Flüchtlingsunterkunft in Halberstadt

Ein Ort voller Hoffnung auf eine bessere Zukunft

09:50 Minuten
Im Vodergrund ist ein Basketball-Korb an einem Stahlgestell zu sehen, in der Nähe unterhalten sich drei Presonen. Im Hintergrund ein breites, schlichtes Gebäude in Grau und Rot.
Die zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt war früher eine NVA-Kaserne. © Deutschlandradio / Niklas Ottersbach
Von Niklas Ottersbach · 26.03.2021
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In Halberstadt befindet sich Sachsen-Anhalts zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber. 500 Menschen leben hier, viel weniger als vor einem Jahr. Wegen Corona ist das Land auf dezentrale Unterbringung umgeschwenkt. Doch ob das so bleibt, ist umstritten.
Ahmed Alabd aus Syrien steht zwischen zwei grau-orangefarbenen Häuserblöcken am Stadtrand von Halberstadt. Hier auf einer Anhöhe liegt die ZASt, die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt. Der kalte Harzwind pfeift Ahmed um die Ohren. Der 28-Jährige zeigt auf eine kahle Rasenfläche, auf der eine kleine Rutsche und eine Wippe angebracht sind. Hier – sagt er - spiele er mit seinen Kindern oder trinke Kaffee mit seiner Frau.

Fünf Sterne für die ZASt

Seit drei Monaten lebt Ahmed Alabd hier mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Die Fluchtgeschichte der Familie, die vor dem syrischen Bürgerkrieg floh, ist lang: Schmuggler haben die Alabds über die türkische Grenze gebracht, danach ging es mit dem Boot nach Griechenland.
Ahmed Alabd sitzt in einem Raum. Er trägt Wollmütze und wegen der Corona-Pandemie eine Maske über Mund und Nase.
Ahmed Alabd lebt mit Frau und Kindern in der ZASt. Nach Jahren auf der Flucht fühlt er sich in Deutschland sicher.© Deutschlandradio / Niklas Ottersbach
Drei Jahre lebte die Familie in einem Flüchtlingscamp auf der Insel Samos. Und Ahmed Alabd traf dort genau auf die Leute, vor denen er geflohen ist: auf IS-Kämpfer. "Da sind IS-Leute im Camp. Und es gibt dort Kämpfe zwischen Kurden und Arabern. Und zuletzt, kurz bevor ich vor drei Monaten hierherkam, gab es dort Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und Arabern."
Hier in der zentralen Flüchtlingsunterkunft von Sachsen-Anhalt sei das ganz anders. Auseinandersetzungen habe er noch nicht mitbekommen. Ahmed ist zufrieden hier, bekommt 612 Euro im Monat – so sieht es das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Alles habe ein System in Deutschland, sagt er anerkennend. Für die ZASt vergibt er fünf Sterne.

Angespannte Lage im Frühjahr 2020

Untergebracht ist die ZASt in einer ehemaligen NVA-Kaserne, in der früher die DDR-Grenztruppen ausgebildet wurden. Heute leben knapp 500 Asylbewerber auf dem Gelände. Deutlich weniger noch als vor einem Jahr zu Beginn der Corona-Krise. Damals standen die Menschen in der Erstaufnahme-Einrichtung wochenlang unter Quarantäne, keiner durfte raus, kaum einer rein. Schon gar nicht Journalisten.
Als ich im April 2020 vor Ort war, kreiste ein Polizeihubschrauber über dem Gelände. Mehrere Einsatzwagen der Polizei davor. Der Grund: Es gab Ausschreitungen unter den Bewohnern. Über Nacht wurden zur Trennung der Wohnabschnitte Zäune errichtet, was dazu führte, dass einige Bewohner dachten, hier wird eine Abschiebung vorbereitet.
Die Stimmung aggressiv, die Anzahl der Körperverletzungen hat sich im Vergleich zum Jahr davor verdoppelt. In der ZASt und den beiden Nebenstellen in Bernburg und Magdeburg gab es im vergangenen Jahr neun Selbstmordversuche. Das schreibt das Innenministerium auf Anfrage.

Mehr Personal und mehr Offenheit

Und heute? Um in der ZASt Interviews zu führen, benötige ich einen maximal 24 Stunden alten, negativen Corona-Schnelltest. Amtlich beglaubigt. Genauso wie meine Begleitung: eine Dolmetscherin von der Migranten-Organisation LAMSA.
Bedingung: Interviews nur draußen und nicht in den Wohngebäuden. Ständig an unserer Seite: Philipp Eysel, seit Anfang Februar leitet er die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt. Eine Koordinatoren-Stelle, die das Innenministerium extra neu geschaffen hat.
Philipp Eysel trägt eine rote Jacke und einen Mund-Nasen-Schutz. Er hat eine Brille auf. Im Hintergrund sieht man ein breites, schlichtes Gebäude, die Fassade ist in grau und rot gehalten.
Philipp Eysel leitet die ZASt: Er legt viel Wert auf Kommunikation.© Deutschlandradio / Niklas Ottersbach
Überhaupt gibt es jetzt mehr Personal in den Erstaufnahmeeinrichtungen. 70 neue Mitarbeiter, neu eingestellt, allein im letzten Jahr, sagt Leiter Philipp Eysel. "Das sind aber hauptsächlich externe Dienstleister, die wir eingekauft haben: Sozialbetreuer, medizinische und psychologische Fachleute, unser Medicare haben wir aufgestockt. Ganz wichtig auch die Sprachmittler, weil wir festgestellt haben, dass die bestgemeinte Maßnahme, wenn die nicht richtig kommuniziert wird, falsch verstanden werden kann. Und das sind natürlich alles Änderungen, die unsere Situation hier vor Ort sehr entspannen, im Vergleich zum Vorjahr."
Es ist Mittagszeit in der ZASt. Die Bewohner huschen in die Kantine, um sich ihr Essen in Aluschalen abzuholen. Zusammen mit Leiter Philipp Eysel, Ahmed und zwei Dolmetschern laufen wir über das Gelände. Nicht alle haben eine so gute Bleibeprognose wie Ahmed Alabd, der Apothekersohn aus Syrien.

Keine Deutschkurse, keine Schule

Wir treffen Nasir Ahmed Azizi aus Afghanistan. Er trägt Dreitagebart und Kopfhörer im Ohr. Nasir ist vor den Taliban geflohen, die seine Cousins getötet haben. Seit fünf Monaten ist er hier in Sicherheit. Aber seine Bleibeperspektive sei unklar, sagt Nasir. Die afghanische Dolmetscherin Soniya Frotan übersetzt: "Die Leute, die er kennt, die sind aus Afghanistan, und die sind immer noch da. Syrische Leute und Araber, die werden schneller transferiert."
Was dazu führt, dass Nasir Ahmed Azizi auf den Abschluss seines Verfahrens warten muss: Unterricht, Deutschkurse, all das findet wegen Corona nicht statt. Und so etwas wie einen eingeschränkten Schulbetrieb für geflüchtete Kinder sieht die aktuelle Corona-Verordnung nicht vor. "Wir fühlen, dass unsere Zeit verschwendet wird. Wir wollen Deutsch lernen oder arbeiten oder irgendwas für uns machen – oder für Deutschland. Seit der Corona-Pandemie gibt es auch keinen Deutschkurs."
Warten oder abgeschoben werden. Letzteres passiert zwar seltener als vor der Pandemie. Aber auch in den vergangenen drei Monaten wurden neun Bewohner der ZASt in ihre Herkunftsländer abgeschoben.

Dezentralisierung als Folge von Corona

Afghanen haben eine schlechtere Bleibeperspektive als Syrer, die auch noch schneller auf die Landkreise verteilt werden. Auch das hängt mit Corona zusammen. Denn die Kapazitätsgrenze der ZASt für 500 Personen ist schnell erreicht.
Und da wird es politisch interessant: Denn in der Pandemie hat sich die Zahl der Außenstellen der ZASt vervierfacht. Kleinere Unterkünfte für vulnerable Gruppen wurden landesweit eingerichtet. Zum Beispiel für Ältere und Vorerkrankte. De facto findet derzeit pandemiebedingt eine Dezentralisierung statt.
Ein Erfolgskonzept, sagt der neue ZASt-Leiter Philipp Eysel. "Erstens, weil es uns die Möglichkeit gibt, schnell zu reagieren auf einzelne Corona-Fälle. Andererseits vulnerable Personen zu schützen. Und gleichzeitig – mal salopp formuliert – hier den Druck aus dem Kessel in der Hauptstelle nehmen."

Unterbringung politisch umstritten

Dezentralere Unterbringung als Mittel der Wahl in der Pandemie: Immerhin das habe die schwarz-rot-grüne Landesregierung in den vergangenen Monaten gelernt, konstatiert Henriette Quade:
"Wir sehen, die Landesregierung hat aus faktischen Notwendigkeiten etwas gelernt, ist aber nicht bereit, das konzeptionell endlich auch anzunehmen und zu sagen, lasst uns überlegen, wie wir eine dezentrale und humanere Unterbringung organisieren", sagt die innenpolitische Sprecherin der Linken im Magdeburger Landtag. "Das ist bedauerlich und das ist natürlich eine politische Entscheidung."
Michael Richter (CDU) spricht im Plenarsaal zu den Abgeordneten. Er hat weiße Haare, trägt Brille, Krawatter, helles Hemd und dunkles Jackett.
Michael Richter (CDU) bei einer Landtagssitzung. Der Minister will Flüchtlinge mittelfristig an zwei Orten in Sachsen-Anhalt unterbringen.© Bildnachweis picture alliance / dpa /dpa-Zentralbild / Klaus-Dietmar
Die Entscheidung trifft in Sachsen-Anhalt das CDU-geführte Innenministerium mit Michael Richter an der Spitze. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt hält von einer dezentralen Unterbringung von Geflüchteten jedoch wenig:
"Das ist nicht nur politisch nicht gewollt, es kostet auch Geld. Sie müssen verschiedene Standorte haben. Sie müssen diese Standorte unterschiedlich bestücken. Sie haben einen weitaus größeren Personaleinsatz, sei es durch eigene Landeskräfte oder sie müssen sich das einkaufen. Wenn sie nur noch zwei Standorte haben, ist das wirtschaftlicher zu betreiben."

Regierung plant mit zwei Unterkünften

Und so sieht Innenminister Richter dann auch die zukünftige Unterbringung für Geflüchtete: Die kleinen Asylbewerber-Unterkünfte sollen weichen für zwei große Einrichtungen. Denn in knapp zwei Jahren soll neben der ZASt in Halberstadt eine zweite zentrale in Stendal entstehen. Auch dort in einer ehemaligen Kaserne, mitfinanziert vom Bund. Aber auch auf Sachsen-Anhalt kommen zunächst 30 Millionen Euro Baukosten zu, und sechs Millionen obendrauf, weil im Gebäude während eines Baustopps Schimmel entdeckt wurde.
Eine Rückkehr zur zentralisierten Unterbringung von Geflüchteten sei auch teuer und obendrein inhuman, kritisiert Linken-Politikerin Quade. "Das läuft ja immer unter der absurden Behauptung, dass die Leute hier relativ schnell zu Wohnungen kommen würden und die Chance hätten, sich hier ein Leben aufzubauen. Dann wären das sogenannte Pull-Faktoren, und das würde zu mehr Zuwanderung führen. Und genau das ist die ideologische Kampflinie, die die CDU führt. Und die auch das Innenministerium führt."
Noch sind das aber Pläne der CDU für die Zeit nach der Pandemie.

Hoffen auf das Ende des ewigen Wartens

Zurück zu Ahmed Alabd aus Syrien. Er hofft darauf, dass er und mit ihm seine Familie demnächst einen offiziellen Flüchtlingsstatus bekommt. "Mein Plan ist, hier zu studieren. Ich will hier mit meinen Kindern leben. Darauf habe ich in Syrien immer gehofft. Acht Jahre meines Lebens habe ich so verbracht. Na klar, will ich hierbleiben."
Acht Jahre syrischer Bürgerkrieg, drei Jahre griechisches Flüchtlingscamp: Ahmed Alabd möchte endlich den Wartezustand beenden. Die ZASt in Halberstadt, hofft er, soll nur eine kurze Zwischenstation sein, dann möchte Ahmed Alabd endlich durchstarten. Er will Pharmazie studieren, sich ein Leben für sich und seine Kinder in Sachsen-Anhalt aufbauen.
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