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Piraten heuern an

Sie wollen nicht regieren. Weil sie es nicht können. Noch nicht. Die Piratenpartei will lernen und keine leeren Versprechungen machen.

Von Philip Banse | 06.10.2011
    "Zeile 15, die Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin steht den anderen Fraktionen für Gespräche zur Verfügung." "Genau 14 durch 19 ersetzen."

    Die Fraktion der Berliner Piratenfraktion bereitet eine wichtige Erklärung vor. Nachdem die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen gescheitert sind, wäre rechnerisch eine Regierung aus SPD, Linken und Piraten möglich. Deshalb: Sondersitzung der Piraten-Fraktion, Abgeordnetenhaus, Raum 109. Zehn der 15 Fraktionsmitglieder sind erschienen, sitzen im U, jeder hat ein Notebook vor sich auf dem Tisch. Die Sitzung ist öffentlich, wird – in schlechter Qualität – über das Internet übertragen.

    Der Abgeordnete Pavel Meyer sagt: Ziel war immer eine rot-grüne Regierung, an der die Piraten nicht beteiligt sind. Aber sie seien gewählt, könnten sich nicht vor der Verantwortung drücken und müssten daher mit anderen Fraktionen reden.

    Gerwald Claus-Brunner sagt, eine Regierungsbeteiligung wäre der zweite Schritt vor dem ersten. Die Fraktion müsse sich erst ordnen, Mitarbeiter einstellen, Politik lernen, ansonsten würde sie "auf die Schnauze" fliegen. Die Berliner Piraten wollen nicht regieren. Weil sie es nicht können, noch nicht, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Martin Delius:

    "Ich gehe nicht davon aus, dass diese Fraktion dazu in der Lage ist, eine Regierungsbeteiligung zu managen. Nicht, dass es uns nicht zusteht, es steht uns zu, wir sind gewählt worden. Ich sehe uns aber gerade in der Anfangsphase nicht in der Lage, dass wir das halten können, wenn wir versprechen, wir können regieren. Was wir tun, ist vor allem, keine leeren Versprechungen machen in der Politik. Damit sind wir angetreten. Deswegen sind wir da vorsichtig."

    Die Bundespressekonferenz, vor der blauen Wand mit Blick auf den Reichstag sitzen sonst Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Dieses Mal ist die versammelte Hauptstadtpresse gekommen, um sich die bundespolitischen Vorstellungen der Piraten anzuhören.

    "Netzpolitik wird häufig verstanden als eine Politik, die sich ausschließlich auf das Spielzeug Internet konzentriert."

    Sagt Sebastian Nerz, der Bundesvorsitzende der Piratenpartei:

    "Dabei verändert das Internet unsere Gesellschaft so grundlegend wie der Buchdruck und die Industrialisierung. Damit ist Netzpolitik zu einer Grundrechtspolitik geworden."

    Mehr Transparenz, freier Zugang zu Wissen, Reform des Urheberrechts – das erläuterte Piratenchef, Sebastian Nerz, sind Kernanliegen seiner Partei. Auf viele Fragen der Hauptstadt-Journalisten weiß er jedoch keine Antwort.

    "Wie man gesetzlich gegen Schneeballsysteme vor gehen kann, weiß glaube ich bisher keine Partei und auch wir können noch keine Lösung anbieten."

    Datenschutz im Internet? Griechenlandkrise? Stets ist der Tenor:

    "Wie man diese Krise löst, kann keine Partei beantworten, auch nicht die Piratenpartei. Wir aber stehen dazu."

    Solche Antworten seien ehrlich, sagt Nerz. Die Politikneulinge wissen vieles noch nicht und können noch nicht regieren. Und so erwächst ihre größte Kraft derzeit aus der Art, wie sie Politik machen.

    "Wir wollen Inhalte, keine Köpfe. Denn uns ist eine gute Politik wichtiger als das Parteibuch."

    Sagt Felix Just, der Programmierer sitzt für die Piraten im Parlament des Berliner Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain. Dort konnten die Piraten einen Stadtrat vorschlagen und entschieden sich für eine Frau, die angesehen, kompetent und sehr erfahren ist – aber Mitglied der Grünen.

    "Ehrlich gesagt, als wir auf Anke Domscheit-Berg gekommen sind, war uns gar nicht bewusst, dass sie Mitglied der Grünen ist. Parteizugehörigkeit ist bei den Piraten nicht ganz so wichtig, wie bei anderen Parteien."

    Das soll auch helfen, mehr Menschen einzubinden, für Politik zu begeistern.

    "Im Moment spielt sich Politik irgendwo da oben ab, wenn wir ehrlich sind."

    Sagt Marina Weisband, die politische Geschäftsführerin:

    "Ich sehe es als unsere Aufgabe, den Bürger wieder in die Entscheidungsprozesse zu involvieren und aktiv zu beteiligen."

    Wie das gehen kann, testen die Piraten seit Langem selbst.

    Bei der Fraktionssitzung schauen die Landtagsabgeordneten immer wieder bei Liquid Feedback nach, ihrem Diskussions- und Abstimmungsportal im Internet. Jedes Parteimitglied kann Vorschläge machen, diskutieren und über sie abstimmen. Auch zur Koalitionsfrage haben die Piraten in Liquid Feedback eine Meinung gebildet: Den gewählten Kandidaten soll freie Hand gelassen werden. Am Ende beschließt die Fraktion: Wir wollen mit den anderen Parteien Sondierungsgespräche aufnehmen – auch wenn wir eigentlich lieber erstmal nicht regieren wollen.

    Mehr zum Thema:
    Interview mit dem Bundesvorsitzender der Piratenpartei über das Ergebnis der Wahl in Berlin