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Pionierin der norwegischen Frauenbewegung

42 Jahre war sie alt, als unter Pseudonym ihr Roman "Die Töchter des Amtmanns" erschien. Er löste in Norwegen einen Skandal aus, weil er die Vernunftehe anprangerte. Erst später schrieb Camilla Collett unter eigenem Namen und trat in ihren Essays für die Rechte der Frauen ein. Am 23. Januar 1813 wurde sie in Kristiansund geboren.

Von Ruth Fühner | 23.01.2013
    "…fürchterlich ist das Fest, das wir Hochzeit nennen. Wir wollen nicht einmal von diesem Zurschaustellen der Schönheit der Braut und der errötenden Wangen reden …Hochzeiten sind für die Unglücklichen erfunden. Sie erfüllen denselben Nutzen wie die Zimbel und die Pauken bei den Opferungen der Wilden, sie betäuben das Opfer und übertönen dessen Schrei …."
    Diese Sätze lösten einen Skandal aus im Norwegen des Jahres 1854. Hätte man gewusst, dass eine Frau den umstrittenen Roman "Die Töchter des Amtmanns" geschrieben hatte, wären die Wellen der Erregung noch höher geschlagen. Aber die Verfasserin, Camilla Collett, war zwar überzeugt davon, dass die Mädchenerziehung ihrer Zeit die Seelen ihrer Geschlechtsgenossinnen massenhaft vergewaltigte – doch sie war von dieser Erziehung selbst ausreichend geprägt, um ihre Kritik anonym zu veröffentlichen. Frauen hatten nicht nur ihr Liebesglück der Vernunftheirat zu opfern – sie hatten nicht einmal das Recht, ihre Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben.

    Als Camilla Collett ihren Roman veröffentlichte, war sie 42 Jahre alt und verwitwete Mutter von vier Söhnen. Mit dem Schreiben begonnen hatte sie schon als junges Mädchen. Das lag in der Familie. Geboren wurde sie am 23. Januar 1813 in Kristiansund als Tochter des Theologen und Politikers Nicolai Wergeland, ihr älterer Bruder Henrik war der berühmteste Vertreter der norwegischen Romantik. Ausgerechnet in seinen heftigsten literarischen Gegner, den Dichter Johan Sebastian Welhaven, verliebte sich die 17-Jährige. Ihre Tagebücher und Briefe legen umfangreiches Zeugnis ab von dieser unerwiderten Liebe. Mit dem Schicksal ihrer Schwester Augusta hatte sie zugleich ein Beispiel für eine unglückliche Ehe vor Augen, die allein aus Versorgungsgründen geschlossen wurde.

    "Kannst du mir sagen, du, was es für ein Wahnwitz ist, der so oft Eltern ergreift, wenn sie ihre Töchter verheiraten sollen? ... Sie sind schlimmer als die Wilden, die nicht früh genug ihr Gold und ihr Sandelholz gegen europäischen Nürnbergerkram umgetauscht bekommen können. Wenn sie eine einzige Tochter haben, die ihr Trost und ihre Bequemlichkeit ist, so schicken sie diese gern nach Tranquebar, sie finden sich in jede Entbehrung, darein, sie niemals mehr vor ihren Augen zu sehen … wenn sie bloss verheiratet ist, wenn man bloss sagen kann: meine Tochter, Frau soundso …"

    Bei aller Kritik blieb Camilla Wergeland der romantischen Vorstellung treu, dass Mädchen eine Liebesheirat anstreben sollten; eine Erziehung zu einem unabhängigen Leben jenseits der Ehe war nie ihr Ziel. 1841 heiratete sie den liberalen Juristen und Literaturkritiker Jonas Collett, der sie beim Schreiben unterstützte und zu ihrem wichtigsten Gesprächspartner wurde.

    Bei einem längeren Aufenthalt in Hamburg hatte Camilla Bekanntschaft mit der literarischen Bewegung des Jungen Deutschland gemacht. Der Realismus der Vormärz-Autoren, besonders ihrer empfindsamen Wegbereiterin Rahel von Varnhagen, wurde prägend für ihr eigenes Schreiben. Das kam auch der Gestaltung der Amtmannstochter Sofie zugute.

    "Sofies Gefühl war durch die Hoffnungslosigkeit erzogen worden. Sie hatte nie an ein so grenzenloses Glück, ihr Gefühl erwidert zu sehen, gedacht oder davon geträumt. … Aber der Tag musste auch kommen, an welchem die Hoffnung in ihre Seele einzog. Arme Sofie, wie sieht es in deinen stillen, dunklen Herzkammern aus' Gibt es dort auch Platz für diesen neuen glänzenden Gast, und wie wird der mit den dunklen, freudenscheuen Geistern zurechtkommen, die dort einmal das Hausrecht erhalten haben? Schlecht genug, fürchten wir."

    Nach dem Tod ihres Mannes musste Camilla Collett ihre Söhne aus finanziellen Gründen bei Verwandten unterbringen. Sie reiste viel, schrieb ihre Memoiren und verfasste Essays, die schließlich auch unter ihrem eigenen Namen erschienen und in der entstehenden Frauenbewegung auf breites Echo stießen. Sie trat für die Rechte der Frauen ein, polemisierte gegen sexuelle Doppelmoral und Prostitution und analysierte kritisch das Frauenbild im zeitgenössischen Roman. 1884, ein Jahr vor ihrem Tod, ernannte sie der neu gegründete Norwegische Frauenrechtsverein zum Ehrenmitglied, der Dramatiker Henrik Ibsen bekannte, von Camilla Collett beeinflusst zu sein - aber ob sie den Schritt seiner Nora in die Fröste der Freiheit gebilligt hätte, darf bezweifelt werden.