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"Plaza Pública" mischt Guatemalas Medienlandschaft auf

Guatemala wählt heute einen neuen Präsidenten. Seine Medienmacht ist in der Hand weniger Familien, die die Geschicke des Landes bestimmen. Doch eine neue Online-Zeitung geht mit erfrischend aufklärerischem Furor ans Werk.

Von Sven Töniges | 05.11.2011
    "Wir lieben lange Texte. Beim Schreiben haben wir den Leser im Sinn, der gerne liest - nicht den Leser, der nicht gerne liest, von dem sonst heutzutage alle Medien ausgehen."

    Stolz zeigt Enrique Naveda auf den Bildschirm, auf einen textfreudigen Artikel in der aktuellen Ausgabe von "Plaza Pública". Der 32-Jährige ist Chefredakteur von Guatemalas jüngster Online-Zeitung. Seit Jahren überbieten sich Lateinamerikas Medien in Boulevardisierung, da klingt Navedas Credo geradezu unverschämt: Man vertraue auf Information und Worte.

    Im Februar 2011 hatte sich Naveda mit einer Handvoll junger Journalisten zusammen getan, mit Autoren und Fotografen, die allesamt bei den beiden großen Tageszeitungen Guatemalas gearbeitet hatten - und allesamt frustriert waren vom arrivierten Medienbetrieb.

    Guatemalas Medien sind - wie die Wirtschaft des gesamten Landes - in der Hand weniger Familien; man hat sich den Kuchen aufgeteilt, ökonomisch, politisch und publizistisch. Die Eigentümer legen ihre Zeitungen an eine mehr oder weniger kurze Leine. Dort betreibe man bestenfalls Verlautbarungsjournalismus, glaubt Enrique Naveda.

    "Der eine sagt dies, der andere sagt dann das Gegenteil, dann sagt ein vermeintlicher Experte 'was dazu, und am Ende weiß keiner, was eigentlich los ist."

    Dem setzten die jungen Macher nun "Plaza Pública" entgegen, eine Onlinezeitung in frischem, aufgeräumtem Layout; textfreudig aber auch mit hochwertigen Fotostrecken. "Journalismus mit Tiefgang" verspricht das Logo. Eine Universität stellte am Stadtrand von Guatemala bescheidene Redaktionsräume, Geld kam unter anderem von der Soros-Stiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung.

    Doch Freunde macht man sich in Guatemala mit journalistischem Tiefgang nicht überall. Redakteur Luis Ángel Sas beschäftigt sich seit Jahren mit Themen wie der Korruption bei Polizei und Militärs. Im vergangenen Winter deckte er den Verkauf von Armeewaffen an das berüchtigte Zetas-Drogenkartell auf. Nach Morddrohungen musste er untertauchen. Dass ein noch junges, kleines Medium wie "Plaza Pública" ihm kaum Schutz bieten kann, nimmt er in Kauf für mehr publizistische Unabhängigkeit. Und Angst, die habe er eigentlich nicht, sagt der Reporter - allein die 'natürliche' Angst, die in Guatemala sowieso immer mitlaufe.

    "Wenn ich durch die Stadt fahre und es nähert sich ein Motorrad, klar, das macht dir Angst. Es ist eine Psychose, die haben hier alle Journalisten. Wenn man eine Geschichte recherchiert, weiß man erst am Ende, mit welchen Leuten man es da zu tun hat. In Guatemala Stadt werden jeden Tag im Schnitt 17 Menschen umgebracht, da darf es dich nicht wundern, wenn irgendwann auch ein Journalist darunter ist. Es ist, es ist schon nicht leicht hier Journalist zu sein."

    Mit einem Schlag unbeliebt in bestimmten Kreisen machte sich Plaza Pública im Sommer. Wikileaks hatte Plaza Pública einige Tausend Depeschen angeboten - exklusiv. Die Redaktion entschied sich, die Wikileaks-Kabel zu veröffentlichen. Eine Ohrfeige auch für die etablierten Medien des Landes, so Chefredakteur Naveda.

    "Praktisch alle Medien hier haben daraufhin die Wikileaks-Veröffentlichungen komplett tot geschwiegen. Sie waren völlig beleidigt, dass Wikileaks nur uns, als kleines, neues Medium für vertrauenswürdig hielt und uns die Kabel exklusiv zur gab."

    Die ersten von Plaza Pública veröffentlichten Wikileaks-Kabel, drehten sich um Otto Peréz Molina, ein Ex-General, in Bürgerkriegszeiten Chef des militärischen Geheimdienstes - und mit großer Wahrscheinlichkeit der Mann, der morgen zum nächsten Präsidenten Guatemalas gewählt werden wird.

    In den Wikileaks-Kabeln ging es um seine undurchsichtige Rolle im Bürgerkrieg und mutmaßliche Verbindungen zur Drogenmafia. Auch benannte darin der US-Botschafter die vier reichsten Unternehmer Guatemalas als die Geldgeber von Peréz' gigantisch teurem Wahlkampf.

    Sein Gegenkandidat bei der Stichwahl am morgigen Sonntag ist der politisch rätselhafte Unternehmer Manuel Baldizón. Auch auf ihn werfen die Wikileaks-Veröffentlichungen ein schales Licht. Enrique Naveda:

    "Dem Kabel nach zahlte Baldizón 60.000 Dollar an jeden Kongress-Abgeordneten, der auf seine Seite wechselte. Damit konnte er den Kongress nach Belieben steuern, er konnte Gelder und Posten zu seinen Gunsten lenken und auch die Regierung unter Druck setzen."

    Egal also wer bei Stichwahl am Sonntag das Rennen macht, Baldizón, der "Berlusconi Guatemalas" oder Ex-Militär Peréz, mit Guatemalas nächstem Präsidenten dürften "Plaza Pública" die Themen kaum ausgehen.