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PISA-Studie
Deutsche Schüler haben immer weniger Lust auf Mathe

Laut einer neuen PISA-Studie lernen deutsche Schüler immer weniger Mathe, obwohl es mehr Unterricht in diesem Fach gibt. Besonders betroffen sind sozial schwache Jugendliche. Noch dazu verlieren die Schüler den Spaß an der Mathematik. Ist der Unterricht zu schlecht oder zu schwer?

Von Christiane Habermalz | 23.06.2016
    Ein Junge sitzt in einem Klassenraum und arbeitet mit einem Tablet.
    Guter Matheunterricht soll auch ein konzeptuelles Verständnis von Mathematik vermitteln, fordert OECD-Direktor Andreas Schleicher (imago stock&people/ZUMA press)
    Die jüngste PISA-Studie stellt dem deutschen Mathematikunterricht ein schlechtes Zeugnis aus. Obwohl die Schüler immer mehr Zeit im Mathematikunterricht verbringen – im OECD-Schnitt 13 Minuten [pro Woche] mehr als noch 2003 – gab weit über die Hälfte - 57 Prozent - der sozial benachteiligten Jugendlichen an, noch nie von einer quadratischen Funktion gehört zu haben. Bei den Kindern aus bessergestellten Familien war es nur ein Drittel. Deutschland bestätigt diesen Trend. Und noch etwas anderes fällt auf: Null Bock auf Mathe wird immer häufiger. Vier Prozent weniger deutsche Schüler als noch zehn Jahre zuvor gaben an, Spaß an Mathe zu haben. Zum Vergleich: In Tunesien ist der Spaß an Mathe um neun Prozent gestiegen. Woran liegt das? Ist der Unterricht so schlecht, zu wenig inspirierend? Zu schwer?
    "Sehr schädlich ist es jedenfalls, wenn Eltern ihren Kindern sagen: Mathe konnte ich auch nicht!"
    Das sagt die frühere Mathematiklehrerin Stephanie Schiemann. Sie arbeitet im Netzwerkbüro Schule-Hochschule der deutschen Mathematikervereinigung. Schiemann hat besonders die Rolle der Eltern im Blick:
    "Das ist jedenfalls kein gutes Vorbild, man sollte Kindern dann mehr Mut machen. Sonst kriegen sie Angst vor dem Fach. Es ist allgemein eben ein Fach, das stark aussiebt. Das Fach mit den häufigsten Fünfen, der häufigste Grund zum Sitzenbleiben ist Mathematik."
    Manche Bundesländer scheinen das Problem auf ihre Art zu lösen, indem sie schlicht die Anforderungen senken. So wie jüngst Berlin, das die Aufgaben für den Mittleren Schulabschluss MSA in diesem Jahr so leicht machte, dass sich viele Schüler verwundert die Augen rieben.
    Art des Unterrichts benachteiligt sozial Schwache
    Laut OECD ist die Art des Unterrichts dafür verantwortlich, dass Kinder aus sozial schwachen Familien besonders häufig schlecht in Mathe seien. Gerade in Deutschland würde in Haupt- und Realschulen zu viel mit simplen Routineaufgaben und angewandten Textaufgaben gearbeitet. Andreas Schleicher, OECD-Direktor des Direktorats Bildung, fasst das Problem zusammen:
    "Deutschland ist dafür ein gutes Beispiel, dass Schüler aus sozial ungünstigem Umfeld tendenziell so unterrichtet werden, wie es ihnen letztendlich im Leben weniger bringt. Da wird also mehr in einfachen mathematischen Kontexten und Textaufgaben gearbeitet, in angewandten Zusammenhängen. Und insofern werden Schüler aus ungünstigen sozialem Umfeld doppelt benachteiligt. Zum einen haben sie das Gepäck des sozialen Umfelds, zum anderen leiden sie unter ungünstigem mathematischen Unterricht."
    Guter Matheunterricht müsse aber eben auch ein konzeptuelles Verständnis von Mathematik vermitteln. Die Schüler müssten lernen, zu denken wie ein Mathematiker, sich frei in den Strukturen zu bewegen, fordert Schleicher. Darauf würde an Haupt- und Realschulen zu schnell verzichtet. Machen es die Schulen in Deutschland ihren Schülern zu leicht?
    Mathematik soll Schüler inspirieren
    Der Mathematik-Professor Günther Ziegler schrieb heute im "Berliner Tagesspiegel" ein flammendes Plädoyer für einen inspirierenderen Mathematikunterricht. Mathe müsse den Schülern auch als Kulturleistung nahe gebracht werden, als eine Wissenschaft voller großer Rätsel, schwieriger Probleme, großer Entdeckungen und wunderbarer Strukturen. Natürlich auch als Teil des Alltags, der in Wetterberichten, in Bahnfahrplänen, im Chipdesign steckt. Aber auch als Wissenschaft der Logik und des Argumentierens, von Beweis und Widerspruch. Dafür aber braucht es vor allem gute Lehrer. Die aber fehlen. Es würde schon helfen, wenn weniger Unterricht ausfallen würde, denn guter Unterricht brauche Zeit, sagt Stephanie Schiemann. Und:
    "Wir bräuchten auch einfach neuen Nachwuchs, also junge Leute, die Lust haben auf den Lehrerberuf. Da könnte man Kampagnen machen, um vor allem auch bessere Abiturienten dazu zu kriegen. Es ist ja jetzt leider so, dass eher die schwächeren Abiturienten Lehrer werden, was auch nicht so eine tolle Entwicklung ist."
    Und was den Spaßfaktor von Mathe angeht, da ist noch viel Luft nach oben, ist sich Schiemann sicher. Angewandte Mathematik sei dann gut, wenn sie mit der Lebenswelt der Schüler zu tun habe. Also keine Textaufgaben mit Bauern und Kartoffeln, sondern mit Facebook und Shoppen? Dass das geht, haben Schiemann und ihr Kollege Robert Wöstenfeld bewiesen: Seit 2008 veranstalten sie den Schülerwettbewerb "Mathe im Advent", 24 Aufgaben an 24 Tagen. Die Aufgaben dazu haben sie selbst entwickelt. 100.000 Schülerinnen und Schüler machen jedes Jahr mit – freiwillig.