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PKW-Maut
Keine "kleine, verhuddelte Lösung"

Die Maut könne nur auf Autobahnen oder Bundesstraßen erhoben werden und nicht für Landes- und kommunale Straßen, sagte Oliver Wittke, CDU, Mitglied des Verkehrsausschusses des Bundestages im DLF. Dies sei im Koalitionsvertrag so festgelegt. Er warnt davor, die große Lösung zur Finanzierung der Infrastruktur zu "verhuddeln" - es drohe dann der Verkehrskollaps.

Oliver Wittke im Gespräch mit Christoph Heinemann | 05.09.2014
    Ein Hinweisschild für die Mautpflicht vor blauem Himmel.
    Weiter Diskussion über die Pkw-Maut (Jens Büttner, dpa)
    Er dürfe nicht durch eine kleine Lösung die Investition in die Infrastruktur verhindert werden, sagte Wittke. Man müsse Verkehrsminister Dobrindt aber auch etwas Zeit geben, eine Lösung zu entwickeln. Alles, was helfe, mehr Geld in die Infrastruktur zu bringen, sei gut, kommentiert er die Vorschläge von Wolfgang Schäuble. Auch das Modell der Public-Private-Partnership sei hierfür eine Idee, also die Zusammenarbeit von privaten und öffentlichen Investoren, sofern sie Regeln folge.
    Wenn nicht mehr investiert würde, würden wir einen Verkehrskollaps erleben, sagte er mehrfach. Schon heute gäbe es massive Probleme.
    Über Oliver Wittke
    Geboren 1966 in Marl, Nordrhein-Westfalen. Der CDU-Politiker studierte Geografie und Wirtschaftswissenschaften in Bochum. Wittke trat 1982 der CDU bei. Unter anderem war er Oberbürgermeister von Gelsenkirchen und Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag. Von 2005 bis 2009 war er Landesverkehrsminister in NRW. Seit 2013 ist Wittke Abgeordneter im Bundestag. Dort ist er im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie im Unterausschuss Kommunalpolitik tätig.

    Das Interview in voller Länge:

    Christoph Heinemann: Leidenschaft klingt anders:
    Angela Merkel: "Die Maut wird kommen, um das zu sagen. Über die Details reden wir natürlich noch. Aber um das ganz klar zu sagen: Sie steht im Koalitionsvertrag und sie wird kommen."##
    Heinemann: Maut ja, aber Maut wofür, für wen und zu welchem Preis?
    Ein Eintrittsgeld für Deutschland plant die CSU. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat gestern noch einmal klarstellen lassen: Autofahrer sollen auf allen Straßen zur Kasse gebeten werden. Vorher war berichtet worden, die Abgabe würde nur für die Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen fällig, Landes- und Kommunalstraßen würden ausgenommen.
    Aber es kann sein, dass das Nein heute schon nicht mehr gilt, denn der CSU-Minister trifft heute den CDU-Finanzminister. Offiziell werden die beiden über die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur-Projekten reden, aber wohl auch über die Maut, da Wolfgang Schäuble darüber nachdenkt, private Investoren stärker als bisher vorgesehen an der Finanzierung der Autobahnen zu beteiligen. Eine entsprechende Anfrage hatte der Minister jüngst mit einer herausgestreckten Zunge beantwortet.
    Am Telefon ist jetzt Oliver Wittke, ehemaliger Verkehrsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, heute CDU-Abgeordneter und Mitglied des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Morgen.
    Oliver Wittke: Guten Morgen, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Wittke, schauen wir mal. Blicken Sie noch durch?
    Wittke: Es ist eigentlich klar, was wir wollen. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Da haben wir nämlich geschrieben, dass wir zum Erhalt und zum Ausbau unseres Autobahnnetzes eine Maut erheben wollen.
    Heinemann: Aha! Und wo?
    Wittke: Das haben wir nicht festgelegt. Aber wenn es zur Finanzierung des Autobahnnetzes sein soll und vorher auch nie über Landes- und Kommunalstraßen gesprochen wurde und wir nicht uns Gedanken darüber machen, wie wir den Ländern Geld zur Verfügung stellen zur Erhaltung des Landesstraßennetzes und den Kommunen zur Erhaltung ihres Netzes, dann ist es klar: Dann kann die Maut nur auf Bundesautobahnen oder Bundesfernstraßen erhoben werden.
    "Wir wollen keine Rachemaut"
    Heinemann: Dann hat Herr Dobrindt den Koalitionsvertrag noch nicht gelesen?
    Wittke: Da gibt es sicherlich Interpretationsspielräume. Aber für uns in Nordrhein-Westfalen ist klar: Wir wollen keine Eintrittsgebühr nach Deutschland. Wir wollen vor allem keine Rachemaut gegenüber Österreich oder eine Rachemaut gegenüber der Schweiz, sondern wir wollen uns als gute Europäer Gedanken darüber machen, wie wir die Verkehrsinfrastruktur in Ordnung bringen. Darum geht es am Ende des Tages.
    Heinemann: Noch mal genau zur Zielsetzung. Was ist das, die Kostenbeteiligung für die Instandhaltung, Steuerung des Verkehrs, oder umweltpolitische Maut einfach für jeden gefahrenen Kilometer?
    Wittke: Nein, es ist völlig klar. Wir haben gesagt, wir brauchen einen Kostenbeitrag auch derjenigen, die aus dem Ausland unsere Straßen benutzen, damit wir unsere Autobahnen in Ordnung halten können und da, wo es notwendig ist, auch noch einen gemäßigten Ausbau machen können. Denn die Frage ist ja nicht, ob wir hier in der Umweltpolitik steuern. Es geht nicht darum, eine, ich sage es noch einmal, Rachemaut einzuführen, sondern es geht allein darum, finanzielle Mittel zu generieren, um die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur tätigen zu können.
    Heinemann: Und das per Vignette und nicht per gefahrenem Kilometer?
    Wittke: Wir haben die Vignette in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Man kann sich auch andere Lösungen vorstellen.
    Eines darf jetzt allerdings nicht passieren: Wir dürfen nicht durch eine kleine verhuddelte Lösung in einem Randbereich der Infrastrukturfinanzierung eine Lösung unmöglich machen, die notwendig ist, um unsere Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Wir sind uns alle einig, dass wir mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur benötigen. Dazu ist die Maut sicherlich ein Vehikel. Und wir dürfen das jetzt nicht verhuddeln.
    Ich fühle mich so ein ganz klein wenig erinnert an die Debatte, die wir vor vier Jahren über die Mehrwertsteuerreform geführt haben. Auch da hätten wir eigentlich einen großen Wurf machen müssen. Der große Wurf ist aber nicht gekommen; stattdessen haben wir nur die Hotelsteuer gehabt. Das ist fatal, das darf uns nicht ein zweites Mal bei der PKW-Maut passieren.
    Heinemann: Wieso bekommt Herr Dobrindt eine unverhuddelte Maut nicht zustande?
    Wittke: Herr Dobrindt ist ja nun ganz am Anfang der Diskussion. Nun muss man ihm auch mal ein wenig Zeit lassen. Er hat erste Eckpunkte vorgelegt. Es gibt noch gar keinen Gesetzentwurf. Von daher kann man noch gar nicht sagen, in welche Richtung es am Ende gehen wird. Wir warten jetzt in aller Ruhe einen Gesetzentwurf ab. Ich gehe davon aus, dass wir den auch partnerschaftlich erarbeiten werden. Und noch einmal: Unser Hauptziel ist es, mehr Geld in die Infrastruktur zu stecken.
    "Es geht hier nicht darum, das Straßennetz zu privatisieren"
    Heinemann: Die partnerschaftliche Zusammenarbeit sieht so aus, dass der Bundesfinanzminister ganz andere Pläne hat, nämlich er möchte die Zuständigkeit für Bundesautobahnen und sonstige Fernverkehrsstraßen von den Ländern auf den Bund übertragen, im Auftrag dann des Bundes. Die Bundesregierung wäre dann in der Lage, private Investoren hinzuzuziehen und diese im großen Stil an der Instandhaltung – das war ja die Zielsetzung – zu beteiligen. Wäre das eine vernünftige Lösung?
    Wittke: Alles was hilft, um mehr Geld in die Verkehrsinfrastruktur zu investieren, ist eine vernünftige Lösung. Wir haben ja heute schon die Beteiligung von Privaten am Fernstraßenbau. Beispielsweise wird der Albaufstieg in Baden-Württemberg auf der – ich glaube, es ist die A7, wenn ich mich nicht irre – schon von Privaten finanziert.
    Das heißt, es gibt heute schon PPP-Modelle. Man muss nur darauf achten, dass diese PPP-Modelle nicht zum Selbstzweck erhoben werden, sondern sie dürfen nur da angewandt werden, wo die Alternative lautet, wir bauen entweder erst in 10 oder 15 Jahren, weil die öffentliche Hand kein Geld hat, oder wir bauen jetzt mit privater Unterstützung. Es geht hier nicht darum, das Straßennetz zu privatisieren, sondern es geht darum, Geld möglichst schnell zu mobilisieren.
    Denn eines ist völlig klar: Wir fahren auf der Zahnfelge, wir fahren wirklich auf der Substanz, und wenn wir nicht mehr investieren, dann werden wir einen Verkehrskollaps in den nächsten Jahren erleben.
    Heinemann: Herr Wittke, ist Herrn Schäubles Maut besser als Dobrindts Maut?
    Wittke: Auch Herr Schäuble hat noch keine Vorschläge unterbreitet, sowie Alexander Dobrindt auch noch keinen konkreten Entwurf vorgelegt hat. Das heißt, wir werden noch viel, viel diskutieren, und wir stehen am Anfang dieses Prozesses. Eine Bewertung kann man also jetzt noch gar nicht vornehmen.
    Wittke: Keine Huddelei bei der Pkw-Maut
    Heinemann: Aber Sie kennen ja die Eckpunkte.
    Wittke: Ja. Ich kann nur nicht sagen, was beispielsweise bei Wolfgang Schäuble mit dem Koalitionsvertrag zu vereinbaren ist und was nicht. Wolfgang Schäuble, wenn ich das richtig gelesen habe, sagt ja auch, das was er angedacht hat, noch nicht mal vorgeschlagen hat, angedacht hat, das ist was für die nächste Legislaturperiode. Damit, vermute ich, wird es mit dem derzeitigen Koalitionsvertrag nicht in Übereinklang zu bringen sein.
    Ich plädiere nur dafür, dass wir uns mit einer kleinen Lösung, mit einer Huddelei jetzt zu diesem Zeitpunkt eine große vernünftige Lösung in der Zukunft nicht verbauen sollten.
    Heinemann: Und mit der Huddelei haben es auch mehrere von SPD und Grünen geführte Bundesländer nicht s, nämlich Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Die wollen die Pläne von Herrn Dobrindt im Bundesrat zu Fall bringen und sie plädieren stattdessen für eine Ausweitung der Lkw-Maut. Ist ja auch nicht ganz unvernünftig, wenn man weiß, dass die meisten Schäden an den Straßen von Lkw verursacht werden. Freuen Sie sich darüber, dass es in der Debatte wenigstens noch ein paar vernünftige Meinungsäußerungen gibt?
    Wittke: Es gibt ja auch mehr vernünftige Meinungsäußerungen als die von rot-grünen Landesregierungen. Aber es ist klar: Die Lkw müssen ihren Beitrag leisten. Das haben sie bisher auch schon getan. Nur was deren Beitrag anbelangt, da sind wir durchaus begrenzt. Es gibt ein Wege-Kosten-Gutachten, das klar nachweist, welchen Substanzverzehr die Lkw an den Autobahnen verursachen. In dem Umfang können die Lkw auch zur Finanzierung der Fernstraßenunterhaltung herangezogen werden. Auch da darf es keine Strafsteuer geben.
    Ich habe jetzt so ein ganz klein wenig den Eindruck, als versuchten hier auch andere, wieder unterschiedliche Dinge miteinander zu vermengen, so nach dem Motto, jetzt benutzen wir die Maut mal als Vehikel, Umweltpolitik zu machen, Verkehrsträgerpolitik zu machen. Das wird nicht funktionieren, sondern wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur. Wir müssen sagen, woher dieses Geld kommen soll, und jeder Verkehrsträger muss seinen Beitrag leisten, und zwar in dem Umfang, wie er zum Substanzverzehr unserer Infrastruktur beiträgt.
    Heinemann: Genau. Und da wären ja vor allen Dingen die Lkw betroffen. Wieso sollen die denn nicht einen größeren Anteil zahlen?
    Wittke: Weil wir da schon eine genaue Untersuchung haben, in welchem Umfang die Lkw Schäden verursachen, Substanzverzehr verursachen, und genau in dem Umfang werden die LKW zur Kasse gebeten. Das hat ja dazu geführt, dass wir jetzt leider Gottes, sage ich, die Lkw-Maut absenken müssen, weil wir bisher die Lkw in einem stärkeren Umfange an den Kosten beteiligt haben, als sie eigentlich Kosten verursacht haben.
    Das geht nach europäischem Recht nicht.
    Darum gibt es da jetzt eine Nachbesserung. Also auch da warne ich davor, jetzt willkürlich tätig zu werden, so nach dem Motto, wir haben im Gefühl, die Lkw machen da ganz viel kaputt und die müssen viel mehr bezahlen. Nein, sie müssen so viel zahlen, wie sie an Schäden, an Substanzverzehr verursachen, aber nicht mehr.
    "Erpressungsversuche sind nie zielführend in der Politik"
    Heinemann: Herr Wittke, die "FAZ" berichtet heute, CSU-Chef Seehofer drohe mit einer Blockade bei der Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, wenn es mit der Maut nicht weitergehe. Gerhard Schröder hat gerade darüber berichtet. Gehört Erpressung in der Koalition inzwischen zum guten Ton?
    Wittke: Nein. Um Gottes Willen! Natürlich nicht! Ich verstehe die CSU, dass sie sagt, unsere Herzensanliegen, die wir in dem Koalitionsvertrag niedergelegt haben, für die wir auch gekämpft haben, die wollen wir umgesetzt wissen, so wie andere Vorhaben von anderen Koalitionspartnern ja auch umgesetzt wurden oder umgesetzt werden in den nächsten Monaten. Das ist absolut legitim.
    Darum glaube ich auch, müssen wir jetzt gemeinsam darüber nachdenken, wie wir es schaffen, eine Pkw-Maut, so wie sie im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, auf den Weg zu bringen.
    Das jetzt alles miteinander zu vermengen und da Drohungen auszusprechen, ist sicherlich nicht der richtige Weg, denn dafür ist das Thema viel zu wichtig.
    Noch einmal: Wenn wir es nicht schaffen, mehr Geld in die Verkehrsinfrastruktur zu investieren, dann werden wir in den nächsten Jahren einen Verkehrskollaps erleben.
    Wir erleben das heute schon an Brückenbauwerken wie beispielsweise der Leverkusener Rheinbrücke, dass die Wirtschaft, dass aber auch Privatpersonen massiv beeinträchtigt werden, und darum müssen wir möglichst schnell Geld mobilisieren, um mehr investieren zu können.
    Heinemann: Also eine klare Absage an Herrn Seehofers Erpressungsversuch?
    Wittke: Erpressungsversuche sind nie zielführend in der Politik und sicherlich in diesem Fall ganz besonders nicht.
    Heinemann: Oliver Wittke, ehemaliger Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, CDU-Abgeordneter und Mitglied des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Wittke: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.