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Plazentophagie
Was bringt der Verzehr der Nachgeburt?

Der Verzehr der Plazenta in Kapselform nach der Geburt ist ein Trend in Industrieländern wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Ein Ärzteteam in Jena hat die Inhaltsstoffe des Mutterkuchens in Tablettenform deshalb jetzt genauer untersucht.

Von Christine Westerhaus | 02.12.2019
Illustration eines neun Wochen alten Fötus mit Plazenta
Illustration eines neun Wochen alten Fötus mit Plazenta (imago / Science Photo Library)
"Eigentlich fing es damit an, dass mein Mann mir erzählte, dass Bekannte und Freunde von ihm aus Amerika ihre Plazenta einnehmen. Und ich war richtig geschockt und dachte so: Was ist denn los mit den Amerikanern?"
Sophia Johnson wollte es genauer wissen. Sie promovierte am Plazenta-Labor des Uniklinikums in Jena und beschließt, die Inhaltsstoffe des Mutterkuchens genauer zu untersuchen. Gemeinsam mit Kollegen analysierte Johnson sechs Plazenten. Dabei interessierten sich die Forscher vor allem für die Hormone, die in der Nachgeburt stecken.
"Wir haben natürlich Progesteron, Östrogene analysiert und das humane Plazenta-Laktogen - das ist ein Hormon, das für das Stillen verantwortlich ist - wie auch das Oxytocin - das ist ja dieses Kuschelhormon, was nicht nur soziale Bindungen macht, sondern auch den Milchschussreflex und auch die Rückbildung der Gebärmutter.
Nutzen von Plazenta-Präparaten nicht nachgewiesen
Und diese Hormone konnten wir alle natürlich in roher Plazenta nachweisen. Und wir konnten aber auch zeigen, dass mit der Verarbeitung, also so, wie man das zum Beispiel in der traditionellen chinesischen Medizin macht, die Hormonkonzentrationen ganz stark abnehmen."
In den USA konsumieren die meisten Frauen ihre Plazenta pulverisiert, in Kapseln verpackt. Doch die Jenaer Forscher haben gezeigt, dass bei dieser Form der Verarbeitung 99 Prozent der Hormone verloren gehen. Trotzdem schwören viele Frauen darauf, dass das Plazenta-Pulver Wunder wirkt.
"Diese Einzelfallberichte gibt es immer wieder. Wo Frauen dann sagen: "Oh mein Gott! Was ist hier los? Ich hab das zweimal eingenommen und ich hab so viel Milch und ich muss nur vier Stunden schlafen und bin topfit".
Für komplette Einbildung hält Sophia Johnson diese Schilderungen aber nicht. Möglicherweise gäbe es abgesehen von Hormonen andere Stoffe in der Plazenta, die diese Wirkung entfalten. Kleinere Studien aus den USA lieferten allerdings keine Hinweise darauf, dass Plazenta-Kapseln besser als Placebos wirken. Doch in roher Form könne die Plazenta durchaus gesund sein, meint die Forscherin.
Tiere fressen nach einer Geburt die Plazenta
"Man beobachtet ja im Tierreich, da wird die Plazenta ja in roher Form eingenommen und da sieht man, dass sich zum Beispiel der Hormonhaushalt oder Hormonspiegel von bestimmten Hormonen im Blut der Tiere verändert. Da sieht man zum Beispiel, dass die Laktation durch die Plazenta-Einnahme ausgelöst wird. Und so muss man halt diskutieren, wie viel Sinn macht es, diese traditionellen, also aus alten Kulturen überlieferten Verarbeitungsmethoden, anzuwenden? Und gibt es nicht vielleicht auch einfach andere Methoden, die sicher sind, um die Plazenta einzunehmen."

Die meisten Säugetiere verspeisen die Plazenta nach der Geburt. Ob sie das tun, um keine Ressourcen zu verschwenden oder Feinde nicht auf sich aufmerksam zu machen, wird unter Forschern diskutiert. Klar ist: Der Mensch bildet im Tierreich die große Ausnahme. Warum das so ist? Auch darüber machen sich Wissenschaftler Gedanken.
"Wahrscheinlich - so schlussfolgern zumindest Anthropologen von der Universität aus Nevada - war es auch mal Teil des menschlichen Verhaltens. Warum das aber aus unserem Verhalten verloren gegangen ist, das ist eben eine interessante Frage. Liegt es vielleicht daran, dass wir in der Geburtshilfe mit dem Zugang zu Nahrungsmitteln und der Sorge für Frauen nach der Geburt, dass das einfach verloren ging, weil man andere Ressourcen hatte, auf die man zurückgreifen konnte?"