und dem Beobachtungsziel liegt ein Schleier von interstellarem Gas. "Aber immerhin gab es da noch Alternativen." Interstellares Gas lässt sichtbares Licht nicht durch, wohl aber infrarotes, erklärt Genzel. "Und deshalb war es klar: Um da noch besser zu werden, müsste man eigentlich noch näher ran, um einzelne Sterne zu sehen, sozusagen als Gravitations-Präzisionsinstrument; um deren Bahnen zu sehen." Dafür brauchte es eine signifikante Verbesserung bei der Beobachtungs-Genauigkeit.
"Das Flimmern der Erdatmosphäre macht Bilder unscharf. Und da ist es egal, ob Sie ein Acht-Meter-Teleskop haben oder ein Ein-Meter-Teleskop. Wir mussten es also schaffen, diese Luftunruhe loszuwerden. Und die einzige Methode, die wir am Anfang hatten, war, indem man sehr schnelle, kurz belichtete Bilder schießt. Wobei man dann sozusagen einen Snapshot nach dem anderen nimmt und die nachher entsprechend adjustiert, um die Bildschärfe zu erhöhen."
Technologie-Transfer aus dem US-Militär
In den USA war dazu ein sehr nützlicher Detektor entwickelt worden. "Ich gestehe, im Militärbereich, weil die wollten sich die Raketen der Russen genau anschauen. Und dabei hatten die also, weil man eben die Wärmestrahlung dieser Raketen sich anschaut, im Infraroten Detektoren gebaut." Reinhard Genzel gelang es, an diese Detektoren heranzukommen. "Und das war alles schon eine spannende Geschichte, das war nicht einfach. Das Ende des Kalten Krieges war da ganz wesentlich. Und sobald wir diese Detektoren hatten, dann konnten wir ein solches Gerät bauen."
Adaptive Optik macht den Blick ins Universum scharf
"Wir waren dann zum ersten Mal an dem großen Teleskop in Chile; dem Acht-Meter-Teleskop. Und dort hatten wir also eine neue Kamera, die also jetzt keine Kurzbelichtung mehr machte, sondern eine sogenannte adaptive Optik benutzt. Das heißt, man korrigiert dieses Flimmern der Erdatmosphäre, bevor man die Bilder schießt. Und dann eben hatten wir innerhalb von ja ein, zwei Monaten auf einmal diesen Stern, und der ging um die Kurve."
Was Genzel und sein Team sahen, war der Ausschnitt einer elliptischen Bahn. Mit einer Umlaufzeit von 16 Jahren kreiste der Stern SO-2 offenbar um eine kompakte Masse im Zentrum unserer Galaxie - viel enger, als man das bis dahin überhaupt für möglich gehalten hätte. Aus der Bewegung von SO-2 ließen sich Rückschlüsse auf die Masse des Schwarzen Lochs ableiten.
Künstlerische Darstellung der gravitativen Rotverschiebung, die der Stern S2 beim nahen Vorbeigang am Schwarzen Loch erfährt.
Der Stern SO2 kurvt auf einer elliptischen Bahn eng um das Schwarze Koch herum ( ESO/M Kornmesser)
Verbesserte Instrumente für den nächsten Stern-Kreislauf
Genzel und seinen Kolleginnen und Kollegen blieben 16 Jahre, um ihre Instrumente zu verbessern. "Wir haben dann ein Gerät gebaut, über etwa zehn, zwölf Jahre, und waren dann auch noch rechtzeitig zur Stelle, als der Stern dann wieder zurück kam. Sodass wir dann mit dem weiteren Faktor 20-, 30-mal bessere Präzision also den nächsten Durchgang, also diesen nahen Durchgang 17 Lichtstunden von der Radioquelle gesehen haben - und das hat in der Tat wirklich jeden überzeugt." Eine wichtige Einschränkung nennt Genzel dann allerdings doch: Seine Schlussfolgerungen bauen auf Einsteins Gleichungen auf.
Weitere Forschung ist notwendig
"Jetzt könnte ja jemand herkommen und sagen: 'Ja, na gut, aber die allgemeine Relativitätstheorie gilt vielleicht nur bis zu einem gewissen Grad. Vielleicht ist Einstein dann doch falsch, auf einer bestimmten Skala.' Und deshalb hilft es nichts, wir müssen doch näher ran, und noch besser messen. Und das wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein."
Forschung zu Schwarzen Löchern, zur Entstehung des Weltalls und letztlich der Erde - einen direkten Nutzen für unseren Alltag habe sie nicht. Und dennoch ist für Genzel die Suche nach Wahrheit nicht verhandelbar. Dass etwa die Wissenschaft heute Regeln kenne, die diese Suche nachvollziehbar mache, hält Genzel für eine Errungenschaft, die in der Coronapandemie verteidigt werden müsse:
Die Suche nach Wahrheit ist unverhandelbar
"Dass man Wissen sozusagen 'traubar' gewinnen kann, traubar in dem Sinne, dass es nicht jeder verstehen muss, aber dass man sagt: Wenn mir jemand sagt, es gibt also dieses Virus und das kann man so bekämpfen, dann kann man das auch akzeptieren, das dürfen wir nicht verlieren."
Die beiden Magellanschen Wolken am Südhimmel zwischen den Schutzbauten des Very Large Telescopes der ESO auf dem Cerro Paranal.
Die Arbeit an den "Very Large Telescopes" der ESO auf dem Cerro Paranal ist momentan corona-bedingt sehr eingeschränkt (European Southern Observatory)
Corona-Einschränkungen bedrohen die Forschung
Die Coronakrise hat aber auch ganz konkrete Auswirkungen auf die Forschungsarbeit des Astrophysikers. Am Paranal in Chile, auf dem Geländer der Südsternwarte ESO, ruhte seit April der Betrieb. "Die hatten ja einen ganz harten Lockdown und im Moment dürfen die nicht mehr als 60 Leute auf den Berg bringen. Und den Paranal, um den wirklich voll zu fahren - also da sind ja oben sechs Teleskope und eine Riesentechnologie und so weiter und so fort, und dann die Überprüfung und Tests - da braucht man eigentlich 150 bis 200 Leute, also mit 60 ist das kaum zu machen."
Genzel ist 68 Jahre alt, eigentlich im besten Rentenalter. Ihm bleiben nur noch wenige Jahre, in denen er die geplanten Experimente durchführen kann. Schon jetzt rechnet er mit ein bis zwei Jahren Verspätung. Nicht nur für ihn persönlich, sondern auch für seine Forschung wäre eine weitere Verzögerung vermutlich das Aus: "In der Max-Planck-Gesellschaft wissen wir nicht, was nach einer sozusagen 'Verrentung' eines Direktors passiert. Da kann man nicht davon ausgehen, dass die Firma sozusagen diese Forschung weiterführt. Also insoweit ist da sowohl persönlich für mich und mein Team, aber auch sozusagen in gewissen Sinne für die MPG ein gewisses Risiko da - endlich noch und wahrscheinlich hoffentlich abfangbar - dass wir letztendlich zwei Jahre verlieren."
Immer weiter zurück bis zum Urknall
Aber Genzel ist optimistisch - die Erkenntnisse der Gravitationsforscher hätten die Suche nach den Grundlagen des Universums weiter vorangebracht. Letztlich sei das Ziel, immer weiter zurückzuschauen in die Geschichte des Universums und der Weltentstehung. Aber auch mit dem Zentrum der Milchstraße ist Genzel noch nicht fertig: "Also eine ganz wichtige Frage ist natürlich, ob es neben einem großen Schwarzen Loch dort weitere Objekte gibt. Es könnte ja sein, dass sozusagen zwei Schwarze Löcher da sind, oder ein großes Schwarzes Loch und ein kleineres. Wir haben jetzt weitgehend ausgeschlossen, dass es zwei große Schwarze Löcher sein können. Aber wir wollen unbedingt herausfinden, ob es vielleicht kleinere schwarze Löcher in der Umgebung des großen Schwarzen Lochs gibt."
Untergang der Menschheit droht erst einmal nicht
Ein Schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße - da ist die Befürchtung nicht ganz absurd: Kann das Schwerkraftmonster in absehbarer Zukunft uns, die Erde, aufsaugen? Reinhard Genzel gibt Entwarnung: "Die Frage ist immer die, wie viel Materie auf so ein schwarzes Loch einstürzen kann. Im Extremfall - und das sind die Quasare in der Frühzeit des Universums, als die Schwarzen Löcher sozusagen entstanden und sehr stark gewachsen sind - da in der Tat wurden Energiemengen freigesetzt, die ganze Milchstraßensysteme beeinflussen konnten und in der Tat dann sogenannte sternbildende Galaxien wie unsere umwandeln in tote Biester. Aber das ist heutzutage eigentlich nicht mehr möglich, weil einfach zu wenig Gas vorhanden ist im späten Universum, 13 Milliarden Jahre nach dem Urknall."