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PISA, IGLU und Co.
Warum der Nutzen von Bildungsforschung umstritten ist

PISA, IQB und TIMSS: Bildungsstudien gewähren Einblicke in den Bildungsstand und die Lernkompetenzen von Schülerinnen und Schülern. Ihr Nutzen ist jedoch umstritten. Während sich die einen von PISA und Co. unter Druck gesetzt fühlen, sagen andere: Bildungstudien sind ein Geschenk.

Von Jenny Witt | 25.08.2018
    Grundschüler und eine Lehrerin während einer Unterrichtsstunde in einem Klassenzimmer
    Oft fehlen die zeitlichen und personellen Ressourcen, um die Ergebnisse von Bildungsstudien in Bezug auf den eigenen Unterricht auszuwerten (imago / Photothek)
    Petra Stanat: "Hier ist es doch immer noch eine besondere Herausforderung im Bereich Hörverstehen im Fach Englisch, die Regelstandards und auch die Mindeststandards zu sichern."
    Heino von Meyer: "Die Unterschiede in den Schulleistungen sind in Deutschland stärker als in anderen Ländern durch den sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses und der Schulen geprägt."
    Susanne Eisenmann: "Insgesamt sind die Ergebnisse für Deutschland nicht wirklich positiv zu bewerten!"
    Immer wieder verteilen Bildungsforscher gemischte Noten an das deutsche Schulsystem. Dennoch hält Lehrerbildnerin Christiane von Schachtmeyer solche Studien für kostbares Gut.
    "Wir haben ja mittlerweile so viel Daten! Gerade Hamburg hat ja so viel Daten, die sind ein Schatz – aber er ist wirklich schwer zu heben. Wir haben lange gebraucht, Bildungsstudien zu verstehen, lesen zu können und einordnen zu können.
    Und es war zum Beispiel bei PISA so, ich weiß noch, die Aufregung war groß: Lesekompetenzförderung, keiner kann lesen und was plötzlich alles rauskam ..."
    Wichtig ist eine ausreichende Datenlage
    Am Hamburger Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung ist sie verantwortlich für die Ausbildung von Schulleitern. Auch in ihrer eigenen ehemaligen Schule herrschte Ratlosigkeit nach der ersten PISA-Studie. Aber je mehr Studien erschienen, desto nützlicher wurden die Statistiken.
    "Je mehr Daten wir hatten, umso leichter fiel es uns. Also nach ein, zwei, drei PISA-Studien ging das ganz gut und dann haben wir schon Leseförderprogramme aufgesetzt.
    Dann haben wir Sprachförderkoordinatoren oder –beauftragte ausgebildet. Da war das konkret zu sehen und ist mittlerweile etabliert."
    "Der Moment als die für uns eine Nützlichkeit hatten war, als wir als Schule nicht nur beforscht wurden, sondern gemeinsam Evidenz über diese Daten hergestellt haben."
    Besseres Lernen durch Bildungsforschung
    Andrea Albers, eine Deutsch- und Biologielehrerin an der Ida-Ehre-Stadtteilschule. Sie ist überzeugt, dass Studienergebnisse besprochen und bewertet werden müssen, bevor sie Änderungen bewirken können. Deswegen sucht sich die Schule tatkräftige Unterstützung vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung.
    "Da haben sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom IfBQ Zeit genommen, sind hierher gekommen und wir haben gemeinsam diese Daten interpretiert und es gab dadurch ein gemeinsames Verständnis, was wir entwickelt haben. Und daraus sind Handlungen entstanden."
    "Was ich auch sehr wichtig finde ist, dass wir durch derartige Untersuchungen festgestellt haben, dass wir eine hohe Anzahl an SchülerInnen haben, die im Bereich Naturwissenschaften sehr hohe Kompetenzen haben."
    Michael Ahrens ist der didaktische Leiter.
    "Das hat letztlich dazu geführt, dass wir ein besonderes Angebot für diese Schüler und Schülerinnen implementiert haben."
    PISA kann demotivieren, kann aber auch Dialog fördern
    Vor allem aus der Hamburger Kompetenzstudie Kermit lässt sich viel ableiten, sagt Ahrens – weil sie sogar Rückmeldungen zu einzelnen Klassen und Schülern gibt.
    "Je schulspezifischer Ergebnisse sind, umso motivierender ist es tatsächlich, daran zu arbeiten. Eine beispielsweise PISA-Studie hat definitiv unter Umständen einen demotivierenden Charakter, weil man es so deuten könnte, dass man sagt ‚ok, das Ergebnis Hamburgs ist schlecht, meine Arbeit ist schlecht.‘"
    Aber dafür hat PISA andere Auswirkungen, meint Andrea Albers – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule:
    "Also, dass Bildungsthemen dadurch immer wieder auf den Tisch kommen und Eltern von meinen Schülern und Schülerinnen gelesen haben: ‚Was kam denn wieder bei PISA raus, wie hat man abgeschnitten?‘. Dadurch ist das bei denen in den Köpfen und dadurch kommen wir in den Dialog."
    Mehr Austausch mit den Autoren der Studien gefordert
    Schulleiter Kevin Amberg möchte die Befragungen selbst verbessern. Er wünscht sich einen Austausch mit den Autoren der Tests:
    "Wer konstruiert eigentlich die Items? Das ist mir gerade bei Kermit ganz häufig aufgefallen, dass da nicht so abgefragt worden ist, wie es meinem Ermessen nach hätte sein sollen, damit man bestimmte Dinge herausfindet. Da wäre es natürlich umso interessanter, einmal mit den Konstrukteuren der Items ins Gespräch zu gehen."
    "Die allgemeinen Studien nehme ich so wahr als Teil einer gesellschaftlichen Diskussion. Interessant, darüber kann man dann philosophieren und diskutieren."
    Am nahegelegenen Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium ist Sven Jeglitza Abteilungsleiter für die siebten und achten Klassen.
    "Für die Unterrichtspraxis und für die Arbeit an der konkreten Schule sind die Studien relevant, die uns ganz konkrete Ergebnisse über Lerngruppen beziehungsweise über einzelne Schüler liefern."
    Es fehlt an Ressourcen, um sich mit Studien-Ergebnissen auseinanderzusetzen
    Zudem mangelt es oft an Zeit und Ressourcen, um sich mit den Daten auseinanderzusetzen, sagt Schulleiter Thomas Frey.
    "Wie immer wünscht man sich mehr Ressource, also letztlich mehr Zeiten, um mehr Strategien zu entwickeln, pädagogisch-didaktische Strategien zu entwickeln, um einzelne Kinder besser zu fördern. "
    Diesen schulinternen Dialog hält Lehrerbildnerin von Schachtmeyer für enorm wichtig.
    "Es hat mir geholfen, mich sehr lange mit meinen Lehrkräften zu unterhalten, wobei das nicht so einfach ist, weil natürlich die Lehrkräfte erst in einer starken Verteidigungshaltung sind. Und da muss man eben auch sagen: ‚Das ist keine persönliche Niederlage – sondern wir sagen jetzt ‚hier ist ein Spiegel und das ist ein Geschenk für uns'."