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Piraten auf Schulungskurs

Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen: Die Piraten erobern ein Landesparlament nach dem anderen. Die Berliner Piraten, die als Erstes in den Senat einzogen, haben ihre Landeskollegen zum Erfahrungsaustausch eingeladen.

Von Jens Rosbach | 14.06.2012
    Raum 376 im Berliner Abgeordnetenhaus - ein holzverkleideter Saal mit einem grauen Teppich und einer teuren Mikrofonanlage. Dahinter sitzen 36 Politiker, die sorgfältig Tagesordnungspunkt für Tagesordnungspunkt abhaken. Bis auf die vielen Mate-Brauseflaschen deutet nichts darauf hin, dass hier eine Piratenkonferenz stattfindet. Doch was - und wie unverblümt - die Teilnehmer berichten, das ist durchaus ungewöhnlich für ein deutsches Parlament.

    "Ich bin jetzt vor über einem Monat gewählt worden."

    Erzählt Uli König, 30 Jahre alt und Landtags-Abgeordneter aus Schleswig-Holstein.

    "Ich saufe im Moment ab in Anfragen von Versicherungen, die irgendwas von mir wollen oder mich einladen. Das Interessante ist, dass diese Organisationen einen vorher nicht mit dem Arsch angeguckt haben. Das war zumindest mein Eindruck. Und plötzlich, naja, bin ich irgendwie der Pascha da."

    Moderator:

    "Ja, vielen Dank. Es wird jetzt engagierter und hitziger. Ich habe Grumpy Old Man - bitteschön!"

    "Ja, hi! Dank Dir! Punkt eins: Du sagst ja selber im Prinzip, Du wirst gerade mehr oder weniger überflutet mit Anfragen von irgendwelchen Firmen, Unternehmen. Du musst selber auch ganz schnell lernen, Dinge zu ignorieren und beiseitezuschieben, zumal sie nicht von eigentlichen Bürgern kommen, sondern nur Partikularinteressen sind. Und da kannst Du auch einfach mal drüber bügeln!"

    Grumpy Old Man - mit bürgerlichen Namen Marc Olejak - ist ein Pirat mit rotem Bart und schwarzem Hut. Der 42-jährige Nordrhein-Westfale mampft am Konferenztisch etwas Undefinierbares aus einer Tüte. Zusammen mit zwei Dutzend weiteren Parteifreunden ist er zum Fraktionsgipfel in die Hauptstadt gefahren, um vor allem von den Berliner Mandatsträgern zu lernen. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer, Martin Delius, gibt Tipps für die viel beschworene politische Transparenz. Nach seiner Erfahrung genügt es nicht, etwa stundenlange Ton-Mitschnitte von Fraktionssitzungen ins Internet zu stellen. Seine Empfehlung:

    "Ist ein Podcast, Montag früh, der die letzte Woche beleuchtet und halt durch persönliche Statements diese ganzen Informationen aufarbeitet und zusammenfasst."

    Fraktionskollege Pavel Mayer, ein 47-jähriger IT-Unternehmer, klärt - locker flockig - über das Zusammenspiel mit den anderen Parteien auf.

    "Dadurch, dass wir neu sind, sind wir auch in der Lage, ganz unbefangen dumme Fragen zu stellen, auch in Ausschüssen. Das nimmt man uns nicht übel. Und die anderen, also viele in den anderen Fraktionen, freuen sich darüber, wenn diese Fragen dann beantwortet werden. Weil sie nämlich auch nicht Bescheid wissen - aber diese dummen Fragen nicht stellen dürfen."

    Die Berliner Piraten sind erst im vergangenen September ins Parlament eingezogen. Aber da ihre Parteifreunde in den drei anderen Landtagen politisch noch grüner hinter den Ohren sind, können die Hauptstädter - wie Martin Delius - ihnen bereits Ratschläge geben.

    "Wir hatten auch grad am Anfang dieses Teddybär-Syndrom: Naja, die sind ja süß. Ab und zu erzählen sie mal Quatsch bei einer Rede und ansonsten ist es ja ganz witzig. Aber man merkt, okay, es gibt so eine Grenze, ne. Allzu sehr verniedlichen lassen wir uns nicht. Das Amateurhafte funktioniert eben nur ein Mal. Das könnt Ihr nicht lange spielen. Das bricht Euch das Genick."

    Alexander Morlang - 37 Jahre, randlose Brille und Pferdeschwanz - hat es im Berliner Abgeordnetenhaus zum Vorsitzenden des Ausschusses Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit geschafft. In diesem Gremium sei er mal von einem Grünen-Politiker getrollt - also provoziert - worden, berichtet er. Daraufhin habe er, als Ausschusschef, seinen "Messerkoffer zusammengepackt.

    "Sah ich mich dann mal gezwungen, Ordnungsrufe zu verteilen. Sowohl an den Kollegen von den Grünen als auch an den Kollegen von der CDU. Da konnte ich dann kommentieren, dass die Maßnahmen des Vorsitzenden nicht während der Debatte zur Debatte selbst stehen. Und da waren sie dann doch etwas irritiert, dass sie ihre eigene Geschäftsordnung wohl doch nicht so gut kennen."

    Auch beim Piratengipfel selbst werden die Messer gewetzt. Ob es um die parteiinterne Abstimmungssoftware Liquid Feedback geht oder um Datenschutzfragen - immer wieder wollen die einen die anderen nicht ausreden lassen. Oder die Kollegen verhöhnen.

    "Herr König, diese Polemik können Sie unterlassen! Auch das süffisante Grinsen hilft nicht!"

    Der Gastgeber, die Berliner Fraktion, hat in den vergangenen Monaten viele Schlagzeilen produziert. Es ging um Drohungen, Mobbing, Rücktritte und Krach mit der Bundespartei. Ausschusschef Morlang soll vor Kurzem sogar den ehemaligen Bundespressesprecher Christopher Lang gehauen haben - mit einem Wlan-Kabel.

    "Es ist totaler Blödsinn. Der Herr Lang schmeißt gerne mit Dreck um sich. Und auch in diesem Fall hat er sich wieder was ausgedacht. Und versucht andere Parteimitglieder auf Kosten der Partei zu diffamieren. Es ist absurd."

    Bei all den Eitelkeiten und Konkurrenzkämpfen - können die Berliner Piraten den Abgeordneten aus den anderen Bundesländern überhaupt etwas beibringen? Und wollen die Frischlinge, die sich gerade mit dem Einrichten von Büros und dem Einstellen von Mitarbeitern herumschlagen - wollen sie überhaupt von den zerstrittenen Hauptstädtern lernen?

    "Ja, wir können davon lernen, es nicht so zu machen!"

    Bilanziert Monika Pieper. Pieper, eine 48-jährige Pädagogin, ist kürzlich parlamentarische Geschäftsführerin der NRW-Piraten geworden. Zuvor hat sie jahrelang an einer Förderschule "Lernen" gearbeitet. Eine gute Grundlage für die Piratenpartei lästert sie.

    "Auch mit schwierigen Menschen (lacht) ist mir der Umgang sehr vertraut. Gerade mit schwierigen Menschen. Also, ich weiß nicht, ob das unter Umständen dazu geführt hat, dass man mir diesen Job angetragen hat (lacht). Wo ich aber sage, ja okay, da müssen wir so ein paar sonderpädagogische Fähigkeiten mal zusammensuchen, wenn es eng wird. Das wird sich schon alles geben."