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Pkw-Maut
"Sehr komplexer Gesetzentwurf"

Der SPD-Politiker Sören Bartol bezweifelt, dass die geplante Pkw-Maut mit EU-Recht vereinbar ist. Wichtig sei darüber hinaus, dass die Maut genug Einnahmen bringe und die Bürger nicht zusätzlich belaste, sagte Bartol im DLF. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will heute sein Mautkonzept vorstellen.

Sörten Bartol im Gespräch mit Silvia Engels | 07.07.2014
    Ein Schild mit der Aufschrift "Maut" steht an einer Autobahn, im Hintergrund fahren Autos vorbei.
    Die Niederländer sprechen sich klar gegen die Pkw-Maut aus. (dpa/picture alliance/Bernd Wüstneck)
    Die Pkw-Maut sei nie das Lieblingsprojekt der SPD gewesen, betonte Bartol. Sie werde sich einer Vignette jedoch nicht verschließen, wenn die Punkte des Koalitionsvertrags erfüllt seien, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Er ist auch stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss. Das Parlament müsse sich Zeit nehmen, das Vorhaben zu prüfen.
    Das Medienberichten zufolge geplante dreistufige Vignettensystem lasse einen "sehr, sehr komplexen" Gesetzentwurf erahnen, sagte Bartol. Wichtig seien vor allem drei Fragen: Wie hoch sind die Einnahmen durch die Maut, ist das Konzept europarechtskonform und werden die Menschen in Deutschland durch die Maut mehr oder weniger belastet? An der Übereinstimmung mit EU-Recht äußerte er Zweifel.
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) plant laut Medienberichten eine Vignette für das gesamte deutsche Straßennetz in Form einer Infrastruktur-Abgabe. Nach Informationen der "Rheinischen Post" will er in einem Gesetz Details zur Einführung der Vignette regeln und in einem anderen die Kompensation für deutsche Autobesitzer über die Kfz-Steuer.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: In den vergangenen Wochen war in Berlin gerätselt worden, ob Verkehrsminister Dobrindt von der CSU es tatsächlich schafft, noch vor der Sommerpause ein Konzept für die Pkw-Maut für Ausländer vorzulegen. Dem Vernehmen nach hatte die CDU-Spitze geraten, keine übereilten Pläne zu präsentieren. Doch offenbar besteht die CSU darauf, ihr zentrales Wahlkampfversprechen voranzubringen.
    Mitgehört hat Sören Bartol, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, dort zuständig für den Bereich Verkehr, und er hat schon in den vergangenen Koalitionsverhandlungen mit der Union über die Pkw-Maut für Ausländer gestritten. Guten Morgen, Herr Bartol!
    Sören Bartol: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Sie haben ja damals nie geglaubt, dass Verkehrsminister Dobrindt ein gerichtsfestes Mautmodell für Ausländer auf deutschen Straßen entwickeln kann. Heute legt er sein Konzept vor. Erste Eckdaten in der Presse, wir haben es gerade gehört. Hat die CSU es nun doch geschafft?
    Bartol: Frau Engels, da bin ich genauso gespannt wie Sie, weil auch ich habe das Konzept noch nicht. Wenn ich es habe, wenn wir es haben, werden wir uns das genau anschauen und dann natürlich gucken, ob die Punkte des Koalitionsvertrages wirklich erfüllt sind. Und dadurch, dass das Konzept jetzt doch deutlich erweitert wird - wir reden ja nicht mehr über Autobahnen, sondern über eine Abgabe auf alle Straßen in Deutschland -, stellen sich natürlich auch viele neue Fragen.
    Engels: Welches sind Ihre größten Fragezeichen?
    Bartol: Sie haben das im Bericht schon angesprochen. Natürlich müssen wir über die Aufteilung der Einnahmen diskutieren. Wir müssen genau hinschauen, ob das Ganze wirklich europarechtskonform ist, weil wir natürlich Veränderungen an der Kfz-Steuer vornehmen müssen. Und am Ende wird auch darauf zu schauen sein, ob in Deutschland jemand mehr oder weniger belastet wird. Auch das sind alles die Punkte, die wichtig sind, und am Ende muss natürlich auch noch irgendeine Einnahme übrig bleiben. Die Frage ist natürlich, was wird dort für ein neues System geschaffen?
    Engels: Die Länder sollen tatsächlich was von den Einnahmen abbekommen. Das ist schon mal auch eine Forderung, die aus den Ländern kam, der Sie sich anschließen?
    Bartol: Ich kann das verstehen. Das hat nichts mit anschließen zu tun. Wenn Sie eine Gebühr erheben für Straßen, die Ihnen nicht gehören, dann ist doch klar, dass diejenigen, denen sie gehören, auch ein bisschen was vom Kuchen ab haben wollen. Das ist, glaube ich, klar und das wusste auch Minister Dobrindt. Ich glaube, ihm geht es darum, die Akzeptanz auch zu verbreitern.
    Engels: Dann schauen wir auf das Konzept. Wir müssen ja immer sagen, wie es in den Medien genannt wird.
    Bartol: Richtig.
    Engels: Aber das ist übereinstimmend. Drei-Stufen-Vignetten, für kurzfristig, für zwei Monate und dann die Jahres-Vignette. Und diese Jahres-Vignette soll gekoppelt werden an Hubraum und Ausstoß und dann soll das noch irgendwie für die Inländer verrechnet mit der Kfz-Steuer werden. Lohnt die Bürokratie den Aufwand?
    Bartol: Man sieht schon an den wenigen Details, dass das doch ein sehr, sehr komplexer Gesetzentwurf wird. Sie wissen auch, ein Eckpunktepapier ist ja noch lange kein Gesetzentwurf, und deswegen verstehe ich auch nicht den Druck, den Horst Seehofer jetzt schon vorab aus München macht. Völlig unnötig, weil das Parlament muss sich die Zeit nehmen, diese Punkte zu prüfen, und die Koalitionsfraktionen werden genau das auch tun, weil da liegt nämlich sozusagen das Problem im Detail am Ende.
    "Bis jetzt nur Schätzungen"
    Engels: Die Vignette soll ja dann den Deutschen zugeschickt werden. Ausländer kaufen sie an den Tankstellen wahrscheinlich. Aber dann gibt es für die Jahres-Vignette dort ja Dutzende verschiedene Preise. Wer blickt da noch durch, wer kann das kontrollieren?
    Bartol: Auch das ein Punkt, der wichtig ist. Die Frage ist ja auch, wer vertreibt das. Muss man da in Ausschreibungen gehen et cetera? Weil das ist ja wichtig, dass sozusagen jeder, der nach Deutschland reinkommen möchte, auch einfach an so eine Vignette herankommt. Dann wird natürlich die spannende Frage sein, wie hoch sind dann auch noch die Einnahmen, was kaufen die Menschen für Vignetten. Da gibt es bis jetzt nur Schätzungen. Da kommt es dann am Ende aber wirklich darauf an, wie die Details sind, ob dann am Ende auch was über bleibt.
    Engels: 800 Millionen Euro Einnahmen erwartet Dobrindt. So berichtet es jedenfalls das Magazin "Der Spiegel". Nach Abzug der Kosten sollen davon auch nach Medieninformationen 600 Millionen übrig bleiben. Das erwartet der Minister. Ist das richtig gerechnet?
    Bartol: Das kann ich nicht bestätigen, weil ich die Berechnungsgrundlagen noch nicht kenne. Klar ist aber auch: Uns fehlen mehrere Milliarden Euro für die Infrastruktur. Insofern ist das jetzt schon ein anständiger Betrag. Aber die Frage ist, ob er ausreicht, um die Probleme zu lösen, die wir haben, oder ob es nicht einfach nur ein Lieblingsprojekt eines, des Koalitionspartners ist, wo am Ende vielleicht viel, viel mehr Fragen offenbleiben, als dass wir dann am Ende wirklich Einnahmen für unsere Infrastruktur generieren.
    "Wichtig ist das, was im Koalitionsvertrag drinsteht"
    Engels: Aber, Herr Bartol, Sie haben sich ja schon mit Mauteinnahmen aus einer solchen Möglichkeit beschäftigt. Wenn nun der Durchschnittspreis, was jetzt spekuliert wird, bei der Jahres-Vignette vielleicht bei 60 bis 70 Euro liegen würde, könnte so etwas überhaupt reinkommen an Betrag?
    Bartol: Das bezweifeln viele. Das kann man heute, wenn man sich die Presselandschaft anschaut, auch ganz gut nachlesen. Das ist auch einer der Knackpunkte. Aber noch mal: Wichtig ist das, was im Koalitionsvertrag drinsteht. Daran hält sich auch die Sozialdemokratie. Es ist ja nicht unser Projekt, es war nie unser Lieblingsprojekt. Übrigens das gleiche gilt für die Kanzlerin und für die CDU. Aber wir werden das natürlich wohlwollend begleiten und dann genau gucken, ob die Einnahmen erreicht werden, ob kein Deutscher mehr betroffen ist und ob am Ende das Ganze in Europa nicht total das negative Desaster wird.
    Engels: Das ist nämlich die Gretchenfrage. Kommt man damit nach europäischem Recht durch, das ja eine Diskriminierung von Ausländern verbietet?
    Bartol: Das wird am Ende die EU-Kommission beantworten müssen. Mir stellen sich da eine Reihe von Fragen, weil auch wenn man die Gesetze jetzt gegebenenfalls trennt, ist es natürlich schon so, dass das Ganze in einem Zusammenhang steht. Wir führen eine Vignette ein auf alle Straßen, in Deutschland wird gleichzeitig die Kfz-Steuer gesenkt und umgestaltet, das weiß natürlich auch die EU-Kommission. Die Frage ist, lässt sie es durchgehen, ja oder nein. Das kann ich jetzt abschließend noch nicht beantworten. Da kommt es auch übrigens nicht auf die Eckpunkte an, sondern auf den konkreten Gesetzentwurf, wo das drinsteht.
    "Ich habe ganz, ganz große Zweifel"
    Engels: Herr Bartol, Hand aufs Herz: Sie glauben doch nicht, dass das EU-rechtsfest ist, oder?
    Bartol: Ich habe ganz, ganz große Zweifel daran.
    Engels: Dann schauen wir auf die Wirkungen, die vielleicht, wenn es meinetwegen EU-fest wäre, wirken könnten, nämlich dass Österreich und Niederlande möglicherweise mit Gegenreaktionen kommen würden. Ist es dieses Modell wert, dass man es sich mit den Nachbarn verdirbt?
    Bartol: Wenn Sie sich die Umfragen in Deutschland anschauen, sagen ja alle, da die ja auch, wenn man da durchfährt, Geld für Ihre Autobahnen haben wollen, ist es auch richtig, dass wir das machen. Nur jetzt nehmen wir ja nicht nur für Autobahnen Geld, sondern für alle Straßen, und die Frage wird sein, wie reagieren unsere Nachbarländer. Wenn die jetzt auch Geld für alle Straßen nehmen, dann ist es natürlich so, dass die Nation, die sehr, sehr viel mit dem Auto fährt - das sind wir in Deutschland -, natürlich ganz besonders negativ davon betroffen ist, und das heißt natürlich für die deutsche Autofahrerin, für den deutschen Autofahrer dann einen dicken Batzen Mehrkosten, und das ist hoch problematisch.
    Engels: CSU-Chef Seehofer verlangt schon vorab mal Koalitionstreue. Werden Sie am Ende jedem Modell im Bundestag, was Dobrindt vorlegt, zustimmen?
    Bartol: Dann brauchen wir keinen Bundestag mehr, wenn nur Eckpunkte vorgelegt werden müssen und alle stimmen zu. Es ist doch klar: Alle Themen, die im Koalitionsvertrag drinstehen, sind miteinander vereinbart und deswegen stehen wir auch dazu. Aber am Ende geht es um die Details. Wir werden das diskutieren, wir werden ein ordentliches parlamentarisches Verfahren machen, mit Anhörungen et cetera, wie bei allen anderen Themen übrigens auch. Es ist ja nicht so, dass der Mindestlohn einfach so durchgegangen ist, sondern es waren intensive Debatten. Und wenn die Punkte des Koalitionsvertrages erfüllt werden, aber nur dann, dann wird auch die SPD sich einer Vignette nicht verschließen.
    Engels: Sören Bartol, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, zuständig für den Bereich Verkehr. Wir sprachen mit ihm über die nicht sehr geliebte Pkw-Maut. Vielen Dank!
    Bartol: Auf Wiedersehen, Frau Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.