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Polarregion
Lauschangriff auf kalbende Gletscher

In den Polarregionen brechen von Gletschern Eiszungen ab, um dann als Eisberg davon zu treiben. Wie viel Masse die Gletscher über solche Prozesse verlieren, können Klimaforscher bisher nur schwer nachhalten. Polnische Forscher haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich das Kalben der Gletscher genauer überwachen lässt.

Von Lucian Haas | 12.02.2015
    Der Hans-Gletscher im Hornsund-Fjord auf Spitzbergen mündet direkt ins Meer. Von seiner steilen Front brechen immer wieder große Eisbrocken heraus. Sie fallen oder rutschen ins Wasser, um dann als Eisberge davonzuschwimmen. Der Gletscher kalbt, sagen die Fachleute. Das Rumpeln dabei ist gewaltig und auch noch aus größerer Entfernung hörbar. Das brachte den Geophysiker Oskar Glowacki vom Polnischen Zentrum für Polarforschung auf eine Idee.
    "Wir dachten uns, dass wir die Unterwassergeräusche nutzen könnten, um Gletscher zu überwachen. Wir hören einfach auf den Klang. Und wenn der Gletscher sozusagen mit uns spricht, können wir daraus weitere Informationen gewinnen. Es ist ja extrem gefährlich, den Gletscher direkt vom Eis aus zu beobachten. Aber mit Unterwassermikrofonen kann man mehrere hundert Meter vom Eis entfernt sein, und dennoch ein durchgängiges Monitoring der Gletscherprozesse gewährleisten."
    Hydrophon-Aufzeichnungen
    Die am Anfang dieses Beitrags eingespielten Geräusche stammen aus den Hydrophon-Aufzeichnungen der Forscher. Das helle Rauschen wird von Luftblasen erzeugt, die im Eis eingeschlossen sind und beim Auftauen platzen. Das tiefe Rumpeln wiederum sind die abrutschenden Eismassen der Gletscherzunge. Oskar Glowacki fand heraus, dass er allein am aufgezeichneten Klang verschiedene Formen des Kalbens unterscheiden kann.
    "Wir haben drei Typen von Gletscherkalb-Ereignissen identifiziert. Das typische Kalben über Wasser, wenn Eisbrocken von oben aus dem Gletscher brechen und ohne weiteren Kontakt zur Gletscherfront ins Meer fallen. Dann zweitens das rutschende Kalben über Wasser, wenn Eismassen abgleiten und der Eisberg noch an der Gletscherfront entlang reibt."
    Der dritte Fall ist der, wenn Eismassen sich unterhalb der Wasseroberfläche vom Gletscher lösen und dann durch ihren eigenen Auftrieb nach oben drängen. Das klingt dann beispielsweise so:
    Abrutschen auch optisch belegbar
    Ursprünglich wollte Oskar Glowacki mit seiner Methode nur zeigen, dass man per Unterwasser-Akustik die Kalbungsvorgänge am Gletscher erkennen und zählen kann. Zum Beweis ließ er parallel eine Zeitrafferkamera laufen, um das Abrutschen der Eismassen jeweils auch optisch zu belegen. Doch dann erkannte er, dass sich aus den aufgenommenen Gletschergeräuschen noch mehr heraushören lässt.
    "Wir haben anhand der Bilder der Zeitrafferkamera das Volumen und die Masse der abfallenden Eisbrocken geschätzt. Daraus haben wir ihre potenzielle Aufschlagenergie berechnet und diese wiederum mit der per Mikrofon erfassten akustischen Energie verglichen. Es gibt da einen engen Zusammenhang. Es ist zwar erst der erste Schritt, um die Klangsignatur des Kalbens mit dem Massenverlust eines Gletschers in Beziehung zu setzen. Aber er ist sehr vielversprechend."
    In den polaren Küstenregionen gibt es viele Gletscher, die ins Meer münden. Sie rund um die Uhr zu überwachen, ist bisher kaum möglich. Die vielen kleinen Kalbungsvorgänge sind bei der üblichen Fernerkundung per Satellit nicht nachweisbar. Dabei wäre es unter anderem für Klimaforscher hilfreich, genauere Daten darüber zu bekommen. Laut Schätzungen tragen tauende Gletscher rund ein Viertel zum globalen Anstieg des Meeresspiegels bei. Oskar Glowacki hofft, mit seinem Lauschangriff auf die Gletscher eine Methode gefunden zu haben, mit der sich einige Datenlücken schließen ließen.