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Piloten
"Der psychologische Aspekt wird zu wenig beachtet"

Der Luftfahrt-Journalist Jens Flottau spricht sich für eine Änderung der medizinischen Tests für Piloten aus. Zwar könne man menschliches Fehlverhalten nie ganz ausschließen, psychologische Überprüfungen sollten jedoch auch nach der Ausbildung regelmäßig durchgeführt werden, sagte er im DLF.

Jens Flottau im Gespräch mit Jürgen Liminski | 27.03.2015
    Viele Kamerateams stehen auf einer Wiese in Seyne Les Alpes nahe des Absturzortes.
    Medienvertreter in Seyne Les Alpes nahe des Absturzortes. (dpa/picture alliance/Daniel Karmann)
    Jürgen Liminski: Herr Flottau, der Staatsanwalt ist kategorisch, der Absturz wurde mit voller Absicht herbeigeführt, sagt er. Folgt daraus zwingend die These vom Selbstmord im Cockpit?
    Jens Flottau: Man muss sagen, dass es sehr ungewöhnlich ist, dass einer der Beteiligten so kurz nach dem Absturz mit so einer definitiven Aussage kommt. Normalerweise geht einer solchen Schlussfolgerung eine lange Untersuchung voraus, die sich manchmal über Monate oder Jahre erstreckt. Der Staatsanwalt hat das jetzt anders gemacht. Das darf er natürlich auch in seiner Funktion. Und obwohl das alles so ungewöhnlich verlaufen ist, muss ich doch sagen, dass ich ihm inhaltlich folgen kann. Mir fällt keine andere Theorie ein, die diesen Hergang so schlüssig erklären kann wie das, was er vorgeschlagen hat, nämlich dieser Selbstmord. Bei jeder anderen Theorie gibt es immer irgendwo einen Punkt, der nicht mehr passt.
    Liminski: Solche Selbstmord-Piloten, Selbstmorde sind ja auch bekannt. Im ZDF wurden heute Abend Fälle aus Japan, Marokko, Indonesien, USA mit Hunderten von Toten genannt. Der erste Fall wäre es also nicht, dass das System Mensch versagt. Wie kann man aber so etwas ausschließen, wo ist die Lücke, bei der Ausbildung, bei der Einstellung, bei den Routineuntersuchungen?
    Flottau: So schwierig diese Erkenntnis eigentlich ist, aber man muss zugeben: Man kann es nicht ausschließen. Immer dort, wo am Ende man sich auf Menschen verlassen muss, wird es nicht auszuschließen sein, dass unter vielen, vielen Tausenden von Piloten, die weltweit Flugzeuge fliegen, es einen, zwei oder ein paar gibt, die selbstmordgefährdet sind und die das dann im Zweifel auch umsetzen. Man kann jetzt im System überlegen, ob man an der einen oder anderen Stelle ein Rädchen dreht, ein paar Sicherheitsauflagen verändert, aber auch das wird am Ende nicht völlig ausschließen, dass so etwas irgendwann wieder passieren kann.
    "Ein besseres System finden"
    Liminski: Muss man denn nicht auch Krankheiten wie Depressionen, selbst wenn die überwunden sind, als Grund für einen Ausschluss nehmen?
    Flottau: Ich weiß nicht, ob man es unbedingt als Grund für einen Ausschluss nehmen muss. Aber was schon stimmt ist, dass der psychologische Aspekt der Gesundheit von Piloten zu wenig beachtet wird. Wenn wir die Lufthansa als Beispiel nehmen: Dort gibt es psychologische Checks bei der Bewerbung, sozusagen vor der Ausbildung, und wenn die Piloten dann die Ausbildung begonnen haben und erfolgreich absolviert haben und in den Liniendienst übergegangen sind, dann wird das nicht wiederholt. Es gibt jedes Jahr medizinische Checks, wo natürlich überprüft wird, ob sie gesund sind, aber diese psychologischen Untersuchungen und Analysen finden nicht mehr statt, und ich denke schon, dass man jetzt vor dem Hintergrund dieses Vorfalls überlegen muss, ob man nicht doch ein besseres System finden muss.
    Liminski: Nun ist die zweite Blackbox mit den Aufzeichnungen über die technischen Vorgänge noch nicht gefunden. Könnte es sein, dass hier Erkenntnisse zutage treten, die die Selbstmordthese in Zweifel ziehen?
    Flottau: Das kann ich mir schwer vorstellen, denn dieser Fall hier ist auch deswegen so ungewöhnlich, weil man aus dem Mitschnitt der Gespräche und auch von den Geräuschen, die man da hört auf dem Cockpit Voice Recorder, schon sehr eindeutige Schlüsse ziehen kann. Es gibt ja auch noch ein paar Umstände, die eingetreten sind, wie zum Beispiel, dass der Kapitän es nicht geschafft hat, ins Cockpit zurückzukommen, was nur damit zu erklären ist, dass es der Co-Pilot vorne aktiv verhindert hat. Am Ende gibt es natürlich immer noch eine gewisse Unsicherheit, wir wissen es nicht zu hundert Prozent, aber es gibt aus meiner Sicht keine andere Erklärung.
    Cockpit-Zugang: "Genau hinterfragen"
    Liminski: Herr Flottau, der Kapitän und Crew-Mitglieder haben verzweifelt versucht, Zugang ins Cockpit zu bekommen. Sie haben es ja eben auch schon angedeutet. Das System der Lufthansa, mithin von Germanwings ließ es einfach nicht zu. Muss hier eine Änderung erfolgen, eine Konsequenz gezogen werden?
    Flottau: Ich denke, dass diese Konsequenzen gezogen werden. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass man in irgendeiner Weise dafür sorgt in der Zukunft, dass in einem absoluten Notfall man auch ins Cockpit eindringen kann von außen, wenn das der Pilot im Cockpit nicht will. Das war ja hier nicht möglich. Es gibt zwar diesen Notfall-Code, den man außen eingeben kann, aber der Pilot, der im Cockpit ist, kann die Tür weiter versperren, indem er in diesem Moment einen Knopf drückt. Also die Antwort ist ja. Ich denke schon, dass man das noch mal sehr genau hinterfragen muss.
    Meurer: Jens Flottau, Luftfahrtexperte, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.