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"Point of No Return"
Über den Amoklauf von München

"Point Of No Return" heißt die Performance, die aus den Erlebnissen des Amoklaufs am 22. Juli in München entstanden ist. Yael Ronen beschreibt am Stadttheater München auch, wie die Schauspieler diesen Tag erlebten.

Von Sven Ricklefs | 28.10.2016
    Die in Berlin lebende österreichisch-israelische Regisseurin Yael Ronen, aufgenommen am 15.05.2016 in Berlin während der Verleihung des Theaterpreises.
    Die Regisseurin Yael Ronen (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    "So before we go on, I would like all the shooters, who are here in the audience tonight, lets get it over with, because this suspense is killing us: shoot or leave."
    Da sind sie also, die Ängste, die sich nicht nur an jenem 22. Juli wie ein Lauffeuer in München verbreiteten, sondern die seitdem auch weiterhin grassieren. Und die jeden in unserer Imagination zum potenziellen Amokläufer oder Terroristen machen können: im Einkaufszentrum, in der U-Bahn oder eben auch im Theater.
    Was also ist mit uns passiert und wie haben wir reagiert auf diesen "Point of no return"? Das ist einer der Themenkomplexe, die Yael Ronen jetzt in ihrer neuen Performance umkreist. Dabei schickt sie ihr fünfköpfiges Ensemble, das – wie immer bei ihr – multikulturelle und multinationale Wurzeln hat, auf eine betont abschüssige Bühne.
    In diesem Spiegelkabinett, dessen Boden immer mal wieder anfängt zu wabern, sichern sich die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler gegenseitig mit einem Seil ab, bevor sie in ihre Ängste hinabschliddern, vor Tod und Terror oder davor, political incorrect zu wirken oder nicht adäquat zu reagieren in diesen ach so komplexen Zeiten.
    Wechselseitiges Erzählen von der Situation während des Amoklaufs
    Und dann erzählen sie sich zunächst einmal wechselseitig von jener Situation, in der sie sich während des Münchner Amoklaufs befanden: Bei der Fischsuppe in der Kantine etwa, die hier plötzlich zum Symbol des Widerstands avanciert, beim Billigbekleider, in dessen Ausbeutungsstrategien durchaus auch ein moderner Terrorismus wurzeln könnte. Oder in eben diesem Zuschauerraum der Münchner Kammerspiele wie die Schauspielerin Wiebke Puls, die sich durch die Situation dazu herausgefordert sah, ihren eigenen Kindern das Bildermalen zu verordnen:
    "Aber es war darüber hinaus auch noch ein sehr starkes politisches Statement. Es zeigte nämlich in Zeiten von Terror, Gewalt, Krieg, Tod, wähle ich, wählen wir: die Kunst. Die haben Waffen, aber wir haben Wachsmalstifte."
    Wie schon so oft in ihren Projekten gelingt es Yael Ronen auch bei "Point of no Return", dem Ernst ihres Sujets mit Humor zu begegnen. Mit großer Leichtigkeit streifen sie und ihre Mitstreiter das ganze Spektrum von Reaktionen: Von der paranoiden Angst bis hin zu jener klammheimlichen Enttäuschung, dass es letztlich ja doch "nur" ein Amoklauf war und München nun doch nicht durch den ersten großen Terrorakt zur "auserwählten" Stadt wurde.
    Zugleich reißen die folgenden Szenen auf ebenso spielerische wie durchaus pointierte Weise alle weiteren Aspekte an, denen so ein wohlstandsverwöhnter Stadttheaterschauspieler wie auch Stadttheaterzuschauer gerade ausgesetzt ist: Flüchtlingsströme, Bilder und Berichte von Kriegselend, anschwellende Terrorgefahr auf der einen Seite, die eigenen Ängste und ganz egoistischen Befindlichkeiten auf der anderen.
    Dabei wagt sich Ronen durchaus an den Rand des Darstellbaren, wenn sie etwa jene furchtbaren Szenen einer Überwachungskamera schemenhaft auf ihre Schräge projiziert, in der ein Flüchtling aus Eritrea als vermeintlicher Terrorist erschossen wird, weil er sich auffällig benahm und diese Szenen dann nachstellen lässt. Was passiert mit uns, wie reagieren wir?
    "Ich dränge die Meute zurück, sie drängen mich aus dem Weg. Ich habe Angst vor Gewalt, ich habe Angst vor großen Gruppen von Männern, ich habe Angst vor dem, was aus uns wird, wenn wir die Erlaubnis haben, zu hassen."
    Sind wir an einem "Point of no return"? Yael Ronen stellt diese Frage auf beeindruckende Weise und zeigt dabei zugleich, dass das Stadttheater durchaus in der Lage ist, kurzfristig auf die Gegenwart zu reagieren.