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Poet und Rebell
Das radikale Anti-Design von Ettore Sottsass

Dieses Jahr wäre Ettore Sottsass 100 Jahre alt geworden. Mit der legendären Valentine-Schreibmaschine oder farbenfrohen Möbeln aus der Memphis-Phase wurde der Italiener zum Entwurfsgenie. "Design war für ihn eine Form der Kulturkritik", sagte Kuratorin Heng Zhi vom Vitra Design Museum im Dlf.

Heng Zhi im Corsogespräch mit Susanne Luerweg | 14.07.2017
    Der italienische Designer Ettore Sottsass im Jahre 1999 (1917-2007).
    Der italienische Designer Ettore Sottsass (1917-2007). (imago / Leemage)
    Susanne Luerweg: Eine rote Schreibmaschine machte ihn berühmt: Ettore Sottsass designte für Olivetti Anfang der 60er-Jahre die Valentine - der erste popkulturelle Gebrauchsgegenstand. Ein Schreibutensil, auf dem Generationen von Literaten kluge Texte verfassten und sicher auch der Designer selbst. Denn Ettore Sottsass war mehr als ein Entwurfsgenie - er war Poet, Fotograf, Architekt und Weltenbummler.
    Dieses Jahr wäre er hundert Jahre alt geworden und all die Facetten des Mannes, der unseren Blick für moderne Entwurfskunst radikal veränderte, versucht nun eine Ausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein abzubilden. Kuratiert hat die Schau Heng Zhi. Schönen guten Tag.
    Heng Zhi: Guten Tag aus Basel.
    Luerweg: "Gutes Design ist wie zum Mond fliegen", hat Ettorre Sottsass mal gesagt. Seine Idee von gutem Design, die war ja sehr wandelbar: Von der poppigen Schreibmaschine, über minimalistisches Besteck bis hin zu sehr bunten Möbeln für die Memphis-Gruppe. Wie haben Sie das alles unter einen Hut gebracht in Ihrer Ausstellung?
    Zhi: Ja, also wie Sie vorher schon angedeutet haben, ist eigentlich Ettorre Sottsass eine sehr vielschichtige Figur und es ist auch nicht leicht, ihn in einem knappen Rahmen eigentlich zu definieren oder zu fassen. Aber nachdem ja die Ausstellung eigentlich im Vitra Schaudepot stattfindet. Das ist immer ein Ort, wo wir vor allem die Möbelgeschichte zeigen wollen. Und deswegen haben wir auch selbstverständlich den Fokus auf seine Möbel gelegt. Aber natürlich selbst im Möbelbereich war er auch in verschiedenen Gruppierungen und Funktionen tätig.
    "Er hat immer versucht, ungewöhnliche Elemente einzusetzen"
    Luerweg: Genau. Das sind ja ganz verschiedene Epochen, die Sie da wahrscheinlich auch abbilden müssen und das Design ist ja so unterschiedlich, dass man sich sicher an der ein oder anderen Stelle fragt: Hat das wirklich alles ein Mann gemacht?
    Zhi: Ja genau. Also, wenn man eben seine industriellen Entwürfe ansieht, wie zum Beispiel in "Valentine", aber auch in "Bürostuhl", zeigen wir aus seinem Bürostuhlsystem namens "Synthesis 45". Wenn man diese Produkte, industrielle Produkte, neben den Radical-Design'-Sachen zum Beispiel, oder dem bunten Alchimia- und Memphis-Objekten dann anschaut, dann wundert man sich schon, also was für eine breite Palette er eigentlich geschaffen hat. Aber natürlich gibt es schon auf der anderen Seite einige rote Fäden, die man schon auch durch seine Entwicklung oder seine lange Karriere auch erkennen könnte.
    "Aus der modernen Arbeitskultur ausbrechen"
    Luerweg: Was ist denn der rote Faden? Was würden Sie sagen?
    Zhi: Was ganz deutlich für mich persönlich ist, ist eben, dass er immer versucht hat, Design eigentlich als eine Form der Kulturkritik zu verwenden. Er hat eigentlich immer wieder, egal, ob es jetzt industrielle Produkte für Olivetti waren oder irgendwelche eigene Auftragsarbeiten waren, hat er eigentlich immer versucht, ungewöhnliche Elemente, sagen wir mal so, die nicht so auf den ersten Blick mit dem etablierten, guten Geschmack zu identifizieren sind, einzusetzen.
    Zum Beispiel mit "Valentine" hat er ja vor allem eigentlich versucht, eigentlich auch diese Beziehung zwischen dem modernen Menschen und der modernen Arbeitsumgebung, die auch immer mehr von Maschinen dominiert worden ist, nachzudenken und hat eigentlich eine Maschine geschaffen, die gegen diese monotone Arbeitsstunden steht. Das heißt, der hat eben damit auch schon versucht, eigentlich aus einer existierenden, modernen Arbeitskultur ein bisschen auszubrechen. Also die Memphis-Designer haben auch das rationale Design eigentlich als Basis hergenommen und haben dann auf einer spielerischen Art und Weise quasi Gegenentwürfe geschaffen.
    "Er hat wunderschöne poetische Schriften hinterlassen"
    Luerweg: Der Untertitel der Ausstellung heißt ja auch "Poet und Rebell". Wie wollen Sie die beiden Pole verbinden in Ihrer Ausstellung?
    Zhi: In der Ausstellung zeigen wir circa 30 Objekte aus den unterschiedlichsten Schaffensperioden von Sotssass. Dazu versuchen wir eigentlich auch durch seine Zitate und seine Fotoarbeiten, den Zuschauern oder den Besuchern seine Person näher zu bringen. Er hat eigentlich sehr viele, wunderschöne poetische Schriften hinterlassen, zu unserem Glück, und wo er eben auch zu seinem Leben natürlich geschrieben hat, aber auch sehr viel zu seinen Ideen und Gedanken hinter seinen Objekten. Ein gutes Beispiel, meiner Meinung nach, ist zum Beispiel, was er zu Valentine geschrieben hat, eben, dass es eine Schreibmaschine war, die für alle anderen Anlässe entworfen worden ist, aber nicht für das Büro.
    Luerweg: Wie meinte er das?
    Zhi: Er hat eigentlich für den Entwurf von Valentine eben auch, hat sich überlegt, welche neue Beziehung eigentlich zwischen Mensch und Arbeit entstehen könnte, also dass zum Beispiel der Mensch jetzt nicht unbedingt in einem modernen Büro voller Maschinen sitzen oder arbeiten muss, sondern er könnte eben auch seine Schreibmaschine, oder sein Werkzeug in dem Fall, einfach mitnehmen, wenn er irgendwo anders hingeht. Zum Beispiel auf Freizeit oder auf Urlaub oder so.
    Sinnkrise in den 70er Jahren
    Luerweg: Er selber ist ja sehr viel gereist, was sich ja auch ein bisschen in seinen Arbeiten widerspiegelt. Wird das auch zu sehen sein in der Ausstellung?
    Zhi: Ja. Wir haben vor allem eben eine Fotoserie namens "Metaphore" in der Ausstellung. Eine Schwarz-weiß-Fotoserie, die er in den siebziger Jahren gemacht hat, also da ist er sehr viel gereist, also vor allem in den Pyrenäen. Und das war auch eine Periode, wo er irgendeine Art von Sinnkrise gehabt hat, also wo er eigentlich an der Bedeutung von modernem Design, aber auch an seiner eigenen Arbeit gezweifelt hat. Und das war eben auch diese Anti-Design-, beziehungsweise Radical-Design-Periode, wo er eigentlich weniger Objekte geschaffen hat, sondern eigentlich mehr zu den grundlegenden Bedeutungen des Designs, aber auch des Lebens eigentlich nachgedacht hat.
    Zum Beispiel: Er hat so mehrere Türen aufgestellt, so in der Landschaft, teilweise aus Ästen oder aus Blättern – und hat eigentlich damit gefragt, ja, was bedeutet eigentlich eine Tür? Ist das eigentlich eine reine Rahmenkonstruktion oder bedeutet eigentlich die Tür einen Moment des Seitenwechsels oder Perspektivenwechsels? Selbst, wenn die Tür perfekt gestaltet ist: Wenn das Leben dahinter nicht unbedingt stimmt, ist es trotzdem noch keine schöne Tür. Das hat er ganz wunderschön gesagt, also: Wenn dahinter auflauert, der dich ermorden will, dann bringt die perfekte Ästhetik auch gar nichts.
    Inspiration aus dem echten Leben
    Luerweg: Er hat auch mal gesagt, dass er Museen für relativ witzlos hält und besonders solche, die Designobjekte ausstellen. Was glauben Sie? Würde ihm trotzdem die Ausstellung gefallen, die da jetzt konzipiert haben über sein Werk?
    Zhi: Ich hoffe natürlich sehr, aber natürlich verstehe ich vielleicht bis zu einem gewissen Grad, was er meint. Er hat ja immer versucht, eigentlich Motive oder Inspirationen aus dem echten Leben, also aus dem Alltag mit einzubeziehen in seine Arbeit. Und ein Museum ist oft ein Kontext, der losgelöst ist von dem echten Leben. Nichtsdestotrotz, es würde mich sehr freuen, wenn ihm das gefallen hätte.
    Luerweg: Heng Zhi, Kuratorin der Ausstellung "Ettore Sottsass - Poet und Rebell". Und die Ausstellung, die ist noch bis zum 24. September im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen. Und Sottsass ist ohnehin in aller Munde: Dieses Jahr ist sein Jahr, er wäre ja 100 Jahre alt geworden . Nächste Woche öffnet im Met Breuer in New York eine Ausstellung, parallel gibt es es noch Arbeiten von ihm in Venedig und Mailand zu sehen. Frau Zhi, vielen Dank für das Gespräch - und ich denke, er wäre im Zweifel gekommen.
    Zhi: Vielen herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.