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Picknick mit Musik

Verdi, Dvorak, Donizetti und Wagner, das sieht nach Programmmusik aus. Aber der Ort ist das Besondere: Glyndebourne ist Oper und Picknick zugleich. Und das schon seit 75 Jahren. Ein elegantes, schickes Festival, das mehr als zwei Monate dauert, sechs Opern bietet und sich musikalisch treu bleibt.

Von Thomas Migge | 18.07.2009
    Sie sind immer noch da, die Schafe. Wie vor 75 Jahren, als zum ersten Mal britischer Adel und Großbourgeoisie aus London und der Umgebung in die Villa kamen. Schafe empfangen auch heute noch die gutbetuchten Opernfreunde, die inzwischen aus aller Welt nach Glyndebourne pilgern und in vielen Fällen schon vor den Aufführungen picknicken. Da sieht man Herren rigoros in "black tie", in Smoking, und Frauen in eleganten Abendroben, die mit Tellern und Gläsern hantieren, die Klapptische und -stühle aufbauen oder schon beim Champagnertrinken und Pastetenvernaschen sind. Glyndebourne ist Oper und Picknick zugleich. Und das schon seit 75 Jahren. Ein elegantes, schickes Festival, das mehr als zwei Monate dauert, sechs Opern bietet und sich musikalisch treu bleibt, erklärt David Pickard, Direktor in Glyndebourne:

    "Die zentralen Ziele dieses Festivals sind immer noch die gleichen. Darunter vor allem zwei: erstens werden hier ausschließlich Opern auf die Bühne gebracht, von höchster musikalischer Qualität, und zweitens unterstützen wir junge Künstler. Hier wurden ja viele spätere Stars entdeckt."

    Zum Beispiel Dame Janet Baker in vergangenen Zeiten und Danielle De Niese vor erst wenigen Jahren.

    Die junge Australierin De Niese singt in diesem Jahr in Händels "Giulio Cesare". David McVicar bietet eine recht erotisch angehauchte Regie. Am Pult steht Händelexperte Laurence Cummings und es spielt das Orchester of the Age of Enlightment. De Niese tanzt und singt so voller Kraft und halbnackt, dass sie vom Publikum, vor allem nach der Pause, dem traditionellen "Long Intervall" von rund eineinhalb Stunden,bei jedem ihrer Auftritte mit Applaus und begeisterten Pfiffen bedacht wird. Der Alkohol wirkt sich aus - aber auch das gehört zu Glyndebourne.

    Ein Festival, das von Anfang an komplett privat finanziert wird mit den Mitteln eines eigenen Trusts und tausenden von prominenten und weniger bekannten Mäzenen. Eine bewusste Entscheidung, denn man will nicht in die Fänge staatlicher Abhängigkeiten und nur einiger weniger Sponsoren geraten.

    David Pickard:
    "Wir finanzieren uns zu einem guten Teil aus dem Verkauf der Eintrittskarten, die rund 60 bis 70 Prozent der Ausgaben wettmachen. Der Rest kommt aus Schenkungen und Geldern, die die Mitglieder des Glyndebourne-Freundeskreises aufbringen. Und dann sind da noch die Einnahmen aus unserem Shop."

    Das Festival kostet jährlich rund 16 Millionen Euro. Damit werden nicht nur die Sänger, Regisseure etc. bezahlt, sondern auch eine feste Belegschaft von 100 und eine saisonale von 400 Personen.

    Doch auch in Glyndebourne, das 1934 von dem Opernfreund John Christie und mit Hilfe der deutschen Emigrantenkünstler Fritz Busch und Carl Ebert gegründet wurde, leidet unter den Folgen der aktuellen Weltwirtschaftskrise. Dazu der russische Dirigent Vladimir Jurowski, seit acht Jahren musikalischer Direktor des Festivals:

    "Ja! Aber ganz stark und wir kriegen das hier ja als erste zu spüren, denn wir sind total unabhängig vom Staat. In den früheren Jahren lag die normale Auslastung in Glyndbourne bei 98 Prozent."

    In diesem Jahr sind es nur rund 70 Prozent. Wenn, wie jetzt, der Trust Gelder hinzuschießen muss, muss gleichzeitig gespart werden. Und das bekommt man zu sehen und zu hören. Die Zeiten mutiger und provozierender Inszenierungen, die sich nicht nur in erotisch-schlüpfrigen Interpretationen ergehen, sind vorbei. Ein Peter Sellers, der die "Zauberflöte" im Sektenmilieu ansiedelt, ist heute undenkbar. Man muss verstärkt auf den ästhetischen Horizont der wichtigsten privaten Sponsoren Rücksicht nehmen. Gespart wird leider auch bei den Stimmen. Sarah Conolly zum Beispiel. Sie ist sicherlich ein ausgezeichneter Giulio Cesare, aber ihre Stimme ist zu klein für ein Theater. Ähnliches muss man auch von anderen Sängern sagen. Wirklich höchste Qualität, wie in früheren Zeiten, wird, leider, nicht mehr unbedingt geboten.