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Piper-Verlagschefin von Lovenberg
"Es ist ein bisschen wie im Kasino"

Von der Literaturkritikerin zur Piper-Chefin: Felicitas von Lovenberg hat die Seiten gewechselt und ist froh über ihren neuen Job. Besonders reize sie daran, Bücher auf den Markt zu bringen, deren Erfolg erst vom Publikum bestimmt würde. Als Verlegerin müsse man Risiken eingehen, so von Lovenberg.

Von Holger Heimann | 17.01.2017
    Felicitas von Lovenberg ist Chefin des Piper-Verlages.
    Felicitas von Lovenberg war früher Literaturchefin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". (dpa / picture-alliance / Arne Dedert)
    Der Piper Verlag zählt zu den großen traditionsreichen Verlagshäusern des Landes. Aber mit der Tradition hat man es in München längere Zeit nicht mehr so ernst genommen. Dass Piper der Verlag von Ingeborg Bachmann und Hannah Arendt ist, geriet immer mehr zur Nebensache. Denn Unterhaltungstitel versprachen raschere Verkaufserfolge.
    Verloren ging dabei mehr und mehr die Strahlkraft des Verlags als Adresse für Anspruchsvolles. Ein klares Profil ließ sich überdies immer weniger erkennen. Die neue Verlegerin Felicitas von Lovenberg will den Verlag trotzdem nicht von Grund auf umkrempeln.
    "Piper war immer Ingeborg Bachmann und Frederick Forsyth, Hans Küng und Hape Kerkeling. Das hat Reinhard Piper genau so gewollt. Das war ein gelernter Buchhändler, den wahnsinnig gestört hat, dass das Lesen Anfang des 20. Jahrhunderts etwas sein sollte nur für die gebildeten Stände. Das heißt, das Haus ist von seinen Ursprüngen, davon wie es gedacht war, überhaupt nicht weit entfernt.
    Ich glaube, dass man das viel deutlicher machen kann und auch muss. Ich sehe mich überhaupt nicht in der Defensive, sondern ich habe im Gegenteil das Gefühl, in der glücklichen Situation zu sein, aus Überzeugung etwas anpreisen zu können, was tatsächlich sehr, sehr gut ist. Dieses Ganze: Ist das noch Literatur oder ist das schon Kommerz? Wenn Sie die Bücher lesen, werden Sie merken, dass ich recht habe."
    Überraschender Wechsel zum Verlag
    Felicitas von Lovenberg arbeitete fast zwei Jahrzehnte als Redakteurin bei der "Frankfurter Allgemeinen", zuletzt war sie Literaturchefin – und damit eine der einflussreichsten Kritikerinnen im Land. Nach dem Tod von Frank Schirrmacher galt sie fast automatisch als aussichtsreiche Kandidatin für den frei gewordenen Posten als Mit-Herausgeberin des Blattes. Dass sie nicht als erste Frau in die Herrenriege der Herausgeber aufgenommen wurde, mag ihren Abschied von der Zeitung beschleunigt haben.
    Überraschend bleibt der Wechsel vom Schreibtisch der Kritikerin zu dem der Piper-Verlegerin dennoch. Denn gemeinhin sammeln Verleger zunächst als Lektoren und Programmleiter Erfahrung. Lovenbergs größerer Schritt erscheint demgegenüber so ungewöhnlich wie gewagt. Für sie selbst jedoch ist der Umzug von Frankfurt nach München eine logische, vielleicht sogar zwangsläufige Entscheidung, jedenfalls Ergebnis einer längeren Entwicklung.
    "Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass der Begriff der Literaturkritikerin auf mich nicht so zutrifft wie auf viele Kollegen der Zunft, weil ich in einem Verriss immer weniger Sinn gesehen habe. Wir leben in einer Welt, wo das Lesen von Literatur nicht mehr den gesellschaftlichen Stellenwert hat, den es einmal hatte.
    Ich habe auch immer öfter die Erfahrung gemacht, dass mir ein Buch vielleicht nicht so zusagt, aber jemand anderes sagt, das ist das Buch meines Lebens. Es treffen einen ja Bücher in unterschiedlichen Lebensabschnitten und Bücher, mit denen ich vor zehn Jahren nichts anfangen konnte, die finde ich jetzt großartig und umgekehrt.
    Diese Erfahrung, dass es ab einem gewissen Niveau von Handwerk und Sprache im Grunde genommen um Geschmacksurteile geht, die hat mich davon abgehalten, gerne Verrisse zu schreiben, und ich war auch nie gut darin. Ich glaube, dass ich immer besser darin war zu loben, und ich habe es auch immer lieber getan. Damit steht man aber immer ein bisschen als der Schwächling dar. Insofern gab es den Gedanken, von den Büchern nicht wegzugehen, aber wegzugehen von dem Ich-sagen schon länger und auch den Wunsch."
    Glücklich mit neuem Arbeitsplatz
    Die ehrgeizige Verlegerin gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn sie von ihrem neuen Arbeitsplatz erzählt. Womöglich hat das mit dem Zauber zu tun, der – wie Hermann Hesse meinte – in jedem neuen Anfang wohnt. Aber es ist wohl mehr als das. Anders als bei der Zeitung ist sie nun für den geschäftlichen Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens verantwortlich, das einen Umsatz von 50 Millionen Euro erwirtschaftet und rund 100 Mitarbeite beschäftigt. Das kann eine Bürde sein. Aber die Neu-Verlegerin ist gewiss nicht die einzige, die für sich den Reiz entdeckt hat, der darin liegen kann, mit der Publikation von Büchern immer wieder Wetten auf die Zukunft einzugehen.
    "Es ist ein bisschen wie im Kasino. Es hat manchmal was Beängstigendes, weil Bücher mit Werten belegt werden, von denen Sie keine Ahnung haben, ob das Publikum Ihnen da folgen wird. Das heißt, man geht auch Risiken ein. Das ist eine unglaublich spannende Mischung. Wenn ich meinem Mann das gelegentlich erzähle, dann sagt er: 'Na, das ist aber schon was anderes als früher.' Dann sage ich: 'Ja, das ist ein Job, in dem sich sehr viele spannende Dinge verquicken.'"
    Doch Felicitas Lovenberg hat bereits in ihren ersten Monaten auch die harten, weniger schönen Seiten des Verlagsgeschäfts kennengelernt. Der literarisch ambitionierte, aber unrentable Berlin Verlag, der seit 2012 zu Piper gehört, soll zwar literarisches Aushängeschild bleiben, aber mit reduziertem Programm und deutlich weniger Mitarbeitern. Es gibt angenehmere Dinge, als eine Vielzahl von Kündigungen zu überbringen. Lovenberg hat ihr Bedauern für die Betroffenen nicht versteckt, aber genauso deutlich gemacht, dass es zu der Entscheidung aus unternehmerischer Sicht keine Alternative gab.
    "Das ist eine Tragödie, das kann man nicht wegreden. Leider ließ sich auch nicht wegreden, dass der Berlin Verlag über viele, viele Jahre wirtschaftlich nicht erfolgreich war. Als ein Wirtschaftsunternehmen, das man nun mal ist, muss man sagen, wir können da nicht länger tatenlos zusehen. Wenn der Berlin Verlag das Glück gehabt hätte, mit einem seiner hervorragenden Bücher einen veritablen Bestseller zu landen, dann hätte es diese Entscheidung so nicht gegeben. Wenn der Erfolg sich nach vier Jahren nicht einstellt, hilft es nicht, dass der Verlust in einem Jahr mal 100.000 Euro geringer ist als im Vorjahr. Das wiegt es nicht auf."
    Große Aufgaben warten auf die neue Leiterin
    Die 42-Jährige steht auch ohne die Einschnitte in Berlin vor keinen kleinen Aufgaben. Sie muss die Programme der einzelnen Labels besser aufeinander abstimmten und die einzelnen Profile deutlicher machen. Sie wird versuchen, neue Stimmen zum Verlag zu holen und so den Abgang von Bestsellerautoren wie Ferdinand von Schirach und des Duos Volker Klüpfel und Michael Kobr zu kompensieren.
    Lovenberg wird sich schließlich am wirtschaftlichen Erfolg messen lassen müssen und zugleich daran, ob es gelingt, das Haus wieder zu einer der ersten literarischen Adressen zu machen. All dies ist durchaus schon anspruchsvoll und schwierig genug. Aber hinzu kommt, dass Piper – wie alle anderen Verlage auch – mit gewaltigen strukturellen Umwälzungen konfrontiert ist. Felicitas von Lovenberg weiß das, besorgt oder gar verzagt wirkt sie jedoch nicht.
    "Ich glaube, dass wir schon in wenigen Jahren erleben werden, dass immer mehr Bestseller aus dem E-Book-Bereich kommen werden. Es ist einfach eine Zeit des Umbruchs. Ich glaube, dass die Versuche der Verlage durch Spitzentitel, durch Marketing, durch sechs Seiten in der Vorschau, das eigene Programm zu hierarchisieren und damit dem Buchhändler zu sagen, das musst du verkaufen – ich glaube, dass das immer weniger funktioniert, und das sehen wir im Moment auch sehr stark.
    Meine Aufgabe ist es, zu versuchen, dem in irgendeiner Form zu begegnen. Ich glaube, es werden sich neue Formen der Hierarchisierung bilden. Ich weiß noch nicht, wo die herkommen. Alles was ich vor mir sehe, legt den Schluss nah, dass vieles, was früher funktioniert hat, so nicht mehr funktionieren kann. Also muss man neue Wege beschreiten oder zumindest versuchen. Es befinden sich ganz viele Dinge im Wandel, die auch das Buchgeschäft betreffen. Wenn ich auf alles Antworten hätte, dann wäre ich prophetisch begabt, bin ich aber leider nicht."
    Veränderungen in der Buchbranche
    Während ihrer Zeit bei der Zeitung hat sich Lovenberg, eine Haltung angeeignet, die ihr jetzt weiterhelfen könnte. Frank Schirrmacher sei jemand gewesen, der Dinge nicht schnell bewertet habe, sondern sie erst einmal verstehen wollte. Das hat sie ihm abgeschaut. Mit solch einer Neugier und Offenheit will auch Felicitas von Lovenberg den Veränderungen im Buchgeschäft begegnen. Doch die bucherfahrene Verlagsnovizin wird dennoch bald auch passende Antworten finden müssen. Und sie wird nicht zuletzt wohl auch ein wenig Glück brauchen.