Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Pläne der Union
Linkspolitiker: "Kein Sicherheitsgewinn, sondern nur Wahlkampf"

Der stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, Frank Tempel, hält nichts von den heute bekannt gewordenen Plänen der Union für schärfere Sicherheitsgesetze. Der Linken-Abgeordnete sagte im DLF, die Ideen der Länder-Innenminister von CDU und CSU bedienten nur die Gefühle an deutschen Stammtischen.

Frank Tempel im Gespräch mit Mario Dobovisek | 10.08.2016
    Der Linken-Bundestagsabgeordnete Frank Tempel spricht im Parlament.
    Der Linken-Bundestagsabgeordnete Frank Tempel spricht im Parlament. (imago / Metodi Popow)
    Dies gelte etwa für die Forderung nach einer Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Wer so etwas vorschlage, habe sich noch nie mit einem jungen Türken unterhalten, der seine Wurzeln nicht abreißen lassen wolle. In Wahrheit trage gerade der doppelte Pass zur Integration bei. Auch ein Burka-Verbot ziele nur auf die AfD-Wähler und habe nichts mit Terror-Bekämpfung zu tun.
    Richtig sei dagegen der Plan, die Zahl der Polizisten in den nächsten Jahren um 15.000 aufzustocken, meinte Tempel. Damit werde ein Fehler der Vergangenheit korrigiert: "Das ist der einzige Punkt, der richtig ist." Die sogenannte "Berliner Erklärung" der Länderinnenminister von CDU und CSU soll in der kommenden Woche beschlossen werden.
    Tempel ging auch auf den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern, damit Mediziner die Behörden über geplante Straftaten ihrer Patienten informieren können. Hier sei man an den Zahlen interessiert, die dem Vorstoß zugrunde lägen: "In wie vielen Fällen wird ein Patient einen Arzt über geplante Straftaten informieren?" Er frage sich, ob hier nicht eine Scheinaktivität entwickelt werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Am Telefon begrüße ich Frank Tempel von der Linkspartei, stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses. Guten Morgen, Herr Tempel!
    Frank Tempel: Schönen guten Morgen!
    Dobovisek: Sie waren selbst Polizist, Herr Tempel, auch Polizeigewerkschafter. Schauen wir uns deshalb mal die erste große Kernforderung an aus dem langen Katalog, 15.000 Polizisten mehr, Aufstockung der Sicherheitskräfte. Das dürfte Sie ja freuen?
    Tempel: Das ist sogar richtig. Also, wir müssen ja gucken, damit kommen wir immer noch nicht auf den Stand der beschäftigten Polizeibeamten in Bund und Ländern von 1998. Also, hier werden einfach mal Fehler korrigiert. Die Polizei hat verschiedene Aufgabenfelder, wir müssen gucken, machen sie wirklich alle Aufgaben, die notwendig sind, also Bagatelldelikte spielen da eine ganz große Rolle, und vor allen Dingen: Können sie mit der Anzahl der Polizeibeamten die vielfältigen Aufgaben noch gewährleisten? Also, das ist einer der wenigen Punkte, wo ich sage: Ja, okay, da wird ein alter Fehler korrigiert, das Personal, was gnadenlos abgebaut wurde in der Vergangenheit, wird jetzt wieder aufgestockt und das ist wahrscheinlich der einzige Punkt in dem ganzen Papier, der richtig ist.
    "Gerade über diese doppelte Staatsbürgerschaft baut man Brücken"
    Dobovisek: Schauen wir uns also die anderen Maßnahmen an. Gehen wir mal der Reihe nach durch. Was mir als Erstes – habe ich ja gerade eben schon gesagt – aufgefallen ist, ist der Entzug der doppelten Staatsbürgerschaft oder einfach die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Ist das etwas, das helfen kann bei der Integration, helfen kann auch bei Ermittlungen?
    Tempel: Das ist einer der schlimmsten Punkte in diesem Papier. Also, das bedient die Gefühle an deutschen Stammtischen, aber es ist nicht orientiert an den betreffenden jungen Menschen, die das betrifft. Also, wer eine solche Forderung aufstellt, hat sich wahrscheinlich noch nie mit einem jungen Türken zum Beispiel unterhalten, der hier in Deutschland Wurzeln hat, der sich mit dem deutschen Staat verbunden fühlt, deswegen auch die deutsche Staatsbürgerschaft will, aber nicht die Wurzeln seiner Familie abreißen will. Also, zu sagen, ich fühle mich mit beiden Ländern verbunden, gerade das trägt ja zur Integration bei. Da muss man sich mal mit der Motivation dieser doppelten Staatsbürgerschaft auseinandersetzen, bevor man eine solche Forderung aufstellt. Ich finde die extrem schlimm, und wenn man dazu noch sagt, diese doppelte Staatsbürgerschaft als doppelte Loyalität verkauft und sagt, sie behindere die Integration: Nein, genau umgekehrt wird ein Schuh daraus, gerade über diese doppelte Staatsbürgerschaft baut man Brücken und ermöglicht Integration, sich wirklich mit beidem, also mit den Wurzeln seiner Familie, aber auch mit seinem neuen Leben hier in Deutschland wirklich zu identifizieren. Und das ist eine ganz, ganz schlimme Forderung.
    Dobovisek: Aber wie kann das helfen, Herr Tempel, wenn sich dann am Ende diejenigen, die möglicherweise doppelte Staatsbürgerschaften haben, weder hier noch dort richtig zu Hause fühlen?
    Tempel: Dann muss man sich mehr um die ganzen Integrationskonzepte kümmern. Dann muss man natürlich mehr Angebote machen. Wir fordern seit Langem, dass wir dazu auch Integration brauchen und nun mal auch Personal, also ausgebildete Sozialpädagogen, ausgebildete Sozialarbeiter. Da fehlt es an allen Ecken und Enden, gerade in Integrationsschwerpunkten, also da, wo die Aufgabengebiete groß sind, auch im Bereich von Bildungsdefiziten groß sind. Da brauchen wir Fachkräfte, das hat aber gar nichts mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu tun.
    "Ich weiß nicht, inwieweit hier eine Scheinaktivität entwickelt wird"
    Dobovisek: Zweiter Punkt, der mir auffällt in dem langen Maßnahmenkatalog, zumindest der Punkte, die wir kennen, ist das Aufweichen der ärztlichen Schweigepflicht. Das ist ein Vorschlag, den der Bundesinnenminister macht. Und Ärzte sollen die Behörden über geplante Straftaten informieren dürfen. Könnte das den Ermittlern helfen? Sie waren selber einer.
    Tempel: Ja, dazu müsste ich erst mal wissen, welche Zahlen einer solchen Maßnahme zugrunde liegen. Also, in wie viel Fällen wird denn ein Patient einem Arzt über geplante Straftaten informieren? Also, ich weiß nicht, inwieweit hier eine Scheinaktivität entwickelt wird, inwieweit das eine Maßnahme ist, die wirklich erforderlich ist aufgrund von Tatsachen und Fakten. Also, man ist ja gerne, dass man auch, wenn man von rechts jetzt Druck hat bei der Union vonseiten der AfD, dass man gerne starke Maßnahmen verkaufen will. Inwieweit eine solche gesetzliche Änderung erforderlich ist, das werden wir uns sehr genau zeigen lassen. Das heißt, wir werden eine Anfrage natürlich machen, wie hoch denn die Dunkelziffer angenommener Straftaten, die sonst nicht entdeckt werden, ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Standard ist, dass Straftäter vor Beginn einer Straftat erst mal ihren Arzt darüber in Kenntnis setzen. Also, ich weiß nicht, was das soll.
    Dobovisek: Vielleicht geht es da ja auch um Psychologen und Psychiater, die ja durchaus Einblick haben in das, was Ihre Patienten und Mandanten da vorhaben.
    Tempel: Deswegen, bevor wir eine solche Maßnahme ablehnen, werden wir sehr genau gucken. Eine Gesetzesänderung muss immer eine solide Basis haben, das heißt, da müssen auch ordentliche Erkenntnisse vorliegen. Und diese Erkenntnisse, die zu dieser Forderung führen, die werden wir uns ausführlich schildern lassen und dann werden wir das in den Ausschüssen debattieren.
    Dobovisek: Sie haben den Druck von rechts angesprochen, die AfD, die Stammtische. Gehört aus Ihrer Sicht dazu auch das vorgeschlagene Burkaverbot? Gibt es ja auch ein Beispiel aus Frankreich, das wir uns angucken können.
    Tempel: Das ist richtig, das ist ein klares Beispiel. Wir sind ein Jahr vor der Bundestagswahl, die AfD nimmt natürlich im konservativen Bereich da auch viele Stimmen weg. Das ist eine Forderung, die hat nichts mit einer traditionellen Religionsfreiheit zu tun, sie hat nichts mit vielen Grundsätzen zu tun, die lange erstritten wurden. Aber es ist natürlich eine Forderung, die in verschiedensten Bereichen, nicht in allen Bereichen unserer Bevölkerung existiert, und man greift die jetzt in Richtung Wahlkampf auf. Also, auch das hat mit einer Terrorbekämpfung oder Ähnliches, mit einer Bekämpfung von Extremismus gar nichts zu tun. Es ist nicht sachdienlich, aber es bedient ein gewisses Klientel und damit wird es in das Programm mit aufgenommen.
    Dobovisek: Aber begrüßen Sie es, Herr Tempel, dass vollverschleierte Frauen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen unterwegs sind?
    Tempel: Aus frauenrechtlichen Gründen nicht, aber dem kann man nicht mit einem Verbot begegnen. Sondern dazu muss man Frauen, die das betrifft, also auch Bevölkerungsgruppen, die das betrifft, mit Vertrauen auch entgegentreten. Man muss es kommunizieren, man muss versuchen, Weltbilder zu verändern, aber durch Dialog und nicht durch Verbote.
    "Das ist einfach eine unverhältnismäßige Maßnahme"
    Dobovisek: Verbote wird es vielleicht doch geben in vielerlei Hinsicht, aber es gibt auch andere Vorschläge wie zum Beispiel den Aufbau eines Cyberabwehrzentrums beim Bundeskriminalamt, es gibt auch den Vorschlag, die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung durch die Geheimdienste möglich zu machen. Da ist wieder sozusagen wieder ein altes Schreckgespenst, auch ein Schreckgespenst der Großen Koalition, lange gab es Streit um die Vorratsdatenspeicherung, plötzlich ist sie wieder da.
    Tempel: Ja, das ist richtig und es gibt mehrfach ja gerichtliche Entscheidungen, warum die Vorratsdatenspeicherung eben verfassungswidrig ist. Man muss sich ja auch ansehen, dass wirklich von Millionen Menschen Daten in Haufen, in großen Bündeln gespeichert werden, einsehbar sind. Es geht hier nicht nur um Extremisten, sondern jeder, der in Opposition zum Staat steht, steht in Gefahr, dass seine Daten ebenfalls genutzt werden. Und es gibt so, so viele Beispiele, wo genau das erfolgt ist, wo unrechtmäßig ausgespäht worden ist, wir haben keinerlei Gewährleistung, dass die Daten sachdienlich verwendet werden, und das ist einfach eine unverhältnismäßige Maßnahme. Und das ist ja nicht nur meine Auslegung, das hat der Europäische Gerichtshof bereits gesagt, das hat das Bundesverfassungsgericht gesagt. Und es ist nicht gerade ein Ausdruck von Verfassungstreue, wenn Unionspolitiker immer wieder mit dem gleichen alten Mantel kommen.
    Dobovisek: Fassen wir also noch mal zusammen, Herr Tempel, gemeinsam, die vielen Maßnahmen, die da vorgeschlagen werden: Was ist die geplante Berliner Erklärung aus Ihrer Sicht?
    Tempel: Sie ist ein Einstieg in den Wahlkampf, um dem Druck von rechts entgegenzustehen. Dabei haben wir Maßnahmen drin, die zum Teil eine Korrektur von alten Fehlern sind, zum Beispiel der Personalabbau bei der Polizei, und dann haben wir zum anderen Teil Maßnahmen mit alten Hüten drin, die nur scheinbar dem Zweck dienen einer Terrorbekämpfung oder einer Bekämpfung von Extremismus, aber keinerlei Sicherheitsgewinn bringen. Also, abgesehen von den mehr Polizeibeamten, die tatsächlich möglich sind, sehe ich momentan nicht einen einzigen Sicherheitsgewinn in dieser Berliner Erklärung, sondern nur Wahlkampf.
    Dobovisek: Der Innenpolitiker der Linkspartei Frank Tempel, vielen Dank für das Interview heute Morgen um 8:22 Uhr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.