Donnerstag, 18. April 2024

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Pkw-Maut-Untersuchungsausschuss
Scheuer: "Persönlicher Schlagabtausch zwischen der Opposition und mir"

Er habe im Parlament wahrheitsgemäß Auskunft über die Vorgänge rund um die gescheiterte Pkw-Maut gegeben, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Dlf. Die Debatte darüber werde nicht sachlich geführt – man versuche nun "über Verfahrenstechnik was Strittiges anzufangen".

Andreas Scheuer im Gespräch mit Nadine Lindner | 10.01.2021
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, nimmt an der Sitzung des Bundestages während der Debatte zum Bundeshaushalt 2021 teil.
Andreas Scheuer kritisiert eine unsachliche Diskussion rund um die Pkw-Maut (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Fakt sei, dass in der letzten Periode ein Gesetz zur Pkw-Maut beschlossen wurde, dass er umzusetzen hatte, so Scheuer im Dlf. Seine nächste Befragung im Maut-Untersuchungsausschuss am 28.01. wolle er dazu nutzen, die Debatte zu versachlichen. Es gehe jetzt von seiner Seite aus darum, die Sache aufzuklären. "Ich habe dem Parlament wahrheitsgemäß Auskunft gegeben", sagte Scheuer auf die Frage nach Widersprüchen zwischen seinen Aussagen vor dem Bundestag 2019 und dem Maut-Untersuchungsausschuss 2020, bei denen er an einigen Stellen darauf verwies, sich nicht erinnern zu können, ob es von Seiten der Mautbetreiber ein Angebot zur Verschiebung der Maut-Verträge auf die Zeit nach dem EUGH-Urteil gab. Er habe seine Meinung nicht geändert. "Von Erinnerungslücken kann überhaupt nicht die Rede sein."
Andreas Scheuer ist seit 2002 für die CSU Mitglied im Deutschen Bundestag. Seit 2018 ist er Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Im Dlf sprach er auch über den Fragenkatalog von Olaf Scholz zur Impfstrategie, der ihn "verwundert" habe, denn der Informationsfluss sei immer hergestellt gewesen, man habe über Wochen diskutiert. Man habe eine Verantwortung in der schweren Krise. "Deshalb mein Appell an alle, zusammenzuhalten." Er erhofft sich von dem bevorstehenden Machtwechsel in den USA, dass der Protektionismus zum Beispiel gegen deutsche Autobauer zurückgedrängt werde.

Das Interview in voller Länge:
Nadine Lindner: Herr Scheuer, die Bilder, die diese Woche ja auch geprägt haben, das sind die Bilder aus Washington vom Kapitol. Die haben ja dieser Woche noch mal eine ganz neue Wendung gegeben. Haben für viel Entsetzen auch gesorgt. Ich würde gerne von Ihnen wissen: Wo und wie haben Sie denn diesen Abend eigentlich verfolgt?
Andreas Scheuer: Ja, das neue Jahr hat ja schon sehr prägend begonnen. Wenn ich mir die Bilder vom Kapitol anschaue, dann erfüllt mich das mit großer Sorge, weil unsere amerikanischen Freunde in einer ganz, ganz schwierigen Situation sind. Und ich habe es am Rande der CSU-Klausur, die wir diese Woche hatten, in Berlin erlebt und natürlich auch mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die genauso beunruhigt waren, gesprochen.
Lindner: Die Rückbindung an Deutschland, das ist ja auch schon jetzt diskutiert worden. Die Reaktionen gab es ja relativ schnell. Frank-Walter Steinmeier, der Bundespräsident, hat sich geäußert. Er hat gesagt, diese Botschaft, die er daraus ableitet, ist, dass Hass und Hetze die Demokratie gefährden, dass Lügen die Demokratie gefährden. Auch Gewalt gefährdet die Demokratie. Heiko Maas, Außenminister, hat sich jetzt auch noch mal geäußert, der Sozialdemokrat, im Nachgang danach. Hat gesagt: Ja, jeder muss auch gegenhalten. Was mich interessieren würde, Herr Scheuer, Sie haben ja als CSU-Generalsekretär, der Sie ja lange waren, auch Erfahrung mit Information, mit Kommunikation, mit den Wählerinnen und Wählern, mit Parteianhängern. Welche Gefahr sehen Sie denn zum Beispiel aus der Verbreitung von digitaler Desinformation? Jetzt in den USA, aber natürlich halt auch in Deutschland, wo wir ja quasi an der Schwelle, am Beginn dieses Superwahljahres stehen.
Scheuer: Ja, genau das treibt mich um. Einige, die sich in Blasen bewegen, nichts an sich ranlassen, und dann natürlich auch alle Kanäle, ja, aufkündigen. Also, wenn ich die Nachrichtensendungen, die mit gutem Journalismus aufbereitet sind, oder die Regionalzeitung aufkündige und mich nur noch im Netz bewege, dann wird man auch gegenüber Manipulation anfällig.
Lindner: Herr Scheuer, ich würde Sie gerne noch mal fragen, mit Hinblick auf die USA. Es ist ja jetzt nicht nur die Situation rund um das, was am Kapitol passiert ist, sondern es steht ja auch ein Machtwechsel bevor bei einem sehr wichtigen Handelspartner für Deutschland, für die Europäische Union. Und da würde ich Sie gerne mal fragen aus Ihrer Sicht als Verkehrsminister: Was erwarten Sie denn eigentlich von einem Präsident Biden? Unter anderem Stichworte können da ja natürlich sein: Klimaschutz, aber auch der Protektionismus, unter dem deutsche Autohersteller unter der Regentschaft von Herrn Trump ja auch durchaus zu leiden hatten und damit zu tun hatten.

USA: "Es wird hoffentlich einen wirklichen Wechsel geben"

Scheuer: Ich möchte mich bemühen, dass der Antiamerikanismus, der natürlich sehr stark nur mit einer Person zu tun hat, dass der zurückgedrängt wird, und dass wieder eine ehrliche, amerikanisch-deutsche, deutsch-amerikanische Freundschaft entstehen kann. Und das Zweite ist, was in meinem Bereich ist, ich habe natürlich jetzt auch die Wochen genutzt, um meine Netzwerke zu nutzen, auch in die neue Administration. Es wird hoffentlich einen wirklichen Wechsel geben, auch in den Köpfen, und dieser Protektionismus wieder zurückgedrängt werden. Damit wir nicht nur die Wirtschaftsbeziehungen haben, sondern wirklich auch eine Partnerschaft auf Augenhöhe.
Lindner: Ja. Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast ist heute Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister, auch Bundesdigitalminister und Mitglied der CSU. Herr Scheuer, auch um ein anderes Großthema dieser Woche kommen wir ja einfach nicht drum herum. Es geht um Corona. Eine bemerkenswerte Sache hat sich ja diese Woche noch im Bundeskabinett bzw. auch innerhalb der Bundesregierung zugetragen. Da ging es um das Thema Impfstrategie. Es ging auch um mögliche Fehler bei der Impfstrategie, wo ja gerade die sozialdemokratische Seite auch in Form des SPD-Finanzministers Olaf Scholz ja ziemlich auf die Pauke gehauen hat und einen Fragenkatalog vorgelegt hat, der nicht nur mich quasi an den Ton eines Untersuchungsausschusses erinnert hat. Mich würde mal interessieren: Wie ist denn Ihre Beobachtung? Kann man mit Olaf Scholz noch zusammenarbeiten in seiner Funktion als Finanzminister, als Vizekanzler? Oder ist er mittlerweile komplett in seiner Funktion, in seiner neuen Rolle als SPD-Spitzenkandidat angekommen?

Fragenkatalog von Olaf Scholz: " Mich hat der Fragenkatalog auch verwundert"

Scheuer: Ja, mich hat der Fragenkatalog auch verwundert, weil wir ja über Wochen in Corona-Kabinetten genau diese Fragen diskutiert haben und miteinander diskutiert haben. Der Informationsfluss war ja immer hergestellt. Das heißt, da war auch jeder eingebunden. Ich beispielsweise habe zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium das Thema Impflogistik, also Impfstofflogistik, wo ausgeladen wird, wo aufgenommen wird, wie verteilt wird, in den Fokus genommen. Es gab dazu immer die Berichte des Bundesgesundheitsministers zu dem Thema Impfstrategie und Impfstoffe, Bestellungen, vieles mehr. Also, mich hat diese Art und Weise des Fragenkatalogs, den Sie jetzt gerade auch zitiert haben, schon verwundert, denn die Informationen waren auch immer klar. Wir haben jetzt da keine oppositionellen Bewegungen in einem Kabinett, sondern wir haben ein Miteinander. Und das haben wir auch in der Verantwortung dieser schweren Krise, die wir haben. Deswegen der Appell an alle, zusammenzuhalten.
Lindner: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast ist Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister. Herr Scheuer, ich möchte gerne mit Ihnen auf Ihre Zuständigkeit, auf Ihr Kernthema, die Verkehrspolitik, zu sprechen kommen und direkt einsteigen mit dem Thema, was ja Ihre Legislatur bislang geprägt hat, man muss auch sagen, überschattet hat. Es geht um die gescheiterte Pkw-Maut. Eine Frage, die ja schon häufiger an Sie herangetragen worden ist, bei der ich aber trotzdem jetzt noch mal den Versuch wagen möchte, ist: Haben Sie denn dort Fehler gemacht bei der Pkw-Maut? Gibt es Dinge, wo Sie sagen, nein, das würde ich heute anders machen?

Pkw-Maut: "Debatte versachlichen"

Scheuer: Na ja, wir haben ja ein Urteil des EuGH. Und das hat diese komplette Konzeption, die in der letzten Legislaturperiode beschlossen wurde und Gesetz geworden ist, in eine Entscheidung gebracht, wo dieses Projekt gescheitert ist. Dass ich verärgert bin über dieses Urteil, ja, das ist so. Das habe ich auch oft gesagt. Es wird ja häufig so getan als stünde bereits fest, dass wir den Betreibern hunderte Millionen Euro Schadensersatz zahlen müssen. Mitnichten ist das so. Im Gegenteil. Es ist ein Streitfall, der jetzt im Schiedsverfahren aufgearbeitet wird. Und diese politische Kampagne der Opposition in einem Untersuchungsausschuss, die ist klar. Aber dieses Thema ist nicht mein alleiniges Thema, sondern ich habe hunderte von anderen positiven Themen, wo wir wirklich was vorwärtsgebracht haben. Aber ich weiß, Sie wollen jetzt wissen, wie ich damit umgehe. Ja, natürlich bin ich selbstreflektiert. Natürlich bin ich selbstkritisch. Ich weiß auch den Unmut. Aber Fakt ist, dass in der letzten Periode ein Gesetz beschlossen wurde, das ich umzusetzen hatte. Und das habe ich getan an dem ersten Tag, als ich im März 2018 ins Amt kam. Und jetzt haben wir einen Untersuchungsausschuss. Und ich hoffe, Ende Januar bin ich ja noch mal im Untersuchungsausschuss, dass mir die Gelegenheit gegeben wird, einfach die Debatte zu versachlichen. Dass die Opposition dieses Ziel nicht hat, das ist mir aus vielen Beiträgen, wir hatten vorher die sozialen Netzwerke, aus vielen Beiträgen bekannt. Was ist die Opposition da abfeuert, ist fern, weg jeder sachlichen Diskussion.
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, während einer Sitzung des Deutschen Bundestages im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes
Pkw-Maut-Affäre: Ein Frühstück mit zwei Versionen
Bis in den frühen Morgen tagte der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut, 17 Stunden dauerte die Sitzung. Nach dem Auftritt von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist weiter unklar, was zwischen ihm und den Maut-Betreibern vereinbart wurde – es steht Aussage gegen Aussage.
Lindner: Ja. Aber jetzt trotzdem noch mal: Haben Sie bei der Umsetzung der Pkw-Maut Fehler gemacht? Ja oder nein?
Scheuer: Ja, nach allen Untersuchungen, auch allen Darstellungen von Rechtsanwälten, Gutachtern, extern, intern, Mitarbeitern haben wir alles genau analysiert, beurteilt und dann zu einem Beschluss gekommen, nämlich die Pkw-Maut oder Infrastrukturabgabe in den Verträgen umzusetzen. Und nachher ist man immer klüger. Das EuGH-Urteil war eine Überraschung für alle, weil der Generalanwalt ja uns in allen Punkten rechtgeben hat. Ich kann Ihnen sagen, die Nutzerfinanzierung wird auch in Zukunft ein Thema sein. Nur dieses Konzept ist einfach über den Haufen geworfen worden, was uns allen nicht gefallen kann, denn die größte ökologische Lenkungswirkung hat die Nutzerfinanzierung.
Lindner: Ja, ja, das ist jetzt … die Entscheidung ist ja jetzt gefallen. Und ich würde gerne noch mal zurückkommen auf Ihre Befragung im Untersuchungsausschuss, wo Sie ja auch anmahnen, dass der eine Möglichkeit ist – auch CSU-Kollegen sagen das – die Debatte zu versachlichen. Ihre Befragung war ja durchaus bemerkenswert. Anfang Oktober 2020 hat die stattgefunden, und zwar quasi von kurz vor der Geisterstunde bis nachts um kurz vor 5 Uhr, was ja durchaus ungewöhnlich ist für eine Ministerbefragung. Aber dort haben Sie sich ja auch auf Erinnerungslücken zurückgezogen. Es ging ja im Kern um die Frage, ob Sie das Angebot vonseiten der Betreiber bekommen haben, mit der Unterschrift unter die Verträge noch zu warten, bis das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vorliegt. Das hatten die Betreiber auch vor diesem Untersuchungsausschuss dezidiert so ausgesagt. Sie hatten sich im Bundestag vorher anders geäußert, haben gesagt, dieses Angebot gab es nicht. Im Untersuchungsausschuss haben Sie dann allerdings gesagt, Sie könnten sich nicht mehr richtig daran erinnern. Was hat denn diesen Sinneswandel da eigentlich bei Ihnen ausgelöst? Sie hatten ja lange genug Zeit, sich auf diese Sitzung auch vorzubereiten, auch Erinnerungslücken zu stopfen.

"Von Erinnerungslücken kann überhaupt nicht die Rede sein"

Scheuer: Also, Frau Lindner, von Erinnerungslücken kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich habe auch meine Meinung nicht geändert. Auch im Bundestag habe ich dasselbe gesagt wie im Untersuchungsausschuss. Und es bleibt dabei. Man muss ja auch mal die Frage stellen: Warum soll ein Unternehmer mir ein Angebot machen, wenn er weiß, dass er daraus einen Vertrag, ein Geschäft machen kann? Aber das ist ja nicht versachlicht, diese Debatte. Es bleibt ja aus der ganzen Debatte um die Infrastrukturabgabe ein reiner persönlicher Schlagabtausch zwischen Opposition und mir übrig. Man hat sich ja nicht mehr auf die Sache konzentriert, sondern nur noch auf Vorgänge, auf das, was Einzelne gesagt haben. Ich will es kurz machen. Ich werde am 28.01. weiter versuchen, die Debatte so zu versachlichen, dass der Untersuchungsausschuss die Informationen bekommt. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich habe so Auskunft gegeben, wie es meiner Erinnerung entspricht. Und es bleibt auch dabei. Ich habe dem Parlament wahrheitsgemäß Auskunft gegeben und werde das auch weiter tun, weil der Respekt gegenüber dem Parlament ein wichtiges Gut in unserer Demokratie ist und ich auch mit über einer Millionen Dokumenten und Seiten dem Untersuchungsausschuss alles offengelegt habe. Ich glaube, es gibt kein Projekt, das so gut analysiert ist, so gut begutachtet ist, so gut eingeschätzt ist, als die Infrastrukturabgabe in hunderten von Sitzungen. Und jetzt geht es darum, einfach die Sache von meiner Seite her klarzumachen, aufzuklären. Und ich habe von vielen Mitarbeitern, Gutachtern und Anwälten auch Recht bekommen in meiner Darstellung.
Lindner: Herr Scheuer, Sie haben eben gesagt, Sie haben alles offengelegt. Auf der anderen Seite muss die Opposition mittlerweile den Bundesgerichtshof anrufen – das ist eine aktuelle Entwicklung aus den letzten Wochen – um Aufklärung zu erzwingen. Es geht um dienstliche Mails von Ihrem Account als Abgeordneter, weil es Zweifel gibt, ob Sie alle relevanten Mails zur Maut vorgelegt haben. Es ist ein Sonderermittler mittlerweile eingesetzt durch diesen Untersuchungsausschuss. Ich frage mich schon, wie das zusammenpasst mit Ihrem Versprechen, das Sie am Anfang gegeben haben, nämlich das der maximalen Transparenz.

"Inhaltliche Fragen sind weitgehend geklärt"

Scheuer: Ja, wissen Sie, wir sind ja nicht mehr im Verfahren der inhaltlichen Auseinandersetzung. Dass die Opposition alles versucht, ich meine, die inhaltlichen Fragen sind weitgehend geklärt. Jetzt versucht man über Verfahrenstechnik was Strittiges anzufangen. Dass man hier das Thema aufrechterhalten möchte und ablenken möchte von den vielen Erfolgen, die ich in meiner Arbeit habe und verzeichnen kann, wäre ganz gut, wenn wir auch darüber sprechen könnten, dann …
Lindner: Keine Sorge.
Scheuer: … könnte man auch mal darstellen, was wir für die Mobilität und die Digitalisierung alles gemacht haben. Klar ist, dass der Untersuchungsausschuss eine politische Auseinandersetzung ist, die um eine Person geht, eine politische Kampagne der Opposition.
Lindner: Herr Scheuer, ich möchte gerne da noch mal an diesem Punkt bleiben, wo wir gerade waren. Wenn man sich diesen Untersuchungsausschuss anschaut und auch dort die Rücktrittsforderungen anschaut, mit denen Sie ja massiv konfrontiert waren, habe ich mich gefragt, ob Sie für sich selber mal Kriterien definiert haben, ab wann so ein Rücktritt angemessen erscheint für Sie. Denn der kann ja erfolgen zum Beispiel, wenn man Schaden vom Amt abwenden will, wenn man Schaden von der Partei oder auch von der Regierung abwenden will. Oder auch, wenn man das Gefühl hat, man wird seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht. Haben Sie das jemals für sich mal festgelegt, mal definiert, mal drüber nachgedacht?
Scheuer: Hinterfragen wir jetzt eine Umsetzung eines Gesetzes, dass ein Minister gemacht hat, weil ein Parlament es beschlossen hat, bis hin zur klaren Darstellung durch die EU-Kommission? In dem Zusammenhang: Eine Gerichtsentscheidung war die Ursache, dass ein Projekt, das Deutschland als Gesetz beschlossen hat und von der EU-Kommission begrüßt wurde, dass dieses Projekt gescheitert ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Lindner: Ja, aber haben Sie jemals über Rücktritt nachgedacht?
Scheuer: Ach, wissen Sie, ich mache mir so viele Gedanken über das, was gelaufen ist, was gescheitert ist, was gut gelaufen ist, was sehr gut gelaufen ist, was sich entwickelt hat. Und ich komme zum Schluss, dass ein Minister ein Gesetz umgesetzt hat. Nicht mehr und nicht weniger.
Lindner: Wenn man der CSU-Klausur der CSU-Landesgruppe diese Woche zugehört hat, gab es da ja auch für die Verkehrspolitik einige interessante Bemerkungen. Wo ich besonders stutzig geworden bin oder besonders hellhörig geworden bin, war der Punkt, als Alexander Dobrindt gefordert hat, dass man die Klimaschutzbemühungen auch in der Corona-Krise unvermindert fortsetzen soll und sogar noch verstärken soll. Und er hat das dann mit dem Hinweis versehen, dass Corona nicht als Ausrede genutzt werden darf, um jetzt bei den Klimaschutzmaßnahmen nachzulassen. Und da hatte ich mich gefragt, na ja, es gibt ja bei den Klimaschutzmaßnahmen, die aus Ihrem Ministerium kommen zum Verkehrssektor, ja immer noch Lücken, was die CO2-Reduzierung angeht. Haben Sie sich da eigentlich angesprochen gefühlt bei dem, was Herr Dobrindt dort verkündet hat?

"Wir haben das System Schiene auf Vordermann gebracht"

Scheuer: Ja, ich habe es ja mit Herrn Dobrindt und der Landesgruppe so erarbeitet, dass wir nicht nachlassen dürfen bei den Klimazielen, dass wir bei der Mobilität und der Digitalisierung dafür sorgen müssen, dass wir dabei sind, wenn es in die Nach-Corona-Zeit geht. Und ich sage Ihnen: Wir haben in einzigartiger Weise, noch nie dagewesen, die Bahn gepusht. Wir haben das System Schiene auf Vordermann gebracht. Wir haben mit über 50 Maßnahmen jetzt die Klimaziele fest im Blick. Wir fördern die alternativen Antriebe, die synthetischen Kraftstoffe. Wir gehen in eine Zeit, wo wir gerade auch ganz aktuell ein neues Lkw-Austauschprogramm haben, damit die alten Stinker raus aus dem Markt gehen in neue Fahrzeuge.
Ein Zug im Abendhimmel. 
Corona-Strategie der DB stößt auf Widerstand
Trotz schwacher Auslastung will die Deutsche Bahn am regulären Fahrplan festhalten, pandemiebedingt sogar mit deutlich mehr Zügen, damit Fahrgäste Abstandsregeln einhalten können. Den Rekordverlust soll der Bund ausgleichen. Allerdings könnte es sein, dass sich die EU-Kommission querstellt.
Lindner: Was ja aber auch Verbrenner fördert bei den Lkw. Aber trotzdem noch mal zurück. Ihre eigene bzw. die nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität hat Ende Dezember einen Werkstattbericht vorgelegt und auch auf diese Klimalücke noch mal hingewiesen in Studien. Und die gehen von 33 Millionen Tonnen Treibhausgasen aus, die da noch nicht erreicht sind. Wie werden Sie diese Lücke denn schließen?
Scheuer: Ja, wenn Sie sich das Programm genau anschauen, dann entspricht es meiner Strategie – Inspiration, Innovation und Investition. Wenn wir zum Beispiel auch sehen, dass wir jede Innovation mit fördern und anstoßen auf dem Automobilsektor, dass wir breit aufgestellt sind über die Verkehrsträger, dass wir technologieoffen arbeiten, das heißt, alle Antriebe, alle Verkehrsmittel. Wir stärken den Radverkehr. Wir stärken den Fußverkehr. Wir gehen ganz massiv in die Schiene. Wir gehen auch neue logistische Lösungen, beispielsweise für die städtische Logistik ein ganz neues Förderprogramm, wo sich die Städte Gedanken machen können, die Logistik auf eine effiziente klimaschonende Art und Weise weiterzuentwickeln. Wir machen ein neues Personenbeförderungsgesetz, wo wir Möglichkeiten schaffen, Bewährtes zu bewahren, aber natürlich auch im digitalen Zeitalter die Versorgung gerade auf dem flachen Land mit effizienten und klimafreundlichen Verkehrsmitteln zu organisieren. Und alles hat mit Mobilität und Digitalisierung zu tun. Und alles ist bei mir im Ministerium angesiedelt. Und deswegen macht es das so spannend, wirklich auch für Deutschland zu arbeiten. Wenn ich mir gerade anschaue, dass wir …
Lindner: Herr Scheuer …
Scheuer: Das lassen Sie mich schon auch noch sagen. Über 60 Prozent Zunahme der gigabitfähigen Anschlüsse beim schnellen Internet haben und einen Zubau von 7 Prozent beim Mobilfunk und bei 5G sogar vor dem Plan sind. Das sind meine Erfolge, die ich gerne noch mal sehr, sehr klar darstellen will.

"Strittig ist der Bußgeldkatalog"

Lindner: Ja, aber Herr Scheuer, es gibt auf der anderen Seite auch Hausaufgaben, die da noch auf dem Tisch liegen, die auch verkehrspolitischer Natur noch auf dem Tisch liegen. Sie haben gerade den Rad- und Fußverkehr angesprochen, den Sie stärken wollen, wo Sie auch die Sicherheit erhöhen wollen. Und es gab dazu ja diese Novelle der Straßenverkehrsordnung, die eigentlich in Kraft treten sollte, auch mit dem Ziel unter anderem, Fußgänger, Radfahrer sicherer zu machen auf den Straßen. Die ist gescheitert, unter anderem oder vor allem wegen eines Formfehlers, der in Ihrem Ministerium entstanden ist. Jetzt wabert das Ganze schon seit Monaten vor sich hin. Und viele Menschen in Deutschland fragen sich: Wann wird dieses Thema denn eigentlich gelöst? Ende Januar ist die nächste Sitzung des Verkehrsausschusses im Bundesrat. Was werden Sie denn bis dahin unternehmen bzw. wird es bis dahin einen neuen Kompromissvorschlag geben, um dieses Thema in dieser Legislaturperiode halt auch noch abzuräumen?
Scheuer: Also, ich darf das schon mal richtigstellen. Die neue Straßenverkehrsordnung mit dem Schwerpunkt Radverkehr und Fußverkehr gilt. Mit dem besseren Schutz von Radfahrern und Fußgängern. Die gilt. Das war auch die Initiative, eine wirkliche Radnovelle zu beschließen. Das, was strittig ist, ist der Bußgeldteil.
Lindner: Ja, das sind die Sanktionen, die Fehlverhalten dann zu bewerten.
Scheuer: Ja. Und da lade ich die Bundesländer ein, die unstrittigen Themen, die alle wollen, die am Tisch liegen, das Paket der über 90 Prozent Themen, die unstrittig sind, endlich im Bundesrat zu beschließen. Dann haben wir gerade auch für den Fußverkehr und für den Radverkehr ein immens gutes Signal für die Frühjahr- und Sommersaison 2021 geschaffen.
Lindner: Das heißt aber, ausklammern für Sanktionen von Geschwindigkeitsübertretungen von Autofahrern innerorts und außerorts?
Scheuer: Ja, da habe ich immer gesagt, ich lade alle ein, dass wir grundsätzlich ja darüber debattieren. Das ist in der Tat strittig, aber unter den verschiedenen Parteien strittig, auch unter den verschiedenen Regierungskonstellationen strittig. Und deswegen war ja mein Vorschlag, dass wir den Teil, der unstrittig ist, jetzt durch die Gremien bringen, sodass wir den größten Teil eigentlich dann beschlossen haben und uns Zeit nehmen für den strittigen Teil und da noch mal genau uns Gedanken machen, wie wir die verschiedenen politischen Interessen zusammenbringen.

Rechtsrahmen für autonomes Fahren "einsame Spitze"

Lindner: Herr Scheuer, ich würde gerne mit Ihnen noch mal über Ihr Lieblingsthema sprechen. So habe ich es zumindest in den vergangenen Jahren wahrgenommen. Die Zukunft der Mobilität, auch in Form des sogenannten autonomen Fahrens, automatisierten Fahrens. Und da gibt es ja genau in diesen Tagen jetzt eine ganz interessante Entwicklung – man könnte auch sagen einen Streit – zwischen Ihrem Haus, dem Verkehrsministerium, und auch dem Justizministerium, der sich über die Mobilitätsdaten entspannt hat. Konkret bei der Vorlage bzw. beim Vorschlag des Gesetzes für autonomes Fahren, was ja unter anderem für Roboterfahrzeuge gewisse Praxisprojekte dann auch ermöglichen soll. An welchem Stand sehen Sie denn diesen Gesetzentwurf? Und wird das in dieser Legislatur – denn auch hier läuft ja die Zeit – wird das denn noch funktionieren? Werden Sie das durchs Ziel bringen können? Was Sie ja oft auch – wie soll ich sagen – propagiert haben in den vergangenen Jahren und Monaten.
Den Fahrer im Blick: Das autonome Auto erkennt, dass das Testingenieur Erde Kenar während der Fahrt ein Magazin liest
Kooperative Fahrsysteme: Wie autonome Autos vom Fahrer lernen
Ein selbstfahrendes Auto, das sich an die Bedürfnisse der Fahrer anpasst, wäre nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer. Dazu muss das Fahrzeug die Fahrweise des Menschen imitieren können. Forscher haben nun einen Prototyp geschaffen, der mit mehreren Kameras den Fahrer beobachtet und von ihm lernt.
Scheuer: Ja, die Aufgabe ist ja von dem Autogipfel, auch durch die Bundeskanzlerin, dass wir den neuen Rechtsrahmen fürs autonome Fahren umsetzen. Den habe ich vorgelegt. Dort wurde sogar darüber so befunden, dass er einsame Spitze ist. Nämlich im internationalen Wettbewerb würde uns das an die Nummer eins bringen. Deswegen ist es ein ganz normaler Vorgang in der Ressort-Abstimmung, die einzelnen Anliegen der Häuser zu werten. Und wir werden jetzt in der Ressortabstimmung die einzelnen Abstimmungsrunden haben. Ich habe das aus den Medien zur Kenntnis genommen, was als Anliegen des Justizministeriums vorhanden ist. Wir haben intensiv schon über den Datenraum Mobilität gesprochen. Ich denke, da werden wir zu einem Ergebnis kommen. Es ist immer so in der Politik, dass man erst mal die eigenen Interessen auch vielleicht medial öffentlich diskutiert, aber dann zum Schluss sind alle gefragt, dass wir uns vereinen in einem Thema, nämlich dass wir Deutschland an die Spitze bringen in verschiedenen Bereichen. Und beim autonomen Fahren haben wir da eine gute Chance in dem Vorschlag, den ich gemacht habe.

"Markus Söder ist ein absoluter Spizenpolitiker"

Lindner: Ich möchte mit Ihnen, Herr Scheuer, noch ein bisschen auf dieses kommende Wahljahr blicken. Sechs Landtagswahlen, eine Bundestagswahl. Es wird wirklich sehr viel entschieden dieses Jahr. Und ich möchte mit Ihnen mal auf die Person Markus Söder blicken, bayrischer Ministerpräsident, CSU-Parteichef, der immer gesagt hat, er sieht seinen Platz in Bayern, wenn er gefragt wurde, ob er sich vorstellen könnte, Kanzlerkandidat zu werden. Der jetzt aber auch gesagt hat, Personen und Herausforderungen der Zeit, die müssten synchron sein im Hinblick auf die Kanzlerkandidatur. Ich würde Sie gerne fragen: Würden Sie ihn denn für einen guten Kanzlerkandidaten halten?
Scheuer: Markus Söder ist ein absoluter Spitzenpolitiker. Und er hat ja auch in der Corona-Krise gezeigt, dass er immer Linie gehalten hat. Eine konsequente Linie, aber auch eine sehr verständnisvolle Linie, eine sehr umsetzungsstarke Linie. Und, wenn ich mir die Ministerpräsidentenkonferenzen anschaue, dann kann man stolz sein, dass man in Bayern so einen Ministerpräsidenten hat. Und als Parteivorsitzender wird Markus Söder mit den Freunden der CDU darüber diskutieren, was nach dem CDU-Parteitag ist und wie wir uns aufstellen. Wir haben noch einige Landtagswahlen. Aber dem vorzugreifen, wäre falsch. Sondern Freunde der CDU haben jetzt einen Parteitag. Und da werden wir dann das Ergebnis als CSU entgegennehmen und dann Diskussionen haben und Gespräche führen, wie wir die Planung für das Wahljahr 2021 machen. Die inhaltliche Aufstellung hat die CSU-Landesgruppe in der Klausur diese Woche vorgenommen.
Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz: Armin Laschet, Norbert Röttgen und Friedrich Merz (v.l.)
CDU: Wer wird neuer Parteivorsitzender?
Wegen der COVID-19-Pandemie hat die CDU die Entscheidung um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer an der Parteispitze vertagt. Kandidaten sind weiterhin Norbert Röttgen, Armin Laschet und Friedrich Merz – doch die Coronakrise hat deren Ausgangslage und Chancen verändert.
Lindner: Herr Scheuer, ich würde Sie gerne noch fragen: Die CDU steht vor einer Richtungsentscheidung und auch, wenn jetzt die Bilder der Landesgruppenklausur nicht darauf hindeuten, hat sich ja Ihre Partei, die CSU, durchaus auch mit Frau Merkel schwergetan. Jetzt gibt es einen Kandidaten in diesem Feld für dem CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, der am stärksten für die Abkehr steht. Sollte man da Ihrer Ansicht nach diesen Neustart wagen?
Scheuer: Die CDU wird ihre Entscheidungen treffen. Und die Entscheidung wird in der kommenden Woche sein, am kommenden Wochenende. Und dieser Parteitag ist gut vorbereitet. Es gibt drei Kandidaten. Und wir als CSU werden das Ergebnis sehen, genauso wie die Bürgerinnen und Bürger. Und dann werden wir in die Gespräche kommen, damit die eine Union auch ein erfolgreiches Wahljahr 2021 hat.
Lindner: Was ist denn Ihre persönliche Perspektive? Was möchten Sie denn eigentlich nach der Bundestagswahl machen? Möchten Sie Verkehrsminister bleiben?
Scheuer: Ich habe noch sehr, sehr viele Projekte in 2021, wo man sich drauf freuen kann, vor allem Themen der besseren Abdeckung für schnelles Internet und Mobilfunk flächendeckend, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Viel, viel Geld bereitgestellt, um genau diese Zukunft zu gestalten, um der jungen Generation auch Chancen zu vererben.
Lindner: Das war das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast war der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Herr Scheuer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Scheuer: Ich danke Ihnen Frau Lindner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.