Dienstag, 19. März 2024

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Plan B für den Brexit
"May hat die Solidarität in der EU immer unterschätzt"

Theresa May wird trotz der krachenden Niederlage ihres Brexit-Deals vergangene Woche bei ihrem Plan B nicht zu Kompromissen bereit sein, sagte der britische Parlamentarier Ben Bradshaw im Dlf. Der Labour-Abgeordnete ist überzeugt: Am Ende wird es ein zweites Referendum geben.

Ben Bradshaw im Gespräch mit Silvia Engels | 21.01.2019
    Die britische Premierministerin Theresa May beim Brexit-Sondergipfel
    Theresa May unterschätze die Solidarität unter den EU-Staaten, glaubt der Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw (Imago/Thierry Roge)
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Ben Bradshaw. Er ist Labour-Abgeordneter im britischen Parlament und vertritt den Wahlkreis Exeter seit 1997. In den Kabinetten der früheren Premierminister Blair und Brown hatte er verschiedene Regierungsämter inne. Er ist gegen einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Bradshaw.
    Ben Bradshaw: Guten Morgen.
    Engels: Was erwarten Sie heute für einen Vorschlag von Theresa May in Sachen Brexit?
    Bradshaw: Leider erwarte ich nicht, dass sie bereit sein wird, Kompromisse einzugehen. Seitdem Sie diese Abstimmung im Parlament letzte Woche, die schlimmste Niederlage in der Geschichte Großbritanniens erlitten hat, hat es kein Zeichen gegeben, dass sie kompromissbereit ist. Ich glaube, ihr Statement heute, ihre Erklärung bringt uns nicht weiter. Und wenn sie jetzt unser Parlament nicht lässt, die Entscheidung machen kann, dann wird das Parlament diese Macht für sich übernehmen.
    Der Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw
    Ben Bradshaw (dpa/picture alliance/PA Wire)
    "Wir sind sehr verzweifelt über das Benehmen von Frau May"
    Engels: Sie spielen darauf an, was auch britische Medien berichten, nämlich dass verschiedene Abgeordnetengruppen derzeit verschiedene Änderungsanträge beraten, um Mays’ Pläne mal in die eine, mal in die andere Richtung zu durchkreuzen. Was hören Sie dazu?
    Bradshaw: Ja. Viele Abgeordnete, inklusive ich mit meinen Kollegen von allen Parteien, wir sind sehr frustriert. Wir sind sehr verzweifelt über das Benehmen von Frau May. Sie bleibt so stur nach diesem großen Niederschlag und gibt kein Zeichen, dass sie den Weg ändert. Wir müssen dann Wege finden, damit das Parlament, unser Unterhaus eine Mehrheit für irgendetwas zeigen kann. Das Problem bis jetzt ist: Wir wissen seit letzter Woche, gegen was wir alle sind, aber wir wissen nicht, was eine Mehrheit im Parlament dafür wäre, und das muss jetzt getestet werden. Wenn Theresa May das nicht erlaubt, dann haben wir Hinterbänkler überparteilich von allen Parteien Pläne, diese Macht an uns zu nehmen.
    Engels: Was für Pläne sind das? Was für einen Vorschlag bereiten Sie da in Ihrer überfraktionellen Parlamentariergruppe vor?
    Bradshaw: Es gibt verschiedene Ziele. Eine Gruppe will einen sanfteren Brexit betreiben, eine Beziehung wie zum Beispiel Norwegen mit der Europäischen Union hat. Eine andere Gruppe, wozu ich gehöre, möchte eine neue Volksabstimmung durchführen. Wir glauben, dass das Parlament sich nicht einigen wird zu irgendeiner Austrittslösung. Und auch wenn das Parlament das macht, glaube ich, dass prinzipiell, weil dieser Brexit ganz anders sein wird als der Brexit, der versprochen war in 2016 bei der Volksabstimmung, gibt es auch einen Grund im Prinzip, dass eine neue Volksabstimmung stattfindet. Aber irgendwie müssen wir einen Weg aus dieser Krise finden.
    Keine Mehrheit für eine norwegische Lösung
    Engels: Bleiben wir beim Thema des zweiten Referendums. Das ist ja schon länger Ihr Thema. Letzte Woche haben Sie gemeinsam mit Labour-Abgeordneten aus Unterhaus und EU-Parlament einen Brief unterzeichnet, in dem Sie dieses zweite Referendum über den Brexit verlangen. Das geht natürlich an die Adresse von Premierministerin May, aber auch an die Ihres eigenen Parteichefs Corbyn. Der lehnt das ja bislang ab. Haben Sie denn da jetzt zustimmende Signale, dass Labour sich auch insgesamt in diese Richtung bewegt?
    Bradshaw: Ja, die Signale werden täglich besser. Unser Brexit-Sprecher, Keir Starmer, hat am Wochenende eine Rede gehalten, wo er gesagt hat, dass wir zwei Alternativen jetzt haben: Entweder diesen sanfteren Brexit wie diese norwegische Lösung, oder eine neue Volksabstimmung. Ich bin der Meinung, dass es im Parlament, im Unterhaus keine Mehrheit für eine norwegische Lösung gibt, weil das irgendwie zwischen Mitgliedschaft und zwischen einem harten Brexit ist. Wir müssen immer wieder in die EU zahlen, wir müssen alle Regeln annehmen, aber wir haben keine Stimme. Deshalb glaube ich nicht, dass eine Mehrheit von den Parlamentariern das wählen werden. Wenn alle anderen Alternativen erschöpft sind, dann wird es eine Mehrheit im Parlament geben für eine neue Volksabstimmung.
    Engels: Kritiker eines zweiten Referendums wenden aber ein, dass man auch nicht so lange Referenden abhalten könne, bis einem das Ergebnis passe. Ist das nicht ein richtiger Punkt, denn die Spaltung des Landes wird damit ja nicht enden?
    Der Austrittstermin muss verschoben werden
    Bradshaw: Die Spaltung ist schrecklich in Großbritannien zurzeit. Aber diese Spaltung wird nicht überwunden, wenn die Regierung versucht, uns aus der EU rauszureißen mit einem schlechten Vertrag oder überhaupt einem Vertrag ohne einen Deal. Das wäre so schrecklich für unsere Wirtschaft und viele Leute würden darunter leiden, dass die Leute viel mehr gespalten wären und viel mehr verärgert darüber wären. Deshalb glaube ich, auch wenn eine neue Volksabstimmung nicht leicht sein wird und es wird eine heftige Debatte geben, dass das die einzige Lösung ist, um vorwärts zu gehen.
    Und man kann auch argumentieren, dass der Brexit, der verkauft worden ist an die Bevölkerung 2016, ein ganz anderer jetzt ist im Vergleich zu dem, was Theresa May oder was Norwegen sein würde. Deshalb gibt es schon ein starkes Argument, dass man der Bevölkerung die Chance gibt, ihre Meinung zu dieser Lösung zu äußern.
    Engels: Wenn es ein zweites Referendum geben soll, oder wenn es gar doch eine Lösung geben soll in Richtung eines Norwegen-Modells, wie Sie es vorher angesprochen haben, dann bräuchte man ja auf jeden Fall wohl eine Verschiebung des Austrittstermins Großbritanniens, der ja bislang Ende März geplant ist. Rechnen Sie damit, dass Theresa May zumindest das, eine Verschiebung des Austrittstermins, heute vorschlägt?
    Bradshaw: Alle hier, außer Theresa May, glauben, dass jetzt eine Verschiebung vom Artikel 50 sowieso nötig sein wird. Auch wenn wir Theresa Mays’ Deal gehabt hätten, haben wir nicht mehr genug Zeit, die ganzen Gesetze durchzusetzen, die wir brauchen, bevor wir austreten. Eine Verlängerung von Artikel 50 ist nötig. Die EU hat ganz klar gesagt, sie wäre dazu bereit, aber nur für Neuwahlen oder eine neue Volksabstimmung, und ich habe auch Zweifel, wenn wir zum Beispiel sagen würden, jetzt möchten wir wieder alles aufmachen und einen neuen Deal verhandeln Richtung Norwegen. Ich weiß nicht, ob die EU die Geduld noch hätte mit uns, noch monatelang, ohne dass man sicher sein kann, was das Ergebnis sein würde. Deshalb bin ich nicht nur skeptisch, dass es eine Mehrheit im Unterhaus bei uns gibt, aber auch skeptisch, dass die Europäische Union viel Enthusiasmus für diese Lösung haben würde.
    Bilateraler Vertrag mit Irland "ist eine Fantasie"
    Engels: Einige Beobachter erwarten ja auch, dass Theresa May heute vorschlägt, einen bilateralen Vertrag mit Irland zu Nordirland zu schließen, um so die mit der EU verhandelte Backstop-Regelung zu umgehen. Die ist ja bei vielen Abgeordneten verhasst. Ein Backstop sieht ja vor, dass Nordirland wie Irland in der EU-Zollunion bleibt, falls sich EU und Großbritannien nicht auf eine Lösung mit offener Grenze einigen. Was halten Sie von der Idee, separat auf Irland zuzugehen?
    Bradshaw: Das ist eine Fantasie und das Problem mit Theresa May und unserer konservativen Regierung ist: Sie hat immer unterschätzt die Solidarität in der Europäischen Union, und Irland ist ein Mitglied der Europäischen Union. Es ist selbstverständlich, dass die anderen europäischen Länder Irland unterstützen. Ich glaube, dass eine irische Regierung nie zu einer solchen Lösung Ja sagen könnte. Das wäre für sie politisch fatal. Es macht mich wirklich sehr frustriert, dass unsere Regierung solche Fantasien haben kann, wenn wir mitten in dieser Krise sind. Und die irischen Politiker haben schon über das Wochenende ganz klar gesagt, dass diese Idee überhaupt keine Chance hat.
    Engels: Erwarten Sie in dieser vertrackten Lage irgendeine Initiative von der EU oder von Deutschland irgendeinen Vorschlag, oder ist das kontraproduktiv?
    Bradshaw: Ich glaube nicht. Ich erwarte nicht mehr, als sie schon gesagt haben. Sie können nette Wörter sagen über diesen irischen Backstop, aber die gesetzlichen Sachen, die die britische Regierung verlangt, wird die EU nicht machen. Sie kann es auch nicht, weil wenn sie das macht, dann ist dieser Backstop kein Backstop mehr, keine Versicherung mehr. Ich glaube, die Abstimmung letzte Woche war so eine große Mehrheit gegen den Vertrag von Theresa May, dass es auch keinen Grund gibt für die Europäische Union, noch Kompromisse an die britische Regierung zu geben. Weil sie nicht sicher sein kann, wenn sie zum Beispiel einen großen Kompromiss reicht, dass das die Zahl im Parlament viel ändert.
    Es gibt genug fanatisch rechts Antieuropäische in der Konservativen Partei, die meiner Meinung nach gegen alle Vereinbarungen wählen würden und die lieber aus der EU rausstürzen würden Ende März und glauben, dass das keinen Schaden ausgibt. Das ist das Problem und Theresa May kann nur durch diese Krise durchkommen, wenn sie zu anderen Abgeordneten in anderen Parteien reicht und mit uns versucht, einen Kompromiss zu treffen.
    Engels: Ben Bradshaw, Labour-Abgeordneter im britischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Bradshaw: Ein großes Vergnügen! Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.