Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Plan für zweites Referendum
Neuer Anlauf für ein unabhängiges Schottland

Der Unmut über den Brexit ist in Schottland besonders groß. Neuen Umfragen nach könnte es mittlerweile eine Mehrheit für die schottische Unabhängigkeit geben. Regierungschefin Nicola Sturgeon überlegt deshalb, ein zweites Referendum durchzuführen - allerdings nur, wenn sie die nächste Regionalwahl gewinnt.

Von Burkhard Birke | 26.01.2021
Ein Mann und eine Frau laufen mit Schottland-Flaggen an einem Waldstück entlang, 18. September 2020
Im Herbst 2020 starteten schottische Unabhängigkeits-Aktivisten einen langen Marsch (imago images / Julien Marsault)
"'cowering tim'rous beastie, oh what a panic's in thy beastie'. He's frightened of democracy."
Mit einem Vers von Robert Burns beschrieb Nicola Sturgeon Premierminister Johnsons Angst vor Demokratie. Zum Jahrestag des durch das Lied "Auld long Syne" wohl berühmtesten schottischen Dichters forderte Schottlands Regierungschefin einmal mehr ein zweites Unabhängigkietsreferendum.
"Die Umfragen sagen eine klare Mehrheit für schottische Unabhängigkeit voraus, wenn die Schottische Nationalpartei in einigen Monaten die Wahl mit dem Vorschlag gewinnt, die Menschen darüber abstimmen zu lassen."
Ursula von der Leyen und Michel Barnier bei ihrer Pressekonferenz nach dem Brexit-Deal
Brexit-Deal - Einigung mit vielen Kompromissen
Freier Handel, fairer Wettbewerb, ein Kompromiss im Streit um die Fischereirechte: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zeigt sich zufrieden mit dem ausgehandelten Vertrag. Doch einige Probleme wird das Abkommen nicht lösen.

Noch ein Referendum?

"Welcher Demokrat könnte sich dem entgegenstellen? Boris Johnson fürchtet einfach die Entscheidung der Schotten", so Sturgeon. Wäre diese Entscheidung heute, so würden 49 Prozent der Schotten für und 44 Prozent gegen Unabhängigkeit stimmen zeigt eine Sunday Times Umfrage. Der Brexit hat die Stimmung gedreht. Beim letzten Referendum war noch eine deutliche Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich.
"Damals hat man uns gesagt, wenn wir im Vereinigten Königreich blieben, würden unsere Rechte als EU Bürger geachtet. Dieser Punkt wurde total ignoriert", sagt der Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei-, SNP,-Fraktion im Unterhaus Ian Blackford. Denn: Jetzt mussten die Schotten gegen ihren Willen die EU verlassen – mit spürbaren Folgen.
Das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel mit der Leuchtschrift "Europa loves Scotland"
Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon twitterte am Neujahrstag "Lasst das Licht an!" und bezog sich auf die Leuchtschrift "Europe loves Scotland", die auf das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel projiziert wurde. (Screenshot/Deutschlandradio/Twitter 1.1.2021, 12:01)
Selbst die Pro Brexit eingestellten schottischen Fischer sind sauer. "Wir sind von der Regierung in London veräppelt worden", denn erstens bekommen die Fischer nicht die versprochenen vollen Fangrechte und zweitens ihren Fisch infolge teurer und komplizierter Ausfuhrbürokratie nicht mehr zeitnah in die EU.
Der Unmut wächst - auch weil seit Jahrzehnten in Westminster Konservative die Geschicke bestimmen, während linke Nationalisten in Edinburgh regieren - glaubt man den Umfragen, dann nach der Wahl am 6. Mai sogar wieder mit einer absoluten Mehrheit von 70 Sitzen in Holyrood, dem schottischen Parlament.
Ian Blackford: "Das wäre die Gelegenheit, dass die schottische Bevölkerung in einem Unabhängigkeitsreferendum über die Rückkehr in die EU abstimmt."

Johnson verweist auf 2014

Natürlich besitzt auch für die SNP die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen Priorität, aber das schottische Parlament hat bereits den Weg für ein zweites Referendum geebnet. Ohne Zustimmung aus London wäre eine solche Volksbefragung jedoch nicht bindend.
Bisher gab sich Premierminister Boris Johnson ablehnend: "Wir hatten ein Referendum 2014, dass das einzige im Zeitraum einer Generation sein sollte. Auf dieser Grundlage haben die Leute für unser wundervolles Vereinigtes Königreich gestimmt."
Vielleicht müsste Johnson ein Referendum gar nicht fürchten. Denn Schottland wickelt drei Viertel seines Handels mit England, Wales und Nordirland ab und wird mit mehr als 2.000 Pfund pro Kopf von London subventioniert. Lenkt Johnson aber nicht ein, müsste womöglich das Verfassungsgericht entscheiden. Des Volkes Urteil scheint schon gefällt: Rund die Hälfte der Briten rechnet indes jedenfalls laut Umfrage damit, dass Schottland binnen zehn Jahren unabhängig sein wird.