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Pille fürs Vergessen

Psychologie. - Erinnerungen können einem das Leben zur Hölle machen, weil sie zu Posttraumatischen Stressstörungen führen und eine Therapie nötig machen. Forscher aus Amsterdam arbeiten daran, diese emotionalen Erinnerungen komplett zu löschen.

Von Volkart Wildermuth | 25.02.2009
    Das Gedächtnis ist kein stabiles Archiv, Erinnerungen sind im Gegenteil äußerst flüchtige Gebilde. Jedes Mal, wenn der Geist ein früheres Erlebnis vor sein inneres Auge holt, muss diese Erinnerung anschließend neu abgespeichert werden. Ein eigentlich automatischer Vorgang, der aber Forschern wie Dr. Merel Kindt von der Universität von Amsterdam die Chance bietet, einzugreifen.

    "Das Gedächtnis ist empfindlich, kann von außen gestört werden, während eine Erinnerung wieder erlebt wird. Diese empfindliche Phase dauert einige Stunden."

    Wiedererlebte Erinnerungen können beeinflusst werden, auf diesen Mechanismus setzen Psychotherapeuten schon seit langem. Merel Kindt will sie nun mit einem Medikament unterstützen, mit Propranolol. Dieser gut verträgliche Beta-Blocker wird seit Jahrzehnten zur Behandlung des hohen Blutdrucks eingesetzt. Es gab keine Bedenken, ihn auch Versuchspersonen zu verabreichen. Merel Kind löste bei ihnen eine Art Posttraumatische Stressstörung im Miniaturmaßstab aus. Die 60 Studenten sahen Bilder von Vogelspinnen und erhielten gleichzeitig einen kleinen elektrischen Schock. Nach kurzem löste schon das Bild alleine Angst aus. Das zeigte die deutlich schreckhaftere Reaktion auf einen lauten Ton. Das eigentliche Experiment begann am nächsten Tag. Die Versuchspersonen erhielten entweder Propranolol oder eine Zuckerpille. Danach sahen sie sich die Bilder der Vogelspinne an.

    "Der Effekt war stark und anhaltend. Propranolol brachte die Furchtreaktion komplett zum Verschwinden. Wir haben einen Tag später versucht, die Erinnerung mit einem Elektroschock erneut zu aktivieren. Unser wichtigstes Ergebnis lautet: Bei der in der Kontrollgruppe kehrte die Furcht zurück, aber nicht in bei denen, die Propranolol erhalten hatten."

    Dabei dämpft Propranolol nicht etwa generell die Ängstlichkeit. Das Medikament alleine hatte keinen Effekt, nur in Kombination mit der aktivierten Erinnerung zeigte es Wirkung. Propranolol kann also keine Psychotherapie ersetzen. Merel Kindt glaubt aber, dass das Medikament die Wirkung des Gesprächs verstärken könnte.

    "Wenn man dabei Propranolol einsetzt, könnte sich die emotionale Wucht der Erinnerung abschwächen. Mir ist klar, dass unser Experiment nur eine ganz einfach Assoziation zwischen einem Bild und einem Schock verwendet hat und dass an einer Posttraumatischen Stressstörung ein komplexes Netzwerk von Erinnerungen beteiligt ist. Wir wissen nicht, ob wir da eingreifen können. Wir wollen das überprüfen, das ist eine empirische Frage."

    Forscher an der kanadischen McGill-Universität haben Propranolol schon in der Therapie von Vergewaltigungsopfern eingesetzt und zumindest kurzfristig positive Effekte beschrieben. Allerdings fehlte eine Vergleichsgruppe, die Daten sind schwer zu interpretieren. In den USA haben sie aber Politiker und Philosophen auf den Plan gerufen, die eine strikte Regulation einer medikamentösen Gedächtnisbeeinflussung fordern. Unter anderem weil Vergewaltigungsopfer nicht als Zeugen auftreten könnten, wenn ihre Erinnerungen manipuliert worden seien.

    ""Das würde nur zutreffen, wenn wir die Erinnerung komplett löschen könnten. Das haben wir aber nicht gemacht, wir haben die emotionale Wucht, die Furchtreaktion auf die Erinnerung abgeschwächt. Die Erinnerung selbst blieb intakt", "

    beruhigt Merel Kindt. Im Gehirn werden Inhalt und emotionale Bewertung von Erinnerungen an unterschiedlichen Orten verarbeitet. Propranolol greift nur im Furchtzentrum ein. Auch wenn die Versuchspersonen nicht mehr ängstlich auf das Spinnenbild reagierten, wussten sie sehr wohl noch, dass dieses Bild am Tag zuvor mit dem Elektroschock gekoppelt war. Das Medikament radiert Gedächtnis also nicht aus. Aber es könnte als Teil einer Therapie Menschen helfen, mit ihren traumatischen Erinnerungen zu leben, ohne sie zu vergessen.