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Pläne und Hindernisse beim Netzausbau

Der Ausbau der Stromnetze ist das Nadelöhr der Energiewende. Fehlende Leitungen hätten im vergangenen Winter mehrfach fast zum Blackout geführt. Große Stromerzeuger-Regionen gibt es im Osten Deutschlands. Ihre Zukunft hängt am Netzausbau und sie sollen nun zum Modell für ganz Deutschland werden.

Von Axel Flemming | 09.05.2012
    Deutschland hat ein Nord-Süd-Problem in der Energiewende. In Süddeutschland stehen energieintensive Unternehmen, die bislang noch durch Atomkraftwerke versorgt werden. In Norddeutschland stehen viele Windräder, die mehr Strom erzeugen, als in den bevölkerungsarmen Ländern verbraucht werden kann. Und Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel will seinen Anteil weiter ausbauen. Ina Ulbrich, Staatssekretärin im Landesministerium für Energie und Infrastruktur:

    "Also wir wollen die Flächen, die wir zur Verfügung stellen, im Rahmen der Raumordnung verdoppeln. Dazu passen wir den Kriterienkatalog an. Ich glaube, dass wir da gute Chancen haben, dass wir das hinkriegen. Wir haben bei uns im Land noch einiges an Potenzial, und da wird's Möglichkeiten geben."
    Dazu kommen noch die Strommengen, die offshore vor den Küsten im Meer erzeugt werden. Nach einer Studie der Uni Rostock wird allein die Windenergie sich von derzeit 1,6 auf 4 Gigawatt im Jahr 2020 mehr als verdoppeln. Um diese Energiemengen nach Süden zu leiten, müssen die Netze ausgebaut werden. Zurzeit sind 30.000 Kilometer Höchstspannungsnetze in Deutschland verbaut, und es fehlen weitere 4500 Kilometer, mehr als 15 Prozent. Stephan Kohler, Vorsitzender der dena, der Deutschen Energie-Agentur:

    "Um 38 Prozent regenerative Stromerzeugung zu erreichen, braucht man ungefähr 4500 Kilometer, wenn man die heutige Technik verwendet. Nehmen wir Hochtemperaturleiter-Seile, wo man dann über eine Trasse mehr transportieren kann, dann reduziert sich natürlich der Zubaubedarf. Aber in so einer Größenordnung benötigen wir neue Trassen."

    Kohler spart nicht mit Kritik an den Plänen der Bundesregierung. Die Annahme, der Energieverbrauch werde um zehn Prozent sinken hält er für nicht nachvollziehbar. 30 Prozent zu importieren nennt er falsch. Er hofft auf Korrekturen bis zum 3. Juni, wenn die Netzbedarfsplanung vorliegen soll. Denn die Zeit drängt, die Netze sollen bis 2020 gebaut sein. Und die Windenergie wird stärker genutzt, als bislang angenommen.

    "Wahrscheinlich wird es mehr nach Fukushima. Wir gehen sogar aus, dass wir dann vielleicht 45 bis 50 Prozent regenerative Stromerzeugung haben. Also wir haben da nicht unendlich Zeit, sondern innerhalb der nächsten acht Jahre muss das Netz gebaut werden. Sonst können wir die angestrebten Ziele nicht erreichen, sondern bauen wir Windkraftwerke; und wenn der Wind weht, dann müssen wir sie abschalten, weil die Netzinfrastruktur fehlt. Und das ist ja volkswirtschaftlich auch nicht sinnvoll."

    Leitungen müssen gebaut werden, die Frage ist nur, wer soll das bezahlen. Eine Arbeitsgruppe soll ein neues Modell der Umlagekosten für die Konferenz der Wirtschaftsminister Deutschlands erarbeiten. Ina Ulbrich vom Energieministerium Mecklenburg-Vorpommerns sagt: ein wichtiges Thema, dass die Politik den Bürgern beantworten muss:

    "Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ja nicht nur eine Sache, die Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wollen. Und die gesamte Bundesrepublik hat sich dazu entschieden aus der Atomenergie auszusteigen; das ist meines Erachtens auch richtig. Wir haben mit Kohle und Erdöl - also mit den fossilen Energien - auch schon aus Klimaschutzaspekten nicht die Leistung, die wir brauchen. Und dieser Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein gesamtdeutsches Thema. Und deshalb müssen auch die Kosten gesamtdeutsch umgelegt werden."

    Bleibt noch die Frage der Akzeptanz. Nicht überall stoßen die Pläne zur Hochspannungsleitungsführung auf Gegenliebe. Hartmut Lindner von der Bürgerinitiative "Biosphäre unter Strom" nennt das Beispiel Schorfheide/Chorin im Nordosten von Brandenburg:

    "Wir haben auch Freileitungen im Biosphärenreservat, die eben auch wesentlich älter sind. Und diese bestehenden Freileitungen sind 110 bzw. 220 KV-Freileitungen. Und die Masten sind aber wesentlich niedriger als die der geplanten. Geplant sind 380 kV und da sind die Masten doppelt so hoch und die Ausleger - gerade im Biosphärenreservat. also in den sensiblen Gebieten - Einebenen-Masten mit einer Breite des Auslegers von 40 Metern."

    Darin sieht er eine zu große Gefahr für die Vögel. Und die menschlichen Anwohner an der Trasse fürchten einen Wertverlust für ihre Immobilien von 30 Prozent.